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Klaus M. Rarisch
Arno Holz als Dramatiker

Den 50. Todestag von Arno Holz am 26.10.1979 sollten die deutschen Bühnen, Rundfunk- und Fernsehanstalten zum Anlaß nehmen, an das dramatische Schaffen des Dichters zu erinnern. Arno Holz (geb. 1863 in Rastenburg/Ostpreußen, gest. 1929 in Berlin) war Ehrendoktor der Universität Königsberg und Nobelpreiskandidat. In die Literaturgeschichte ist er als erster deutscher Großstadtlyriker, konsequenter Naturalist und kühner Erneuerer der poetischen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten eingegangen. Er gilt heute als Klassiker der Moderne und Vorläufer der literarischen Avantgarde. Von seinen frühen, gemeinsam mit Johannes Schlaf verfaßten Werken – darunter das sozialkritische Armeleute-Drama »Die Familie Selicke« (1890) – empfing Gerhart Hauptmann entscheidende Anregungen.

Traumulus (Carl Froelich, 1935/36): Stelzer, Jannings. Bild: Archiv CineGraph Hamburg
Traumulus

Hannes Stelzer, Emil Jannings
1935/36, Regie Carl Froelich,
Buch Robert A. Stemmle und Erich Ebermayer

Zwischen 1903 und 1911 schrieb Holz gemeinsam mit dem Straßburger Rechtsanwalt Oskar Jerschke fünf Stücke, von denen vor allem die im Schülermilieu spielende Tragikomödie »Traumulus« ein durchschlagender Erfolg wurde. Das Stück ging seit der Spielzeit 1904/05 über alle großen deutschen Bühnen; in der Titelrolle des gutmütig-verträumten Gymnasialprofessors Dr. Niemeyer brillierten die bedeutendsten Charakterdarsteller. Noch heute in guter Erinnerung ist die alte Ufa-Verfilmung des »Traumulus« von Carl Froelich, in der es Emil Jannings als Niemeyer ausgezeichnet verstand, gegen die von den Nazi-Dramaturgen gewünschte, verfälschende Heroisierungstendenz anzuspielen. Der Film läuft immer wieder in Club-Kinos und wurde auch im Fernsehen gezeigt. Nach dem Krieg erlebte das Stück zwei Inszenierungen (1952), am Stadttheater Aachen und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg (dort mit Werner Krauss). Ferner liegt eine brillant besetzte Hörspielproduktion des Bayerischen Rundfunks München aus dem Jahr 1960 vor, in der Heinz Hilpert die Titelrolle spricht.

Sozialaristokraten, Städtische Bühnen Dortmund 1972, Regie Gert Omar Leutner: Petzel, Ostermann, Hassenstein. Bild: Thielbeer
Sozialaristokraten
Malte Petzel, Heinz Ostermann, Hans-Helmut Hassenstein
Regie Gert Omar Leutner
Städtische Bühnen Dortmund 1972

Während Holz mit diesen Stücken unterhaltendes Bühnenfutter für den breiten Publikumsgeschmack geliefert hatte, nahm er in die Gesamtausgaben seiner Werke nur drei literarisch vollgültige Dramen auf. Besonderes Interesse verdient seine politisch-satirische Komödie »Sozialaristokraten« (1896), die als eindringliche Warnung vor völkischem Größenwahn und Antisemitismus der Wilhelminischen Epoche die Korrumpierbarkeit der Intellektuellen und das spätere deutsche NS-Debakel prophetisch vorauszeichnete. Die »Sozialaristokraten« wurden nach dem Krieg dreimal inszeniert: 1955 von Ernst Kahler am Deutschen Theater (Berlin/DDR), 1969 von Angelika Hurwicz am Landestheater Hannover und zuletzt 1972 an den Städtischen Bühnen Dortmund unter der Regie des Intendanten Gert Omar Leutner. Eine Fernsehproduktion der ARD aus dem Jahre 1965 wurde in Deutschland mehrmals gesendet und im Ausland vom ORF ausgestrahlt.

Die beiden großen Tragödien von Arno Holz, das Künstlerdrama »Sonnenfinsternis« (1908) und die erkenntnistheoretisch fundierte, den Bereich der Parapsychologie einbeziehende Wissenschaftlertragödie »Ignorabimus« (1913), bleiben als Höhepunkte einer äußerst differenzierten Seelendramatik für die deutschen Bühnen noch zu entdecken. Die Schwierigkeiten, die eine kongeniale Inszenierung dieser zukunftsweisenden Stücke überwinden müßte, bestehen vor allem in der extremen Spieldauer. Diese besonderen Anforderungen werden jedoch durch die geringe Zahl von nur sechs bzw. fünf Rollen kompensiert. Seit kurzem liegt für »Ignorabimus« die autorisierte Bühnenbearbeitung eines erfahrenen Theaterpraktikers vor, des Regisseurs und Intendanten a. D. Joachim Klein.

publikation, Nr. 4/5, 1979