Der Schimmelreiter |
|
Seine Geschichte vom Leben hinterm Elbdeich und auf hoher See, von der Liebe eines Jungen zu seinem Vater und zur Fischerei, gespickt mit wunderbarem Finkenwerder Platt, und zumindest von einigen Generationen Heranwachsender so begierig verschlungen wie ein frischgeräucherter Spickaal, hat einen unvermuteten literarischen Hintergrund. Sie ist zugleich Vexierspiel, ein hochproblematisches Kabinettstück auf dem Feld liebender Anverwandlung und trotziger »Zurechtschreibung«, Und das Objekt solcherart Gorch Fockscher Begierde ist kein geringeres als Theodor Storms »Schimmelreiter«. Diese düstere Novelle also hinterliegt der bei aller Tragik ungemein heldisch überglänzten Seefahrts-Saga des Finkenwerders. Daß der Zusammenhang mehr als achtzig Jahre unentdeckt blieb, muß zu Gorch Focks stillem Triumph gerechnet werden. Das mindert den Wert des Romans nicht, sondern erhöht ihn. Von Plagiat zu reden, hieße das Geschäft des Kleinlichkeitskrämers betreiben. Vielmehr schärft das Wissen um Gorch Focks literarischen Antrieb nur das Gespür für die meist überlesenen Nachtseiten des Werks. Diese euphemistische Tradition beginnt bereits beim Titel, denn wie leicht in Erfahrung zu bringen wäre, lautet das vollständige klassische Zitat: »Seefahrt ist not aber Leben ist nicht not«. Und genauso überlesen wurde die schmerzende Hellsicht, wenn es am Vorabend des 1. Weltkriegs bei Gorch Fock heißt: »England ist Rom und wir sind Karthago.« In der Tat stand für das kaiserliche Deutschland und besonders für die schwarz-weiß-rote Marine am Ende des Kriegs ein karthagisches Erlebnis. Ich habe Robert Wohlleben beim Kollationieren der Stormschen und Fockschen Texte gern über die Schulter geschaut. Das ist schon richtig proteisch, wie sich Hauke Haiens Schimmel in Klaus Mewes Fischkutter verwandelt. Kein Witz und ganz klar eine Geschichte von der Wasserkante. Proteus, der Meeresgott mit dem Revier zwischen Kreta und Ägypten, war schon den Griechen und Karthagern für seine sprichwörtliche Wandlungsfähigkeit (vulgo: Seemannsgarn) bekannt. Aber noch etwas anderes macht für mich ganz entschieden die Qualität des Wohllebenschen Buches aus. Es ist eigentlich kein literaturwissenschaftliches Werk, sondern selbst ein Roman mit autobiographischen Zügen. So ineinander dürfen sich die Geschichten an der Wasserkante verweben. In dem Roman erfährt man genausoviel über die Person Robert Wohlleben wie über den Schimmelreiter am Deich oder den Mewesschen Kutter im Skagerak. Das verleiht ihm eine unvergleichliche Mischung von Postmoderne und good old Hamburg. Etwas für Genießer einer Aalsuppe auf dem Mannschaftsdeck des Fischereihafenrestaurants. Sage keiner, das gäbe es nicht ... Reimer Eilers HH 19, Ausg. 5/95, 28.4.1995 |
|
|