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Werner Riegel: Gedichte und Prosa

Werner Riegel:

Hymnus auf den neuen Menschen

1
MG 42, ein Spruch des Konfutse,
vages Bild vom Lager im grünen Strauch,
ein Foto am Bett, das ich gleichgültig duze,
ein beliebiges Lied und ein Dörfchen im Rauch.
Gewissenhaft unter Worten und Dingen
erlebte der Gott seine Existenz.
Nur ab und zu ließ er sich Opfer bringen,
Wucher am Zins des verheißnen Advents.

2
Rechne nicht mehr! Ungeahntes ergibt sich
aus des Mars und Merkur Konstellation.
Wär es ein Mensch, der ißt Brot und der liebt sich,
aber der kommt, ist des Gottes eigener Sohn.
Natürlicher unter den Homburghüten
und härter und sicherer schweift sein Blick.
Das hat er gelernt unter Cimbern und Skythen.
Morde, gern, schnell und oft wie ein Katzenfick.

3
Wenn er kommt, kommt er bestimmt nicht vom

Himmel.

Aber von Gott hat er Muskel, Sehne und Bein,
und es ist, wenn da was ist verstümmelt,
verstümmelt seit Abel und Kain.
Wie hat er beim Spiel unter wechselnden Fähnchen
sicher gehandhabt Schafott und Maschinengewehr!
Und der Vater lächelt. Das ungeratene Söhnchen
hat er so lieb und hat sonst kein Söhnchen mehr.

4
Dieser da bleibt ihm, spricht er auch nur Profanes.
Schwester ist ihm die Gorgo, Onkel Zeus,
Leda die Mutter, wenn auch Schönheit des Schwanes
sein nicht ist und nicht Ledas klassischer Steiß.
Aber das Feuer hält er unter eisernen Kesseln.
Aber sein Auge schärft ihm irgendein Mikroskop.
Und aus silurischen Fesseln
Löst er Atom und Teufel zum eignen seraphischen Lob.

5
Ißt, trinkt und schläft in glasgeblasenen Städten,
Rede liebend, Zahl und Vivisektion.
Der Argonaute der Luft, der Krebs des Planeten,
Kind ohne Kindheit, Bastard aus Odem und Ton.
Wenn er dann niedersteigt zu den karbonischen Tiefen,
die schiefernen Tafeln bricht im Neandertal,
jauchzend den Griffel führt in eckigen Hieroglyphen
zu Einmaleins und hymnischem Integral,

6
kennt er sich selbst nicht, streunend im Absoluten,
schaut er im Spiegel sich als das Maß der Welt.
O Verblendung Geringer ihm zuzumuten,
daß er im eignen Mißfallen unter den Abfall fällt.
Wer wie er ergibt sich aus seltnen Prämissen,
wer wie er ist göttliches Resultat!
Noch jedem darf der Hund an die Hosen pissen,
doch pißt er bei ihm, erkennt er auf Hochverrat.

7
Immer noch regt sich sterbend die alte Freiheit.
Aber die Freiheit stirbt, der unkende Untertan.
In den beleuchteten Städten glitzert die Neuheit,
die schon bei Etzel war und bei Dschingis-Khan.
Daß noch der Mond bescheint die lärmende Paralyse!
Tritt in die Finsternis! Vorbei aller Traum, was tut’s?
Wir waren, o Mensch, dein Herz, deine Tränendrüse,
und Kuckucksschrei und Nächte im Kukuruz.


Werner Riegel: Gedichte und Prosa.
Wiesbaden: Limes 1961, S. 139-141
(zuerst in Zwischen den Kriegen, Nr. 4, März 1953)

 

© Lilo Riegel