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Bayerische Staatszeitung

26.4.1996

»Gift & Gülle« nennt Ernst-Jürgen Dreyer die kleine Sammlung von fünfzehn »Müll-Sonetten« [...], der wir diese ingrimmigst auf Mörike verweisende Begrüßung des Frühlings entnehmen. Zeitgemäß zynisch läßt Dreyer den sanften Wohllaut Mörikes in den Bildern gleichgültiger Verwüstung zerstäuben, doch man verstünde ihn schlecht, wenn man aus der Virtuosität des verzweifelten Witzes nicht den schneidenden Schmerz heraushörte, nicht die zornige Klage über das verlorene Paradies. Und das strenge Maß der Sonettform mit ihren kunstreich verschränkten Klangmustern, Schönheit filternd aus der Verwesung, hält der kaputten Welt einen letzten Nachglanz von humaner Utopie entgegen. Balsamisch schrill spielen Dreyers »Müll-Sonette« der sterbenden Zivilisation zum Tanz auf.

Ernst-Jürgen Dreyer, 1934 in Oschatz bei Leipzig geboren, 1980 für seinen Roman »Die Spaltung« mit dem Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet, hat gut zwei Jahrzehnte in Murnau gelebt, und der Zauber der oberbayerischen Voralpenlandschaft zittert als ein feiner Oberton noch nach im Todesgebimmel seiner »Müll-Sonette«. kr