Abgeschickt von r.biehl am 16 Juni, 2001 um 18:40:56
dass marcel reich-ranicki außerhalb seiner unmittelbar um ihn vorherrschenden domäne bei vielen einen schweren stand hat, beweisen texte wie Rarischs sonett „Schalck Ranicki“ oder HELs text bez. günter grassens „novemberland“. dass dies auch fulgura-fern und so offen, wie im folgenden gesagt wird, dürfte eine ausnahme sein:
Marcel Reich-Ranicki!
Ja, es ist wahr: Die für solche Transaktionen sicherlich hochkompetente und wie geschaffene Stadt Bad Homburg hat Ihnen den Friedrich-Hölderlin-Preis verliehen. Und während Hölderlin sich noch im Grabe drehte wie ein Brummkreisel, erzählten Sie in Ihrer Dankrede eine köstliche Anekdote aus dem Jahr 1987. Auch damals hätten Sie eine Rede in bad Homburg gehalten: „Ich begann damals mit den Worten: ‚Nein, ich liebe ihn nicht, diesen Friedrich Hölderlin’, und sofort hörte ich Laute des Unmuts und des Protests ... was hatte ich mir zuschulden kommen lassen? Habe ich etwa Hölderlin unterschätzt? Ich habe gesagt, dass es in seinem Werk Gedichte gibt, die von niemandem übertroffen wurden, nicht einmal von Goethe – und damit war ihm doch ein Platz auf der höchsten Ebene der deutschen Dichtung zugewiesen...“
Und genau hier, Herr Reich-Ranicki, liegt Ihr Denkfehler. Sie glauben, Sie seien dafür zuständig, Dichtern wie Hölderlin und Goethe die Plätze zuzuweisen. Wie es Deutschpauker vor hundert Jahren mit ihren Pennälern machten. Unserer bescheidenen Meinung nach hätte der höchsten Ebene der deutschen Dichtung aber nicht viel gefehlt, wenn Sie, Herr Reich-Ranicki, nicht Literaturkritiker und dutzendfacher Klassikerpreisträger geworden wären, sondern Platzanweiser im Pornokino.
Was sonst niemand mehr öffentlich zu sagen wagt, steht eben immer noch und immer wieder mal erfrischend deutlich in Ihrer alten Lebensbegleiterin
- Titanic
(aus: TITANIC Nr. 8, August 2000 in der Rubrik “Briefe an die Leser”)
gruss,
r.biehl