Arno Holz (1863 1929) Friedrich Rückert (1788 1866) Hermann Allmers (1821 1902)
Zwei Liebesgedichte zwei Welten! Das Motiv ein Dichter findet in seinem Zimmer ein duftendes Geschenk der Liebsten vor ist in beiden Texten identisch. Wobei es belanglos ist, daß Holz den Rückertschen Lindenzweig durch Rosen ersetzt hat. Rückerts virtuose Reime kreisen um das Wortspiel »linden Duft / Lindenduft«. Er nimmt den Lindenzweig ausschließlich durch den Geruchssinn wahr. Ganz anders Arno Holz: bei ihm wird die primär optische Wahrnehmung dynamisiert. Das Sonnenlicht fällt auf den Rosenstrauß (dessen Duft nur als sekundärer Reiz wirkt) und bringt die Glasvase zum Schimmern. Im Lichtreflex der Vase erweisen sich die Zeilen des Schreibenden offenbar sind es Liebesverse als illusionärer »schöner Schein« die Geliebte wird ihn verraten, auch wenn ihm das jetzt noch nicht bewußt ist. Mit dieser selbstironischen Zukunftsperspektive geht Holz weit über den bieder-eindimensionalen Rückert hinaus. Wie auch für das Beispiel Allmers/Holz ausgeführt, sind beide Texte formal extrem unterschiedlich strukturiert, aber gleichermaßen schätzenswert.
Vor allem durch die Komposition von Brahms wurde dieses metrisch (jambisch-fünffüßig) gebaute und konventionell gereimte Gedicht von Hermann Allmers im 19. Jahrhundert sehr bekannt. Ganz offensichtlich hat Arno Holz die Motive von Allmers in seine Phantasus-Mitelachsenform des »notwendigen Rhythmus« transformiert. (Ein weiteres Motiv aus dem Gedicht von Allmers hat er in dem Phantasus-Gedicht »Ueber die Welt hin ziehen die Wolken« verwertet.) Dabei hat Holz den Symbolismus der Vorlage (»als ob ich längst gestorben bin«) auf das natürlich-schlichte »Nun bin ich fern / von jeder Welt« reduziert. Unbegreiflicherweise ist dieses Musterbeispiel eines formalen Paradigmenwechsels in der bisherigen Sekundärliteratur unbemerkt geblieben. Die Freunde von Holz hätten die Erwähnung vielleicht als Herabsetzung empfunden; seine Gegner waren wohl nicht belesen genug. Welche Form überzeugender ist, muß der Leser selbst entscheiden. Niemandem, der Allmers vorzieht, wäre das zu verübeln. Existenzberechtigung haben beide Formen, denn in der Kunst gibt es Entwicklungen, aber keine »Fortschritte«.
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