Günter Bruno Fuchs, 32jähriger »Lyriker, Trinker und Holzschneider« (wie ihn seine Freunde nennen), schon physiognomisch eine Kreuzung zwischen Baal und Atta Troll, erweist sich in seinem zweiten bei Hanser erschienenen Buch »Brevier eines Degenschluckers« als großes spielendes Kind, in dem ein kleiner Mann verborgen ist, der wer sein will: Artist, Astronom, Anarchist alles »Jobs«, »Hobbies«, »Seinsweisen«, die sich Fuchs offenbar gerade deshalb ausgesucht hat, weil sie ihm überhaupt nicht liegen. Denn wenn man beim Artisten nicht merken darf, wie seine Kunststücke »gemacht« werden, so läßt bei Fuchs jeder Satz Bemühung erkennen, die im Gegensatz zu der des Astronomen stets auf das Nächstliegende gerichtet ist: auf die Poesie der Eckkneipen und Hinterhöfe. Und das Zeug zum Anarchisten hat Fuchs erst recht nicht. Aphorismen sind seine Stärke nicht: will er sie hier als Höllenmaschinen zwischen seine Gedichte und kurzen Prosastücke streuen, so werden sie unter seinen Händen zu freundlichen Silvesterschwärmern. (Jedoch sind Fuchsens Pointen keine Blindgänger, mit denen andere ich nenne Martin Kessel! dicke Bände füllen.) Das Aufregende an diesem »Brevier« ist die Gewissenhaftigkeit, mit der hier der Degen einer schlanken Prosa noch längst nicht vorgeführt, sondern zuerst einmal geschliffen wird. Mitanzusehen, wie aus einer fertigen lyrischen Sprache (Gedichtbände von Fuchs sind bisher im Verlag Eremitenpresse erschienen sowie als besonders sympathisches Dokument des literarischen »Tauwetters« im Mitteldeutschen Verlag Halle unter dem Titel »Zigeunertrommel«) wie sich tastend und suchend jetzt ein Prosastil entwickelt, der auch »kleine« Stoffe (im Gegensatz zu dem dankbaren Thema Krieg und Tod in der »Polizeistunde«, dem vorletzten Buch des Autors) zu tragen imstande ist, dies mitanzusehen ist ein seltener Genuß in unserer Zeit, die künstlerisch zum bloßen »Text«, zur mechanistisch begründeten Vermanschung von Lyrik und Prosa tendiert und geschäftlich zu dem durch Verlegerinteresse aufgeschwemmten Romanwälzer. In seinem »Brevier« zeigt uns Fuchs allerlei Etüden für jeden Typus heute möglicher Prosa, von der short story bis zum Romanfragment, das gleich in zwei Modellen erscheint, die beide symptomatisch für die Ehrlichkeit des Autors sich im Thema noch nicht zur Freiheit entschieden haben, sondern sich ängstlich in bekannte Zusammenhänge flüchten. In beiden Fällen baut uns Fuchs eine kindliche Szenerie auf, entreißt aber die parabelhafte Handlung grausam dem kindlichen Verständnis, der menschlichen Harmlosigkeit: es sind dies die Schildbürgergeschichte »Ratten werden verschenkt« und das offenbar als pièce de résistance gemeinte Schlußstück des ganzen Buches »Straße des Eulenspiegel«. Sein Bestes leistet Fuchs aber in der einzigen zu Ende geführten Erzählung »Sandomir und Ti«, weil die angestrebte Naivität der Form hier durch die Wahl des Kindes Ti zum Helden sich erst thematisch bestätigt. Günter Bruno Fuchs, den Höllerer in den »Akzenten« propagiert und zu seinen »Entdeckungen« zählt, trägt im übrigen seit Jahren umfangreiches Material für eine große ost-west-deutsche Lyrikanthologie zusammen. Ein schlimmes Zeichen, daß sich dafür bei uns trotz größter Bemühungen kein Verlag findet. Klaus M. Rarisch Erschienen in Diskus (Frankfurt/M.), Nr. 3, 1961
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