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Klaus M. Rarisch:
EUROPÄISCHE HYMNEN
Ein Märchen aus dem Lande Rosenzucht


Motto (aus den Schlagzeilen der Weltpresse):
«de Gaulle ist ganz anders!« – Konrad Adenauer
«Warum eigentiich kein Deutscher?« – Willy Brandt

Es war einmal ein Mythos vom 20. Jahrhundert, und der hiess: KOHLENKLAU. Heute fordert man als Politiker vergeblich zum Masshalten auf – worauf es aber ankäme, wäre das Durchhalten! Mehr als 20 Jahre sind vergangen, seit uns das Ausland den Endsieg nicht gegönnt hat. Und dennoch können wir heute voll Stolz feststellen: Es gibt noch Männer, die durchhielten – der leider nicht mehr amtierende Rüstungsminister Grossdeutschlands gehört zu ihnen. Und wenn unser Oppositionsführer den Patrioten ln sich entdeckt und der Speertochter Blumen schickt, so ist ihm der Beifall jedes nationalgesinnten Mannes sicher. Denn wer nicht rüstet, rostet!

Zu den edelsten Tugenden des Deutschen gehört die Dankbarkeit, mit der er die wahre Führerpersönlichkeit überall begrüsst, selbst in den Reihen des ehemaligen Erbfeindes. Denken Sie zurück an den Tag von München (nein, nicht an den 9. November 1923) – denken Sie an den General vor der Feldherrnhalle: verkörperte er da nicht unser unterschwelliges aber symbolträchtigea Leitbild?! Jedoch kann die blosse Freundschaft zu Frankreich kein Garant für die Zukunft Europas sein. Was uns fehlt, iet die deutsch-französische Eheschliessung, vom Papst in der Frauenkirche zelebriert!

Die technischen Voraussetzungen wären dafür leicht zu schaffen: Konrad A. hätte sich nur heimlich aus Cadenabbia nach Kopenhagen in die diskrete Behandlung eines weltbekannten Spezialisten zu begeben, um – biologisch umgepolt – das Sakrament der Ehe an der Seite Charles de G.s empfangen zu können. Man bedenke nur einige der vielen segensreichen Konsequenzen: Die Braut könnte nun erst die überzeugende Ahnlichkeit mit ihrem von Kokoschkas Meisterhand feinfühlig-vorausschauend geschaffenen Konterfei entdecken. Das Problem der Kanzlernachfolge würde sich nachträglich auf natürliche Weise lösen – in dynastischem Sinne. Der Bonner Familienminister hätte endlich eine Aufgabe. Gemeinsam mit dem ad hoc zu ernennendem Pariser Kollegen müsste er die deutsch-französische Ko-Produktion nach den Richtlinien der Freiwilligen Selbstkontrolle überwachen. Globke dürfte die sich ergebende Rassenmischung kommentieren, und das Europa der Vaterländer wäre endgültig ausser Gefahr, ein Europa der Oberländer zu werden. Oberländer selbst könnte ja immerhin für den Posten eines gesamteuropäiechen Abgetriebenenministers kandidieren, um das Recht der abortierten Contergan-Embryos auf Rückkehr in die verlorene Uterus-Heimat zu propagieren. Die mitreissendsten Reden in der Gebärmuttersprache würde zweifellos der erprobte Seebohm halten.

Die Europa-Religion mit ihrem modernen Glaubens-appeal bietet die Moral der grossen weiten Welt: Genuss ohne Reue anstelle von Reue ohne Genuss. Also wird die tägliche Fünfminutenandacht für jeden Europäer obligatorisch; Gottesdienstverweigerer melden sich beim zuständigen Gotteskreiskommando und weisen die Nichtexistenz Gottes nach – alsdann: Ersatzdienst beim Läuten der ebenfalls obligatorischen lokalen Freiheitsglocke (in Berlin dafür auch wahlweise – sowie bei Klöppelausfall – Mauerschau). Die Zufahrtswege zu den jeweiligen Freiheitsglockentürmen werden im Europa-Stil gebaut: nach dem Vorbild der Viale Coca Cola in Neapel Alleen mit gigantischen Familienflaschen anstelle der Strassenbäume. Am Ende der Allee steht jedesmal die Freiheit – sie ist eine versteinerte Frau, wird von Linksintellektuellen hämisch als »Fossil ihrer selbst« bezeichnet und trägt die Züge der seligen Marylin M. Da die Freiheit zu keiner Konfession gehört, prangt auf ihrer Stirn die Inschrift »D D D« – Dibelius, Döpfner, Duldsamkeit, ein jedes D zu seiner Zeit! Ihr mächtiger Busen erquickt den Andächtigen buchstäblich: Coca spendet ihre linke Brust, Cola jedoch die rechte. Wo diese beiden Ströme gemeinsam entspringen – tief im Herzen der Freiheit – ruht unerforschlich daa Fabrikationsgeheimnis des neuen Gralswunders. Nach Genuss der orthophosphorsauren Erfrischung singen die Ersatzdienstverpflichteten die Europa-Hymne ab, welche, von Händel komponiert und in der Neudichtung der Gruppe 47 international preisgekrönt, bereits bewusst global angelegt wurde:

    Coca Cola!
    Halleluja! Coca Cola!
    Halleluja!

    Denn Gottes Blut symbolisch-synthetisch:
    Coca Cola! Halleluja!
    Denn Gottes Blut synthetisch-symbolisch:
    Coca Cola! Halleluja!

    Der Herr wird König sein,
    Das Reich der Welt ist nun des Herrn,
    Des Herrn und seines drinks.
    Und er regiert von nun an auf ewig,
    Herr der Herren,
    Der Tränke Trank.

    Halleluja! Coca Cola!
    Hal-le-lu-ja!!!

Selbstverständlich verschliessen sich auch die konventionellen Kirchen keineswegs dem Europa-Trend. So erfährt der Protestant z.B. von seinem Bischof, mit welcher Geschwindigkeit er im eigenen Auto gen Westen fahren darf. (Selbst wenn Niemöller wie immer diesem Tempo nicht folgen kann.)

    Fahr ich von Berlin nach Essen
    durch das Land der roten Teufel,
    bin ich mir durchaus im Zweifel,
    welches Tempo angemessen

    Fahr ich hundertfünfzig Sachen,
    zahl ich Strafe an Herrn Ulbricht,
    auch sind seine Strassen hulpricht –
    wie soll ich da gläubig lachen?

      Ach dass du, heiliger Geist, mir erschienst –
      ein Christ, ein Christ ist immer im Dienst!

    Doch Herrn Ulbrichta Obrigkeit ist
    nicht von Gott, drum geb ich Gas.
    Schnappt mich Vopo, denk ich, dass
    Moskau gross, Sibirien weit ist.

    Obrigkeit von Gottes Gnaden
    war noch weiland Wilhelrn Zwo.
    Doch nachdem der Kaiser floh –
    riss da nicht der Gnadenfaden?

      Ach dass, Hohenzollern, du wieder erschienst –
      ein Christ, ein Christ ist immer im Dienst!

Hingegen wird der Katholik von seiner Kirche belehrt, dass und warum er am Hl. Sonntag seine Gartenzwerge nur hinter einer hohen Mauer betreuen darf, denn auch Sozialarbeit bleibt Arbeit. Apropos Mauer! Weil Europa einerseits expansiv veranlagt ist, andererseits aber die Berliner Mauer unbedingt als Kultbauwerk erhalten wissen will, wird in modernen kirchlichen Kreisen allmählich zu einem neuen Kreuzzug aufgerufen. Das Abendland soll zwar nicht wieder bis zum Heiligen Grab überschwappen, aber immerhin bis nach Ungarn. Wenn auch über die praktische Seite des Unternehmens noch nichts bekannt wurde – eine Kreuzfahrerhymnne aus der Feder des ehrwürdigen Paters Leppich S.J. wird doch schon viel gesungen:

    Der Mindszenty, der Mindszenty
    aus Buda-Budapest,
    der hat den Kopf voll Weihrauchduft,
    der keinem Ruhe lässt.
    Und wenn der grosse Mindszenty
    am Abend schlafen geht,
    dann hat er mit Halleluja
    uns glatt den Kopf verdreht!
    Joj, joj, Mamam! Was er alles kann!
    Er zieht genau wie ein Magnet
    die Sowjetpanzer an!
    Joj, joj, Mamam! Was er alles macht!
    Erst revoluzzt er wie verrückt,
    dann sagt er: Gute Nacht!
    Der Mindszenty, der Mindszenty
    aus Buda-Budapest!
    Das ist ein Kardinal,
    den halt ich mir fest
    im Botschaftshaus und warte bis
    sich wieder revoluzzen lässt!


eine macabre Zeitschrift
Nr. 11/12 (1966)

     

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Klaus M. Rarisch bei fulgura frango

 

 



 


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