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Sonette von Nikolaus Lenau

Nikolaus Lenau
(Bild von Wikipedia entliehen)

Von Klaus M. Rarisch


Von den 20 seiner Sonette in meiner Gesamtausgabe (Berlin o. J., LXXXVI, 776 Seiten) stelle ich hier zwei der besten vor. Zu beachten ist die herrliche Reimreinheit: In »Doppelheimweh« Schwäne/Thräne; in »Zu spät!« das reine »ü« der b-Reime in den Quartetten (Gefühle/...schwüle/...gewühle/Kühle).

Das »Zu spät!« ist eine romantische Grundstimmung, die auch noch mich betrifft. Das »Doppelheimweh« (nach der Erde und zugleich nach dem Himmel) bezeichnet Lenaus spezifische Befindlichkeit der Zerrissenheit; um dies auszudrücken, kann es keine bessere Form als die dialektische des Sonetts geben; Vers 11 »Ein leichtes Meiden und ein schweres Scheiden« bringt es auf die denkbar knappeste Formel, wobei der Vers mit dem dreifachen betonten »ei« noch besonders eindringlich vokalisiert ist. Das letzte Terzett halte ich für ein poetisches Wunder; »unser unerforschtes Ich« trägt das Sonett über die Romantik hinaus bis in die Moderne; die »zwei Welten« lassen sich im Sinne Sigmund Freuds als Es und Überich interpretieren. Ich kenne kein anderes Sonett der Romantik, das derart viel Gegenwärtigkeit beanspruchen könnte.
 

Doppelheimweh.

Zwiefaches Heimweh hält das Herz befangen,
Wenn wir am Rand des steilen Abgrunds stehn,
Und in die Grabesnacht hinuntersehn.
Mit trüben Augen, todeshohlen Wangen.

Das Erdenheimweh läßt uns trauern, bangen,
Daß Lust und Leid der Erde muß vergehn;
Daß Himmelsheimweh fühlt’s herüberwehn
Wie Morgenluft, daß wir uns fortverlangen.

Dies Doppelheimweh tönt im Lied der Schwäne,
Zusammenfließt in unsre letzte Thräne
Ein leichtes Meiden und ein schweres Scheiden.

Vielleicht ist unser unerforschtes Ich
Vor scharfen Augen nur ein dunkler Strich,
In dem sich wunderbar zwei Welten schneiden.
 


Zu spät!

Schon hat der Lenz verblüht und ausgesungen;
Die holden Träume, seligen Gefühle
Erstarben in der bangen Sommerschwüle,
Mit der das Thatenleben angedrungen.

»Das Roß gespornt! die Wehre frisch geschwungen!«
So heißt es nun im heißen Kampfgewühle,
Bis mir der Sabbat fächelt seine Kühle,
Wann Müden mich der stille Tod umschlungen. –

Mir war’s versagt, in jenen Blütentagen,
O Mädchen meiner Sehnsucht, dich zu finden;
Es suchten dich vergebens meine Klagen! –

Noch taucht mir hier und dort aus Kampfeswogen
Dein Bild herauf, doch muß es wieder schwinden,
Bald hat die Brandung es hinabgezogen.

Im übrigen hat auch Arno Holz, der sonst die Poeten der Vergangenheit äußerst streng beurteilte, gerade Lenau sehr hoch geschätzt. – Ich selbst habe in dem Sonett »Weltordnung« (Ausfluß der Muse, Meiendorfer Druck Nr. 43, 1997) eine der schönsten Metaphern von Lenau aufgegriffen; sie steht in seinem Gedicht (welches kein Sonett ist) »Liebesfeier« und lautet: »An ihren bunten Liedern klettert / Die Lerche selig in die Luft«. Bei mir wird das so umgeformt: »Die Lerche klettert, wird es ihr zu bunt, / an ihren Liedern in die Himmelsbläue«. Das ist beinahe wörtlicher Lenau; der fast unmerkliche Unterschied liegt in der völlig geänderten Funktion des Wortes »bunt«. Nicht die Lieder sind bunt, wie bei Lenau; sondern der Lerche wird es zu bunt, das heißt: wenn die Lerche das chaotische Treiben auf der Erde nicht mehr aushält, flieht sie singend in den Himmel, was man (unausgesprochen) den Menschen, die das irdische Chaos verschuldet haben, ebenfalls empfehlen sollte. Die aber fliehen bestenfalls ins Kloster, wie der edle Ritter der Terzette meines Sonetts; und anstatt zu singen wie die Lerche, können sie nur noch verstummen.



 


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