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Einband Not Zucht und Ordnung / hinten

Einband Not Zucht und Ordnung / vorn

Nachwort

Letztes – das allgemeingültige ungeheuerliche »Hirnthema« von der Notwendigkeit des Nichtigen. Klaus M. Rarisch zählte noch nicht 25 Jahre, als er die Wortpartitur des »Letzten« vollendete. »Letztes« ist Letztes, doch gottseidank nicht das Letzte. Von den verwitterten Versen des »Epilogs« bis zum 24. Sonett »Prometheus«, dem entfleischten Halbgott, der seiner eigenen Flamme nachbröckelt, wird hier radikal (man verzeihe das Wort) Buchschluss gemacht. Es gibt keine umzuwertenden Werte mehr, es gibt nur noch herrliche Kathedralen, pomphafte Gruftgewölbe und knirschende Titanen. Und siehe, die Hand des Schöpfers erfasst sie, liebkosend oder züchtigend – wer vermag das zu ergründen – und Kathedralen, Grüfte, Titanen – sie zerfallen … Gott erweist sich nicht als »feste Burg«, sondern als Säure und tritt im eigenen Werk die eigene letzte Auflösung an. Ein Ungeheuerliches ist an dieser Vision, wir erschrecken nicht vor der Auflösung eines Etwas, das sich als das Letzte, das Seligste konfessionierte, wir erschrecken vordem unmenschlichen – besser urnatürlichen Schweigen, das diesen Auflösungsprozess umgibt, umklammert, den Schrei in Nebelwatte erstickt, mit sich nimmt, und dieser Schrei heisst Gott, Gehirn und Samenstrang. Selbst der Tod ächzt als Sterbender in dieser Unterbrechung von Etwas. Wie lange dauert diese »sinnlose« Unterbrechung, bis der Atem neuer »sinnvoller« Schöpfung wieder rasseln darf?

Rarisch gibt eine Antwort – vielmehr er gibt die Antwort. Es darf keine Schöpfung mehr sein, damit keine tödliche Unterbrechung mehr sein kann. Die Erde ist ein geballtes Chaos von Wurmesleibern, längst ist die Substanz verzehrt. Die Konfessionen sind – wie Benn sagt – ins »Hühnergefieder der Konvention« geflüchtet, das heisst ja Verballung, Erstarrung, die Särge weigern sich, neue Nahrung aufzunehmen, die unbehausten Toten müssen »in den Kirchen Rad schlagen« (Manfred A. Knorr), die bunten Nächte der Menschen sind voller Träume und Pestakkorde, längst führt der knochige Freund Hein nicht mehr – wie in Mahlers »Vierter« – den Bogen; eine grosse leere Muschel – von Bosch wahrscheinlich vorempfunden gemalt – öffnet ihren ungeheuren kalkweissen Bauchschlauch und schlingt – schlingt – schlingt – und ist auch als Muschel nicht gewesen, nur materielle Notdurft einer ängstlich wabernden Traumsubstanz – also Nichts – nichtig !!! Hier können wir nicht weiter – wir Tropfen aus viel Wermut und hauchdünnem Stahl –sogenannte Nirosta-Qualität: »So öffnet doch die Lippen – wer redet ist nicht tot!« – Benn – und doch tot, toot, tooot – wie Poes Valdemar in seiner Auflösung. Tot – ein Wort, nichtig, ein zweites, Sela, vielleicht ein begrüssenswertes drittes! – Wir können hier wirklich nicht mehr weiter, der Autor natürlich auch nicht. Denn wir und er sind »Verblutete unter Bronzeglocken« … »So schäume über, Ewiges! – Ade … Vorbei der Traum … leb wohl mein Saitenspiel!« – Menschheit!!! – mehr Wort und Wollen sind Gott nicht gegeben. –Sela – Psalmenende.

Dieter Volkmann
(* 15. 2. 1934 in Berlin, † 13. 2. 2019 in Minden)