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HITLER UND REICH-RANICKI

Als Lyriker bin ich von Marcel Reich-Ranickis Sendereihe «Das literarische Quartett» persönlich nicht betroffen, denn Gedichtbände werden dort prinzipiell nicht besprochen – offenbar gehört Lyrik nach Ansicht unserer Mafia nicht zur Literatur. Trotzdem muß man diese Erfolgsveranstaltung im Auge behalten.

Am 18. Juni 1999 besprach das Quartett, wie üblich, fünf Bücher. Das wichtigste darunter war eine Neuausgabe des Romans «Der arme Verschwender» von dem Dichter, Arzt und Kafka-Freund Ernst Weiss (1884–1940), der sich in Paris das Leben nahm. Das Buch fiel insofern aus dem Rahmen, als die Mafia sonst immer die deutschen Emigranten ignoriert hatte. Folgerichtig verstieg sich Sigrid Löffler als Stichwortgeberin von Reich-Ranicki zu der Unverschämtheit, das Werk von Weiss als «Unterhaltungsroman mittlerer Qualität» herabzuwürdigen. In der Diskussion fiel ganz diffus der Name Hitler, in dem Sinne, daß eine Nebenfigur des Romans vage Ähnlichkeit mit Mussolini oder auch mit dem «Führer» hätte. Das Wesentliche zu diesem Thema wurde aber nicht gesagt, womit der Beweis erbracht war, daß die Mafiosi gar nicht wußten wovon sie sprachen. Diese unglaubliche Ignoranz sei hiermit zu Protokoll gegeben.

Es handelt sich um den fiktiv autobiographischen Roman «Ich der Augenzeuge» von Ernst Weiss, geschrieben 1939, erschienen 1963. Darin beschreibt Weiss, auch mit Zitaten aus «Mein Kampf», ausführlich seinen Eindruck von Adolf Hitler, insbesondere die Episode, wie ein Arzt (wahrscheinlich Weiss selbst) nach dem Ersten Weltkrieg im Lazarett in Pasewalk Hitler von seiner hysterischen Erblindung heilt. Später wird der Arzt eben deswegen von den Nazis verfolgt, die Hitlers Hysterie geheimhalten wollten.

Der Roman wird in Kindlers Literatur Lexikon (in der Taschenbuchausgabe von 1974 auf S. 4717 f.) behandelt. Das Buch ist auch sonst durchaus nicht unbekannt, denn Walter Mehring, der ebenfalls von der Literaturmafia boykottiert wurde, berichtet in seinem Werk «Die verlorene Bibliothek – Autobiographie einer Kultur» detailliert über den Roman und über seine Freundschaft mit Ernst Weiss. Mehring schreibt (in Kapitel 12) darüber u.a.:

    Und mit Beihilfe einer «Wunderkur» heilt er tatsächlich den schwersten Fall: die hysterische Blindheit des Gefreiten, A. H., nicht aber das Massenmord-Heil, das sein Patient auf der Höhe der Hysterie über sein Volk brachte.

Und in der Nachkriegs-Neuausgabe eines anderen Romans von Ernst Weiss, «Der Fall Vukobrankovics» (rororo-Taschenbuchausgabe von 1973), wird «Ich – der Augenzeuge» schlicht als «Hitler-Roman» bezeichnet.

Somit verbleibt den Mafiosi nicht einmal die Ausrede, sie hätten diese Zusammenhänge nicht kennen können. Im Gegenteil: Wer mit dem Anspruch auftritt, ein Millionen-Fernsehpublikum über Literatur zu belehren, hätte das wissen müssen. Aber das Mafia-Quartett ist einfach selbst so dumm, daß es die Zuschauer nur verdummen kann.

Klaus M. Rarisch
 

 

 

 

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Klaus M. Rarisch bei fulgura frango

 

 

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