Der Berliner Schriftsteller und Publizist Klaus M. Rarisch nahm Anstoß an den Vergabepraktiken und kritisierte vor allem die Tatsache, daß die Namen der Literaturstipendiaten nicht bekanntgegeben werden, im Gegensatz zu den übrigen Kunststipendiaten, die im »Tagesspiegel« nachzulesen sind. Den vorab geführten Briefwechsel zwischen sich und dem Berliner Senator für Kulturelle Angelegenheiten, Dr. Volker Hassemer (CDU) überreichte Rarisch der Fraktion der Alternativen Liste im Berliner Abgeordnetenhaus, um eine parlamentarische Anfrage zur Praxis der Vergabe von Literaturstipendien in Berlin anzuregen. Diese Korrespondenz wurde an den Berliner Schriftstellerverband VS weitergegeben. Dessen zuständiger Funktionär Hannes Schwenger veröffentlichte Passagen aus der Korrespondenz in seinem Mitteilungsblatt, jedoch ohne Rarisch namentlich zu erwähnen. Klaus M. Rarisch dazu: »Die Art und Weise, wie hier wieder einmal ein Außenstehender im Kreis der Kollegen anonymisiert (verniemandet) wird, ist symptomatisch für das Klima der Kulturpolitik in Berlin.« Nachfolgend die Begründung des Senators Hassemer (auszugsweise) vom 27. 4. 1984 zu dem Problem der anonym bleiben sollenden Literaturstipendiaten: »Dle Namen der insgesamt 17 Stipendiaten gebe ich der Öffentlichkeit nicht bekannt, weil ich zum einen vermeiden möchte, daß ein Autor sich aufgrund einer öffentlich bekannten Förderung in irgendeiner Weise abhängig von der öffentlichen Hand fühlt, und zum anderen, um dadurch nicht deutlich zu machen, wer kein Stipendium erhalten hat. Sie wissen vielleicht, daß viele Autoren im Kollegenkreis zwar erzählen, daß sie sich um das Stipendium beworben haben, aber zugleich nicht wünschen, daß das Ergebnis ihrer Bewerbung bekannt wird. Ich respektiere diese Haltung.« Darauf antwortete Klaus M. Rarisch dem Senator am 3. 5. 84 (Auszug): »Wenn von 126 Bewerbern nur 17 ein Stipendium erhalten, ist dies für die 17 ja wohl unbestritten eine Auszeichnung. Zum Charakter einer solchen offentlichen, mit Steuergeldern finanzierten Auszeichnung müßte es aber unbedingt gehören, die Namen der Ausgezeichneten bekanntzugeben. Sie tun dies nicht und geben dafür zwei Gründe an: Erstens wollen Sie vermeiden, daß einer der Ausgezeichneten sich deswegen in irgendeiner Weise abhängig von der öffentlichen Hand fühlt. Dagegen meine ich: Ob sich ein Geförderter wegen der Förderung abhängig fühlt, ist eine Charakterfrage, die allein im subjektiven Bewußtsein des Betreffenden liegt. Der Geförderte weiß ja, daß er eine Förderung angenommen hat und muß das mit seinem eigenen Gewissen abmachen. Was müssen denn das für Menschen sein, denen Sie ein Stipendium geben und von denen Sie gleichzeitig vermuten, daß ihr Charakter nur in der Anonymität Bestand hat?! Zweitens wollen Sie nicht deutlich machen, wer kein Stipendium erhalten hat. Das halte ich für durchaus legitim und ehrenwert. Ich selbst hatte mich in meinem Brief vom 7. April deshalb auch ausdrücklich nicht nach den Namen der Abgelehnten erkundigt. Wenn jemand aber im Kollegenkreis erzählt, er habe sich um ein Stipendium beworben, ist das sein eigenes Risiko; niemand zwingt ihn dazu. Wenn der Betreffende später kein Stipendium erhält und wenn dies allein daraus hervorgeht, daß sein Name nicht in der Liste der Ausgezeichneten auftaucht und wenn er sich deswegen blamiert fühlt, so halte ich den Staat nicht für verpflichtet, diese Blamage nachträglich durch Nichtbekanntgabe der Ausgezeichneten abzuwenden. Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht den Vorwurf ersparen, daß Sie einerseits elitäre Literaturförderung betreiben, aber auf der anderen Seite das damit verbundene Risiko nicht tragen wollen. Dieses Risiko würde darin bestehen, daß die von Ihnen Geförderten später die Erwartung nicht einlösen, die Sie in die Förderung gesetzt haben: nämlich eine literarische Leistung. Wer von 126 Bewerbern 17 fördert, muß das Risiko ubernehmen, daß er die Falschen gefördert hat. Sich hier der öffentlichen Kontrolle zu entziehen, verrät ein mangelndes Demokratieverständnis.« Auf einen vom 20. 11. 84 datierten Brief des VS-Vorstandes Hannes Schwenger an den Schriftsteller Rarisch bezüglich des gleichen Themas »LITERATURSTIPENDIUM« antwortet dieser am 24. 11. 84: »Eine Jury gibt Geldspritzen an anonym bleibende Bewerber. Weil die Preisträger anonym bleiben, entzieht sich die Jury der öffentlichen Kontrolle. Weil die Jury unkontrolliert bleibt, kommen Geschäfte auf Gegenseitigkeit zustande. Das geht so: Der Juror A schanzt unter Ausschluß der Öffentlichkeit dem Bewerber B ein Stipendium zu. Im nächsten Jahr wechseln die Rollen, im Sinne des von Ihnen so genannten »praktikablen Pluralismus«: Jetzt tritt A als Bewerber auf und B als Juror. Dreimal dürfen Sie raten, wie sich nun B gegenüber A verhalten wird. Dieses System vergiftet den Literaturbetrieb, weshalb ich vom »Giftspritzenprinzip« spreche. Ich hatte Sie in meinem letzten Brief nach Kriterien für die Stipendienvergabe gefragt, womit natürlich solche der literarischen Qualität der Bewerber gemeint waren. Sie sind mir die Antwort schuldig geblieben, weil Sie nichts antworten konnten, denn in der Berliner Kulturpolitik sind weit und breit keine Qualitätskriterien in Sicht. Stattdessen befürworten Sie mit dankenswerter Offenheit »wechselnde Vorlieben« der Vergabegremien, also subjektive Geschmacksurteile, also Vitamin B (»Beziehungen«). Nachdem Klaus M. Rarisch auf Einladung der am 28. 3. 1985 stattgefundenen Mitgliederversammlung des VS beiwohnte und nur unter Zeitdruck seinen Tagesordnungspunkt darlegen konnte und sich keine Diskussion mehr ergab (es war nach 23 Uhr), schrieb er einen OFFENEN BRIEF, dessen Abdruck vom VS verweigert wurde. SILHOUETTE bringt ihn auszugsweise, soweit er für den hier behandelten Punkt der Stipendienvergabe aktuell ist: »Die Eröffnung, der VS habe sich neuerdings für (bzw. nicht gegen) die Bekanntgabe der Namen der Berliner Literaturstipendiaten ausgesprochen, wurde durch die Intervention von Aldona Gustas wieder zunichte gemacht. Denn wenn es im Belieben der Geförderten steht, anonym zu bleiben, bleibt dem Mißbrauch nach wie vor Tür und Tor geöffnet. Natürlich ist die Interessenlage von Aldona Gustas klar, ihre Entscheidungen als Jurymitglied nicht öffentlich rechtfertigen zu wollen Mein Einwand gegen Herrn Pforte (Dr. Dietger Pforte ist einmal Kulturreferent und Beauftragter des Kultursenators Hassemer und zum anderen VS-Mitglied, Anmerk. d. Red.): Er befürwortet es, bei der Auswahl der Literaturstipendiaten auch soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Ich halte diese Verquickung von sozialen und kulturpolitischen Aspekten für äußerst bedenklich. Entweder unterstützt der Staat notleidende Schriftsteller, oder er fördert Nachwuchstalente. Beides ist legitim, aber beides ist nicht mit dem Stichwort »Arbeitsstipendien« unter einen Hut zu bringen. Selbst wenn Herr Pforte behauptet, soziale Gründe würden bei der Auswahl nur subsidiär, also bei Vorliegen mehrerer gleichwertiger Manuskripte, berücksichtigt, ist auch das keineswegs stichhaltig. Erstens hätte jeder als wertvoll akzeptierte Autor genau den gleichen (moralischen, leider nicht juristischen) Anspruch auf Förderung. Wird aber hier plötzlich doch der Zufall in Form einer (noch dazu unkontrollierten) Notlage eines einzelnen Autors durch die Hintertür ins Spiel gebracht, führt sich das Jury-Prinzip selbst ad absurdum dann sollte man konsequenterweise gleich die Juries abschaffen und den Zufall per Losverfahren entscheiden lassen. Zweitens bieten die sozialen Aspekte einen weiteren Ansatzpunkt zur Korrumpierung der Juroren, denn soziale Gründe dürften sich bei einigem Geschick immer als Vorwand finden lassen, zumal wenn nach der Vorstellung von Aldona Gustas gerade die notleidenden Stipendiaten nach deren eigener Entscheidung anonym bleiben können. Dagegen wäre bei einem separaten staatlichen Sozialunterstützungsfonds für Schriftsteller die Anonymität der Unterstützungsempfänger natürlich unbestritten conditio sine qua non « Weiter wendet sich Rarisch direkt an Dr. Pforte: »Sie polemisieren gegen die Förderung der Kleinverlage, weil diese überwiegend Selbst- und Selbstkostenverlegern zugute käme. Ich halte das für überzogen, denn man könnte sehr wohl das folgende System praktizieren: der Senat gibt jeweils 50 % der nachgewiesenen Herstellungskosten eines Titels als verlorenen Druckkostenzuschuß an den betreffenden Kleinverlag (der selbstverständlich realistisch, also nicht überhöht zu kalkulieren hätte und eine Auflagenhöhe von maximal 300 Exemplaren ansetzen müßte). Bei strenger Antragsprüfung wäre jeder Mißbrauch ausgeschlossen. Das kommerzielle Risiko bliebe zur Hälfte beim Verlag, der also nicht in Versuchung geführt würde, für den Keller zu produzieren. Die erforderlichen Mittel für ein solches Programm dürften außerordentlich gering sein. Es ist keineswegs ehrenrührig für einen Autor, in einem Selbstkostenverlag zu publizieren. Dies etwa behaupten zu wollen, würde einen naiven Glauben an die Selbstheilungskräfte des Marktes offenbaren. Wir wissen doch alle, daß das kapitalistische Marktwirtschaftssystem gerade auf dem Verlagssektor munter im Begriff ist, die seriöse Literatur zu ruinieren.« Ich distanziere mich von allen unsachlichen Angriffen gegen meinen Mitarbeiter und Kollegen Klaus M. Rarisch. Art und Inhalt einer Aussage müssen dem jeweiligen Autor überlassen bleiben, wenn er die literarische Form beherrscht. Rarisch ist ein Meister der Form. In ihm steckt m. E. ein gehöriger Schuß teuflischer Genialität. T.B.Z. Wie vom Senator für Kulturelle Angelegenheiten in Berlin zu erfahren war, sind in diesem Jahr (April 1985) zum erstenmal die Namen der Stipendiaten öffentlich (Tagesspiegel) bekanntgegeben worden. Erschienen in
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