Klaus M. Rarisch zu "Sonette an tOrpheus" von Rudi Faßbender

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Betreffs der »Sonette an tOrpheus«
von Rudi Faßbender alias Rainer M. Ricken
merkt Klaus M. Rarisch unterm 5. 2. 2004 an:

Die »Sonette an Orpheus« sind zweifellos Rilkes letztes Wort über Sinn, Zweck und Technik der Dichtkunst; es geht darin für Rilke um einen (oder den) wesentlichen Lebensbereich. Rudi Faßbender hat nun eine Dislozierung vorgenommen, hat die Tempelsphäre auf das Fußballfeld verlegt, und zwar mit kabarettistisch-parodistischer Intention, wie Robert Wohlleben überzeugend nachweist. Mich läßt der Fußball kalt, nicht aber Rilke. Wo Rilke groß ist, erkenne ich das neidlos an.

Das Orpheus-Sonett Nr. l,VII beginnt mit dem Satz »Rühmen, das ist’s!« Faßbender hätte das so parodieren können: »Treffen, das ist’s!« (Nämlich das gegnerische Tor.) Läßt man sich aber auf Rilkes Intention ein, nämlich das Wesen und die Bestimmung des antiken Urpoeten zu ergründen und zu verherrlichen, so könnte dies nicht kürzer und stringenter formuliert werden, als mit dem zitierten Sonettanfang. Orpheus ist für Rilke ein Berufener: »Ein zum Rühmen Bestellter«, wie die Fortsetzung des ersten Sonett-Verses statuiert. Auch dies wäre kinderleicht zu parodieren, etwa nach dem redensartlichen Schema »bestellt und nicht abgeholt«; wer will, mag sich an solchen Spielchen ergötzen. Man kann aber auch, umgekehrt, einmal versuchen, Rilke ernst zu nehmen. Dazu muß man sein Sonett zunächst formal analysieren. Das Reimschema (mit isolierten Quartetten) ist locker und lautet: abab/cdcd//eef/ggf. Unreine Reime finden sich nicht; wohl aber ist der e-Reim schwach, weil auf ein inhaltlich bedeutungsarmes Wort gereimt wird (»Moder / oder«). Das daktylische Metrum Xxx Xxx Xxx X wird schon im 2. Quartett nicht durchgehalten (abweichend Verse 5 und 7) und löst sich in den Terzetten bis zur Unkenntlichkeit auf. Den eigentlichen Zusammenhalt bildet der aparte Vokalismus: das im Deutschen relativ seltene betonte »ü« ist in den Quartetten viermal, in den Terzetten sogar fünfmal vertreten – eine schöne lautliche Steigerung. (Die ü-Lautung setzt sich übrigens in dem folgenden Sonett Nr. l,VIII fort: achtmal »ü«, einschließlich des »y« in dem Wort »Nymphe«, Vers 2.) Ist also die Nr. l,VII formal so unangenehm locker wie eine zerbröckelnde Statue, ermüdet die verbale Wiederholung (Rühmen / Rühmen / Rühmung / rühmlichen) das Ohr des sensiblen Lesers. Ich wenigstens hatte den vernichtenden Eindruck, der großartige Beginn »Rühmen, das ist’s!« sei im weiteren Verlauf leichtfertig verschenkt worden, warum auch immer. Daher wollte ich beweisen, daß man zum selben Thema auch formal makellos sonettieren kann – kurz: ich wollte Rilke nicht parodieren, ich wollte es ihm (und den unkritischen Rilke-Anbetern) zeigen!

Ich wählte deswegen das Rilke-Zitat »Rühmen, das ist’s!« als Titel meines Sonetts (GEIGERZÄHLER, S. 88). Eben weil ich nicht parodieren wollte, mußte ich auch die Fehler und Unregelmäßigkeiten Rilkes nicht imitieren. Vielmehr wird die Form bei mir ohne die geringste Abweichung gehandhabt: Metrum durchgehend fünffüßiger Jambus; Reimschema abba/abba//ccd/eed; mit der Feinheit, daß d und e reiche Reime darstellen und daß die Verse 9/10 zusätzliche Binnenreime bringen (Früchte / Gerüchte). – Fazit: nicht Parodie, sondern Zitat, um den Zitierten zu retten.

 

RÜHMEN, DAS IST’S!

Laßt mir, was mein! Ich lasse euch, was euer,
die Titel und die Preise und die Macht,
die sachte Fahrt empor im Fahrstuhlschacht,
den Scheinbegriff des Seins, den Griff zum Steuer.

Scheint euch die Gegenseitigkeit geheuer,
mit der ihr rühmt, was Niedertracht vollbracht?
Was ich getan, gefühlt, geträumt, gedacht,
rührt niemals an den Ruhm der Nichtsbereuer.

Genießt die Früchte, strahlend goldbemalt;
es sind Gerüchte, daß ihr dafür zahlt,
sonst wären längst schon eure Kassen schlapp.

Ihr glaubt, nach eurer Würde gieren muß,
wer arm und abseits vegetieren muß?
Ich brauche nur den Platz im Massengrab.

Klaus M. Rarisch:
Die Geigerzähler hören auf zu ticken,
Seite 88

 

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