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Georg Trakl
 

IST TRAKL
NOCH ZU RETTEN?

Von Klaus M. Rarisch
 

IN DER HEIMAT

Resedenduft durchs kranke Fenster irrt;
Ein alter Platz, Kastanien schwarz und wüst.
Das Dach durchbricht ein goldener Strahl und fließt
Auf die Geschwister traumhaft und verwirrt.

Im Spülicht treibt Verfallnes, leise girrt
Der Föhn im braunen Gärtchen; sehr still genießt
Ihr Gold die Sonnenblume und zerfließt.
Durch blaue Luft der Ruf der Wache klirrt.

Resedenduft. Die Mauern dämmern kahl.
Der Schwester Schlaf ist schwer. Der Nachtwind wühlt
in ihrem Haar, das mondner Glanz umspült.

Der Katze Schatten gleitet blau und schmal
Vom morschen Dach, das nahes Unheil säumt,
Die Kerzenflamme, die sich purpurn bäumt.

Georg Trakl (1887–1914) gehört zu den überschätzten Lyrikern mit mangelhaftem Formbewußtsein. Seine Sammlung »Gedichte« (Schriftenreihe »Der Jüngste Tag«, Leipzig, Kurt Wolff Verlag 1913, als Faksimile-Nachdruck: Band 1, S. 177–239) enthält u. a. fünf Sonette, davon eines mit isolierten Quartetten und vier anderweitig fehlerhafte. Auch das beste dieser fünf, »IN DER HEIMAT« (S. 226), ist metrisch und reimtechnisch durchaus mängelbehaftet. Vers 6 wäre leicht zu korrigieren: Das ohnehin überflüssige »sehr« wird gestrichen. In Vers 3 sollte es statt »goldener« nur »goldner« heißen, analog zu »mondner« (Vers 11). Das »wüst« (Vers 2) könnte durch ein lang auszusprechendes »trist« ersetzt werden. Das »fließt« (Vers 3) ist mit dem »zerfließt« (Vers 7) klanglich identisch. Sauber gereimt und inhaltlich wesentlich kühner wäre hier »schießt«, entsprechend dem vorangegangenen »durchbricht«: Wenn ein Strahl das Dach durchbrechen kann, sollte er auch auf die Geschwister schießen können. – Interpretieren mag der Leser selbst das Sonett.

Berlin, Juni 2010

     

 

Klaus M. Rarisch bei fulgura frango

 

 



 


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