Wenn die Literaturzeitschrift »Zirkular / Am Zeitstrand« in einer Überlegung zum Büchnerpreis erklärt, daß Klaus M. Rarisch ein würdiger Preisträger sei, kann ich mich dieser Ansicht nur anschließen. Als einer, der selber erst in diesem Jahr, als 66jähriger und nach mehr als zwanzig Buchpublikationen, einen literarischen Preis bekam, habe ich die Praxis der Preisvergabe immer wieder mit Verwunderung beobachtet dreißig Jahre lang war ich, sozusagen hauptamtlich, für Literaturkritik im Fernsehen zuständig und habe mit einer Anti-Bestsellerliste, mit der »Bestenliste« der 35 deutschsprachigen Juroren, gegenzusteuem versucht und hatte festzustellen, daß fast alle Preise mehr oder weniger ein Echo auf das Geschehen im »Betrieb« waren. Autoren und Autorinnen, die schon gehört und gelesen wurden, deren Bücher auf den Rezensionsseiten Beachtung gefunden hatten, fanden über kurz oder lang auch eine Jury, die ihnen einen Preis zusprach, der Erfolg wurde mit Erfolg gekrönt.
Die Qualität eines Literaturpreises würde sich aber darin auszeichnen, daß nicht der Lärm des Betriebs, der Auflagen und öffentlichen Beachtung ausschlaggebend ist, sondern literarische Qualität und nichts sonst. Ein solcher Fall, sozusagen in Reinkultur, läge vor beim Sonettisten Klaus M. Rarisch. Seine lyrische Lebensarbeit beobachte ich seit vielen Jahren und sehe, daß er in all diesen Jahren unablässig ein bewundernswertes Niveau wahrt. Ausgerechnet in der strengsten Form der Sprachkunst, im Sonett, erreicht Rarisch seit je überraschendste Leichtigkeiten, schwebende Rhythmik, ohne daß ich ihn bei diesem hohen Spiel mit den eisernen Regeln irgendwann bei einer Nachlässigkeit hätte beobachten müssen. Ausgerechnet die scheinbar starren Vorgaben der Sonett-Regeln erfüllt er aber inhaltlich nicht etwa mit sinistrer Sprödigkeit oder mit antikisierender Thematik, sondern die offenbar gestrige Tradition verlebendigt er auf immer wieder überraschend neuen Wegen mit Themen und Stoffen und Fragen, die auch und gerade für Menschen im dritten Jahrtausend als denkwürdig gelten, da geht es um Privatheit wie Politik, um hintersinnig Groteskes wie um nervige Erotik wie um existentielle Zerrissenheit. Was immer einen bewußt lebenden Menschen hier und jetzt umtreibt, Rarisch findet dafür präzise und bewegende Bilder und Parabeln, findet sprachliche Lösungen in der anspruchsvollsten Form.
Der Büchnerpreis würde mit der Entscheidung für einen Lyriker wie Klaus M. Rarisch nicht nur eine Entdeckung leisten, sondern zugleich zu einer sinnvollen Diskussion über unseren literarischen Betrieb führen, würde sich selber auszeichnen als eine Institution, die sich frei weiß vom Mainstream der Feuilletons, würde einen ähnlichen Effekt auslösen wie etwa die Preisvergabe an Albert Drach, die bei den Lautsprechern bekanntlich auf energischen Widerspruch stieß und die doch die Aufmerksamkeit auf ein besonderes literarisches Lebenswerk lenkte, das sich bei näherem Hinsehen ebenfalls als ganz und gar preiswürdig erwies.
im Dezember 2002 |