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Peter von Matt:
Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist.
München/Wien: Carl Hanser Verlag 2006. 499 Seiten.


Wegen seiner Teilnahme als Juror an der Mafia-Veranstaltung »Bachmann-Wettbewerb« in Klagenfurt war mir Peter von Matt zuvor unangenehm aufgefallen. So hätte ich vielleicht sein neues Buch nie gelesen, wenn es mir mein Freund und Schwager Aribert nicht zum Geburtstag geschenkt hätte. Und was wäre mir dadurch entgangen! Jeder Literaturfreund sollte dieses großartige Buch lesen. Ich sage das ganz uneigennützig, denn über Lyrik erfährt man darin nichts – aber dafür desto mehr über Epen, Dramen und Romane, von prähistorischen Mythen bis hin zum modernen Kriminal- und Spionageroman. Der Autor, weit entfernt von akademischer Besserwisserei, weiß tatsächlich mehr als wir alle. Er schreibt flüssig und verständlich, übersetzt z.B. alle fremdsprachigen Zitate wie nebenbei. Er scheut nicht zentrale griechische Begriffe, wenn seine Theorie dies erfordert, aber er erläutert alles sehr genau. Insgesamt bietet das Buch eine umfassende Kultur- und Literaturgeschichte anhand überzeugender Beispiele aus der Intrigenforschung, die der Autor hier eigentlich erst begründet und entwickelt. Der vielschichtige Begriff der Intrige bildet ein Netz, mit dem der Autor das Leserinteresse leise und unaufdringlich einfängt. Seine brillanten Beobachtungen führen zuweilen auch über den Kernbereich der literarischen Intrige hinaus. So schreibt er (S. 380) über Schillers »Maria Stuart«:

 

Wie konnte ihm das Stück unter den gestaltenden Händen zum Gegenteil dessen werden, was ihn am Plan fasziniert hatte? Zwei Raubkatzen wollte er aufeinander loslassen, am Schluß stand eine tränenweiche Heilige einer Teufelin gegenüber. Schiller bediente das moralische Begehren des zeitgenössischen Publikums. Zu seinem Genie gehörte das instinktive Wissen um den theatralischen Effekt. Er wollte beides, das reine Kunstwerk und die hingerissenen Zuschauer. Das reine Kunstwerk hätte er über das ursprüngliche Konzept wohl gewinnen können, nicht aber die hingerissenen Zuschauer. (…) Man spürt beim Lesen des Stücks die Lust des Autors, die Gefühle des Publikums zu wecken, zu steigern, über sie zu verfügen wie der Orgelspieler über seine Pfeifenreihen.

Wer hätte von einem Literaturwissenschaftler die köstliche Ironie dieses versteckten Vergleichs erwartet: »Pfeifenreihen« = Theaterzuschauer in ihren Sitzreihen! Zugleich konstatiert Peter von Matt eine Wahrheit, die oft bestritten wird und die, mehr noch als für das Drama, besonders für die Lyrik gilt: daß l’art pour l’art und Engagement keine Gegensätze sein müssen, sondern einander ergänzen können.

Von der Vielzahl der Autoren, die behandelt werden, seien hier nur die wichtigsten genannt: Aischylos / Balzac / Thomas Bernhard / Calderón / Canetti / Corneille / Dante / Euripides / Frederick Forsyth / Goethe / Graham Greene / Heine / Highsmith / Hofmannsthal / Homer / Ben Jonson / Kleist / J. M. R. Lenz / Lessing / Luther / Machiavelli / Molière / Nietzsche / Schiller / Friedrich Schlegel / Shakespeare / Sophokles / Strindberg / Zola.

Was wäre schließlich noch zu wünschen? Das baldige Erscheinen einer preiswerten Taschenbuchausgabe!

Klaus M. Rarisch


 

Rechte bei Klaus M. Rarisch