In Robert Wohllebens Verlagshaus wird nur anfallsweise gearbeitet. In winziger Auflage erscheinen aufwendige Drucke in gefalteten Bogen, die jeder Leser noch selbst aufschneiden muß. Aber sie haben keine Fadenheftung, sondern werden mit stinknormalen Heftklammern zusammengehalten. In diesem Widerspruch bewegen sich auch Wohllebens Texte. Sie sind gebildet und kommen aus luftiger Geisteshöhe, aber es sind auch schlichte Schimpfereien und Meckerarien, wie sie vielleicht jeder leise bei der Arbeit von sich gibt, so bald man sich allein wähnt. Verlagsbestseller ist das kleine rote Heft »Donnerwetter«, eine wohlfeile Sammlung von lauter Wetterklagen. Das Heftchen muß eine ausgezeichnte Hilfe im Urlaub sein, denn es enthält lauter Postkartentexte. »Ein starkes Stück ist das Wetter in Osnabrück. Keinen Trost bedeutet das Wetter in Soest. Des Lebens höchste Güter roh vermiest uns das Wetter in Gütersloh« und so weiter. Hamburg wird in Stadtbezirken sortiert geboten: »Das Wetter am Schlump ist einfach nur plump. Das Wetter am Grindel ist plumper Schwindel. Es lohnt sich das Verschrotten kaum fürs Wetter am Rothenbaum ....« So weit mein Auge blicken kann, stimmen Wohllebens und Rarischs Wetterberichte. Sie stimmen immer. Dieses Buch Donnerwetter nimmt man sich eben nur bei entsprechenden Witterungslagen vor und es stimmt irgendwie immer. Mit dem Wetter hatte dieser Dadanachfolger Wohlleben es überhaupt. Gestern abend trug er noch den Seewetterbericht des Nordeutschen Rundfunks nur geringfügig variiert als Gedicht vor und während er ihn las, wurde mir wirklich ganz und gar eigenartig. Wer je nachts diesen Seewetterbericht gehört hat, dem ist schlagartig klar: Ich war nicht allein und es war ein Gedicht, dem ich da gebannt gelauscht habe. Beim Zuhören kämpfen zwei Wünsche miteinander: Hoffentlich hört das bald auf und: das soll bitte nie aufhören. Und je öfter ich den Seewetterbericht jetzt gehört habe, desto lieber wird er mir und desto mehr entdecke ich darin. Inzwischen habe ich Lieblingsstellen, bei denen mir das Wetter besonders gut gefällt. Das ist nicht zu erklären. Der Text hat so ein ungeheuer starkes Pathos, ohne pathetisch zu sein und es kommen eben die ganz großen Dinge des Lebens darin vor. Mir imponiert das, wie jemand vor so einem Seewetterbericht einfach den Hut ziehen kann. Aber nicht einmal das läßt Wohlleben auf sich beruhen, er montiert schwülstige Texte dazwischen, die das enthüllen, was der einsame, aber traditionsbewußte Radiohörer nachts vor dem Empfänger denken mag: Na, wie geht es dem Seemann da draußen in eisigem Wind mit seinen klammen Kleidern? Das ist Bluff, es tut so, als ob Sinn entstände und verrät sich an der nächsten Straßenecke, um sich sinnträchtig sofort wieder von hinten anzuschleichen. Ich will mich ja gerne mit meinem Faible für den Seewetterbericht auslachen lassen. Aber für mich ist das viel eher ein Gedicht, als wenn Sarah Kirsch ihren Einkaufszettel veröffentlicht. Robert Wohllebens Texte sind Wohnstubengedichte im Freundeskreis vorzutragen. Dort vermehren sie sich und es werden dann Texte daraus, die bekannter werden und leichter zu repetieren sind. Es sind Nährbodentexte, aus denen andere Suppen kochen können. Annemarie Stoltenberg NDR Hamburg-Welle, Abendjournal 6.9.90 |
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