Robert Wohlleben:
Kalenderverse
28.2.1965
JANUAR
Aus Echotag, aus Widerständen,
aus diesem Ruf, aus jenem Lied
beginnt dein stilles Abwärtswenden,
bis alle Lautung weiterzieht.
Allein sein, den Bezirk durchstreifen
(zu trüb und weglos dies Gebiet),
die Augen schließen, schwer begreifen,
wozu der Blick noch Kreise zieht.
II
Zuletzt noch am Abend sich häutend,
schwirrt die Helle im Bart,
die letzte: abwärtsdeutend,
schwer und ausgespart.
Du hast dir zugestanden,
was kaum ein Wort aufwiegt:
Zustand (das umranden,
was längst im Schatten liegt).
FEBRUAR
Die Haut der Welt so grau wie Himmels Haut.
Die Zeile Deich beschreibt, mit einem Grate,
das ganze Feste, fern und im Ornate
der Windverformung niedrig hergestaut.
So weit gekommen: kaum ein Atmen weit.
Am Stack beginnt, von Möwenruf beschieden,
geringer Hinterlassenschaft der Tiden
Vergang in Sprüchen gegen Endlichkeit.
MÄRZ
Die der Nacht entstammten
Opale der Luft in Krallen,
entblößt seine schwarz und weißen
Räuden der März. Sehr samten
respondierend, zerfallen,
ernst und blutbitter, gleißen
nachts Opale in Krallen.
APRIL
Bösen Text hat dir der Mond
ins Haar geträuft. Noch schläfst du rot,
doch steinern dort, wo sturzbedroht
dein stummer Hüter flußwärts wohnt.
Als starrer Tag noch Furchen zog:
der Furche sproß aus Furchen Wut,
wenn ich ins Fleisch dir Furchen zog,
gefurchten Tanzplatz deiner Brut.
Bald flicht sich durch dein Haar ein Zug
von Galle, Samt und Rückwärtsruf:
wer dir den Blick im Auge schuf,
in Fesseln schlug und flußwärts trug.
MAI
Wenn ich atme, die mich narrte,
mir um Bart und Kehle ging,
Luft, worin der Park erstarrte,
steif und grün im Laubwerk hing,
grün und lichtbetäubt, erneue
Krautgeruch von Tod sein Spiel,
mich zu finden, wo der scheue
Bronzenarr im Licht zerfiel.
JUNI
Wenn Du mir mit spitzen Fingern
Falter von den Brauen nimmst,
wenn die Regen-Dinghis schlingern,
weil Du gern durch Milch-Glas schwimmst,
wenn Du meine Stirn beschriftest
mit so kleiner Terz von Moos,
wenn Du schließlich atemlos,
weil Dus gern tust, nachtwärts driftest,
nenn ich Dich mit kleinen Scherben,
buntem, hartem Glasdekor,
tief in Dein Oktaven-Ohr
Kauri-Muscheln einzukerben,
fang ich Dich Du triebst sonst weit!
fang ich Dich in Regenzeit.
JULI
Der Mond lockt mich ins Nachtbordell,
die Sternlein glitzen geil,
der Südwind kämmt sein Silberfell,
der Nordsturm wetzt sein Beil.
Mich rührt nicht, wie er tobt und hackt,
was schiert mich, was er ruft:
die Nachtfee zeigt sich weiß und nackt,
hat einen Bauch von Luft,
hat Schenkelhärchen von Monsun
und Brüste von Passat,
lehrt meine Hände Tänze tun
im sanften Hautquadrat.
AUGUST
Kommst du im Wind,
krümmst mir das Haar
ein irdisches Kind,
verwandelbar.
Brise frischt auf,
umlaufend gar
im Strömungsverlauf
von Haut und Haar.
SEPTEMBER
Wir wollen sehn, wies dem gestrigen Abend geht.
Ach er treibt sich schon, wo in Haustierfellen
Himmelslichter umeinandergehn, im Feld herum,
zaundurchspannt in schwarzer Perspektive.
Wir wollen sehn, wo der gestrige Abend geht.
Ach wir müssen ihn rufen mit zahlreichen Wimpeln,
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die ihm zeigen, was ihm eignet, seine
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Hinterlassenschaft:
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Übelwollen, Nußschalen, Mückenlied, Rauch.
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OKTOBER
Der mir nachspürt, partisanen
allwärts Buschgefilz durchspäht,
blasser Wind, der meine Fahnen,
übers Haupt gehißt, verdreht,
kommt von früh (wie roch von Bränden,
wo er herstammt), kommt von weit
(Rauch zog lange in Geländen,
abgemähten), kommt zur Zeit,
was auch hier mich zünden, sengen,
äschern will, Geglimm zum Brand
anzufachen, Festgepränge
mir zu richten, Glutgewand.
NOVEMBER
Zugewogen wird mir Licht,
das aus Hausfasssaden bricht,
mir in meine Traumgrimassen
Silberadern einzulassen.
Grammweis wird die Kostbarkeit
»Trauerflor und Herzeleid«,
pfirsichhäutig, zugemessen,
kühlen Herzens spät vergessen.
DEZEMBER
Pest o weiseste Sibylle!
groß wie Tollkraut, Schierling, Mohn,
unsre zärtlichste Idylle
ziert enthäutet deinen Thron.
Fortan träumt uns schwarz ein rundes
Siegeszeichen, wie dus trägst,
wenn du uns zerfallnen Mundes
unsre Träume widerlegst.
Kalender-Montage von Waltraut Körner
Rechte bei mir
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