Robert Wohlleben: Sonett funktioniert die Form? |
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7. Rätsel |
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Ich kenne das längst, und da ich mich nicht anzupassen gedenke, Rücksichtnahme mir insofern fremd ist, sind mir Ankreidungen hinsichtlich Schwerverständlichkeit eben «egal». Mehrfach kam im Anschluß an Lesungen die Frage, was ich denn brotberuflich treibe, lange Jahre mit der Auskunft: Sprachunterricht für Flüchtlinge und Spätaussiedler, mein Fach also «Deutsch als Fremdsprache» stets ein sicherer Lacher. Ursachen dafür ? Vielleicht bereits die metallurgischen Zeitschriften und Bücher in einem großväterlichen Bücherschrank. Aus dem ich auch verfrüht? Andersens Schneekönigin vorgelesen bekam. Später dann war eigentlich Chemie mein Traumstudium. Nicht gegen den elternhäuslichen Widerstand durchgesetzt. Drei Jahre in der Redaktion der Monatszeitschrift «Erdöl und Kohle Erdgas Petrochemie» waren wohl weitere Verstärkung. So geraten mir Versuche, gedankliche Zuständlichkeiten zu beschreiben, immer wieder in Physikalismus. Klaus M. Rarisch stellte fest:
Ich weiß ja, daß ein Wort wie Tesserakt für Verständnisschwierigkeit verantwortlich eher schwer in gängigen Nachschlagewerken zu finden ist. Aber wenn ich es doch habe und BRAUCHE?! Warum sollte ich Teile meines Wortschatzes rücksichtsvoll verstecken, daß sie von Motten und Rost gefressen werden? Handreichende Fußnoten zu etwaiger Abhilfe würden das Seitenbild zerstören, angehängte Erläuterungen so betulich schwerfüßig dahergetappt kommen. Und außerdem: Wo anfangen mit Erklärung und wo aufhören? Deshalb laß ichs eben.
Kurz: Wie der Schatten eines Würfels eine Fläche in Form eines Quadrats sein kann, wäre der Würfel der «Schatten» eines Tesserakts. «Tesserakt» war erstes Wort und Keim des betreffenden Sonetts und hat zu tun mit meinem Eindruck von der Seelengestalt des angesprochenen Gestorbenen über dreidimensionale Geometrien hinaus. Wörter müssen nicht unbedingt aus esoterischem Wortschatz herstammen, um Rätselwörter zu sein. Fach- oder Sondersprachen reichen schon. Die «bar-code beauty» aus dem Sonett «Consuming Passion» von Roger Woddis wurde in meiner deutschen Annäherung zum «Bar-Code-Mäuschen», weil ich mir sagte, es dürfe bei der Supermarktkassiererin an ihrer computerisierten Scannerkasse getrost etwas technoider zugehen. Da war dann die Vermutung zurechtzurücken, der Bar-Code könne etwas mit dem Verhalten in einer Bar zu tun haben. Der halbwegs eingedeutschte Strichcode hätte vielleicht nur halb geholfen und möglicherweise dann doch in ganz falsche Richtung geführt. Ich erinnere mich an eignes Rätseln angesichts des Schildes «Kein Musikzwang» an der Eingangstür eines Wiener Cafés. «Musik» und «Zwang» jedes für sich eigentlich kein Problem, aber die Kombination erschloß sich mir überhaupt nicht. Von ortsansässigen Freunden die Auflösung: In diesem Café ist man nicht gehalten, für die dort handgemachte Musik extra etwas zu zahlen. Ähnlich mags andren mit dem Kernwort des folgenden Sonetts gehen:
Um die Schamwand herum ist das Sonett entstanden. Das Wort zog bereits die Nachfrage an, ob es sich dabei um einen anatomischen Begriff handele. Eine ähnliche Bedeutungsrecherche also, wie sie mir seinerzeit angesichts des Musikzwangs aufgegeben war dort, wo Freud, Adler und besuchsweise Jung umgegangen waren, leicht als Begriff etwa aus der Psychopathologie zu vermuten. Nun aber die Geschichte. Ich hatte das Wort durch Klaus M. Rarisch kennengelernt, als er mir von behördlichen Lästigkeiten im Zusammenhang des von ihm mitbetriebenen Literaturclubs «Das Massengrab» erzählte. Dort hatte die auf Skepsis, Mut und Pazifismus gebaute Literaturrichtung des «Ultimismus» ihren Platz. Eine Auflage bestand darin, zwischen den Urinalen in der Herrentoilette eben diese Schamwand anzubringen. So fand der hinreißend absurde Begriff aus der Sanitärtechnik den Weg ins Massengrab-Sonett für Klaus M. Rarisch. Für eine weitere Art von Schwerverständlichkeit diese Beispiele:
Titel: Umkehrung eines Bildtitels meines Freundes Frank Böhm. Nachgeborne Hammel: Kalauer mit Mouton Cadet. Sächsisch entstelltes Loco sigilli (aus Johann Gottfried Schnabels Insel Felsenburg entliehen). Aus der Sprache der Überseeverschiffung «free on board» und «cost, insurance, freight». Einsprengsel von Plattdeutsch, die stets für «Hermetik» gut sind. Möglicherweise ergibt sich ja aus solcherlei Kombinatorik eine Art Privatsprache ? Ganz und gar «hermetisch» wäre dann wohl mein bisher einziges plattdeutsches Sonett:
Das nächste Beispiel hat eine Vorgeschichte in drei Schritten und Sonetten. Ein Sonett von Klaus M. Rarisch steht am Anfang, fünfhebige Zeilen mit Auftakt und schönem Wechsel von «männlichem» und «weiblichem» Reim, zweimal abba, zweimal ccd gereimt, also mit nur vier Reimen auskommend. Ansonsten Paraphrasierung von innen- und weltpolitischer Lage:
Albrecht Barfod von ihm die Meiendorfer Drucke «Alp und Ohm» (Nr. 24) und «Einschlafstörungen» (Nr. 52) griff das Motiv auf und fokussierte dabei auf den entsprechend grassierenden Alltag. Das Kunststück: exakt dieselben Reime mit anderem Wortmaterial «stallen» gegenüber «bestallen» soll gelten (von der so ganz andren Bedeutung gerechtfertigt).
Die beiden Sonette gingen in den Meiendorfer Druck «Mauerwerk» (Nr. 26) ein. Irgendwann danach ging mir eine Postkarte mit folgendem Sonett eines Anonymus zu:
Zum dritten Mal dieselben Reime mit wiederum anderen Wörtern. Ein expressionistisches Impromptu, in dem sich das poetische Ich fünf Faden tief und wie im «Waste Land» in Meerespreziosen zu zerlegen scheint. Sogar die von Rarisch mit den abstürzenden und entzwei gehenden Bibliothekaren vorgegebene Wortzerspaltung nach dem Vorbild von Wilhelm Buschs Maikäfer ist abermals bewahrt. Ganz klar und deutlich ein spielerischer Wettstreit, dem ich mich nicht entziehen konnte:
Mit den Reimen auf o wirds deutlich schon schwieriger, so daß ich mir dreimal mit französischem Namens- und Wortgut helfe. Plattdeutsches Ingrediens ist durch Mauerlos III vermittelt: Dort «Lot mi an Land!», hier «blief mi af!» sind schlicht synonym, bereiten die abschließende Rückflucht in die verlorene Kindheitswelt Klaus Groths vor. Im übrigen ist im «Großen Heraus» und im «für weit weniger als Dritte verständlichen Lied» ganz persönliche Praxis kaleidoskopisch jonglierter Wortbedeutungen bewahrt wie in Gedichten von Anfang der Siebziger. Damals riß ich Texte bis ins Wort hinein kaputt. Mit einer Dada-Attitüde in Nachahmung, wie sie damals längst mit baemu suti im gehobenen «parlor game» angekommen war, hatte es, meine ich, wohl nichts zu tun wobei Dada ja mit seiner Neukonzeption von Spiel-Schaltplänen durchaus noch wirksam ist. Eine Passage aus «Veilchen und Mährrettich», dem Meiendorfer Druck 3, stehe als Beispiel:
Meine Vorstellung: damit ein Äquivalent zu geben zu «teilabstrakter» Malerei und Graphik wie von Jan Voss und Robert Rauschenberg oder gar zu Bernard Schulze mit seinen wuchernden Migofs. Wo aus unentzifferbarer Figuration erkennbar bis scheinbar Gegenständliches sich andeutet bis zeigt. Was DIE sich an Freiheit nehmen, möchte ich mir auch gestatten keineswegs in allen meinen Sonetten so auf die Spitze getrieben wie in den soeben vorgeführten Extrembeispielen. Gut, damit ist von Fall zu Fall auch Ablehnung oder Abwendung verwirkt aus gutem Recht, weil ja niemand gezwungen ist, sich auf alles und jedes einzulassen. Gelegentlich gerät die Distanzierung aber auch zum mehr oder weniger eingeschnappten Vorwurf. Nicht nur Dada, Merz und die Ungegenständlichen haben erlebt, was es bedeutet (und bedeuten kann!), jemanden an die Grenze sicheren Mitvollziehens zu führen. Im Falle bildnerischer Erzeugnisse waren dann wenns glimpflich abging gern die Affen der Maßstab für die vermeinte Qualität, bei sprachlichen und für Affen weniger machbaren mehr die «Verrückten». Wie gut traf es sich da, daß 1957 Desmond Morris Ethologe und Verfasser von «The Naked Ape» den im Londoner Zoo beheimateten Schimpansen Congo zum Malen anstiftete einzelne der rund 400 Gemälde aus diesem Experiment sind in die Sammlungen etwa von Picasso, Miró und Prince Philip gelangt und erzielen gelegentlich auch heute noch stattliche Preise. Zur gehässigen Genugtuung eines entsprechenden Öffentlichkeitssegments. Ernst-Jürgen Dreyer ist diesem Zusammenhang in einem Sonetto caudato nachgegangen:
Nun gut, das schafft er nicht. Seine Stelle übernehmen vielleicht Computerprogramme: Gedichtgeneratoren. In den ausgehenden fünfziger Jahren und noch mit Röhren-Rechnern experimentierte eine Gruppe um Max Bense mit automatischer Texterzeugung einer altehrwürdigen Idee. Manfred Krause und Götz F. Schaudt ließen 1967 ihre mit einem ALGOL-Programm produzierte «Computer-Lyrik Poesie aus dem Elektronenrechner» erscheinen. Im Begleittext zu den vergleichsweise mageren Beispielen («Affen kreischen heimlich Meineide») ziehen sie eine enigmatische Celan-Passage mitsamt der von Hans Egon Holthusen gelieferten Interpretation heran und haben mit der Frage, ob «nicht über Computer-Lyrik ähnliches gesagt werden» könnte, wohl etwas wie den auf Unterscheidung von menschlicher und maschineller Intelligenz zielenden Turing-Test im Sinn. Anders aber als beim beliebten Vergleichsspiel mit «action painting» und «monkey painting» sind Krause und Schaudt anscheinend stolz auf die gelegentliche Annäherung an Texte menschlicher Dichter und nicht drauf aus, diesen mit dem Hinweis «Das kann ein Computer auch» abzufertigen. Das Enigmatische ich kann sagen, daß eigentlich alle meine Gedichte und das ist ja nun nichts Besonderes über ihre Wörtlichkeit hinausreichen, also voller Geheimnisse stecken. Im Falle von Anspielungen oder Bezugnahmen bemerk- und lösbar, sofern der anklingende anderweitige Textzusammenhang, Um- oder Gegenstand bekannt. «Die Arme sind vom Tragen all der Tüten / so lang und müde, daß die Hand schon krampft», heißt es im Sonett vom Einkaufen im Supermarkt. Lehrhafte Stellennachweise (sofern ichs denn selbst weiß und nicht etwa einer «Kryptomnesie» aufgesessen bin) hätten für mein Empfinden was Peinliches. Vielfach hat aber Geheimnis zu bleiben, was in Erlebtem gründet. Das dann erklären zu wollen wäre wohl ziemlich rettungs-, wenn nicht taktloser Versuch. «Schau: Der Geist der toten Brasse», heißts in einem Sonett nach einer Deichwanderung an der Elbe oberhalb von Hamburg. Zugrunde lag da ein von Möwen angefreßner toter Fisch verschwiegen zuvor der tote Igel, weil es die mit dem Gedicht Angesprochene als mehrfache Igelretterin getroffen hätte (aus diesem Grund hatte ich sie auch gar nicht darauf hingewiesen). Ebenso verschwiegen die Beschaffenheit der Luft, von einem minimalen Hauch Kabelbrand durchzogen, denn die Adressatin hätte es bestimmt nicht gerochen und vertrug es nicht gut, an dies Defizit erinnert zu werden. An anderer Stelle: «an uns vorbei ein Krad (erwischt uns nicht)». Dies schwarze Motorrad mit dem Fahrer in schwarzer Montur mußte ins Gedicht, denn als er auf uns zu raste, so daß wir von der Straße weg den Deichhang hinauf flüchteten, sah ich ihn mit den beiden Motorradfahrern aus Cocteaus «Orphée» überblendet. So sind die Sonette alle von vielfältigen Assoziationsfäden durchzogen. Das Verschwiegene und das mehr oder weniger unauflösbar Verborgene geben die Ober- und Unterschwingungen zum Ton der Gedichte. Da ist es dann letztlich «egal», ob nun wirklich alles rückstandslos aufgelöst ist, was sich unter der «Textoberfläche» regt. |
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