Ein Kleinverleger klagt an: Von Wolfgang Rüger
Ich bin Kleinverleger; eine dieser subkulturellen »Ein-Mann-Firmen«, die nicht für den großen Markt produzieren. 1980 habe ich mein »Raumschiff«-Unternehmen Paria Verlag als nebenberufliches Gewerbe angemeldet. Es war von Anfang an klar, daß ich Literatur abseits des Mainstreams verlegen und nicht vom Ertrag des Verlags leben will. Die Ernüchterung kam trotzdem ziemlich schnell. Wer nicht mindestens sechs bis acht Bücher pro Jahr produziert, keinen Werbeetat hat, keine Verlagsvertreter reisen lassen kann und nicht über einen Grossisten ausliefert, hat so gut wie keine Chancen, seine Publikationen in die Buchhandlung zu bringen. Dennoch hat mich dieses Jahr wieder einmal der Teufel geritten. Zufällig habe ich den Briefwechsel zwischen dem 1987 tödlich verunglückten Schriftsteller und Journalisten Jörg Fauser und seinen Eltern in die Hände bekommen. Von dieser aufregenden Lektüre war ich so begeistert, daß ich gesagt habe: Alles oder nichts, dieses Buch mußt du machen. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Geld aufgenommen und von dem Buch »Ich habe eine Mordswut« 2000 Hardcover-Exemplare drucken lassen. Das Risiko schien mir gering. Jörg Fauser ist ein gut eingeführter Name. Mit einem reichlichen Feuilleton-Echo konnte man rechnen. Der Buchhandel würde darauf reagieren. Meine Überlegungen gingen an der Wirklichkeit vorbei. Die Medien haben inzwischen überwiegend positiv reagiert. Der Buchhandel dagegen hat sich in den letzten Jahren radikal verändert. Ein alter Hase unter den Verlagsvertretern, der mir und meinen Verlagspublikationen Sympathie entgegenbringt und den ich um Hilfe gebeten hatte, klärte mich auf: Eine immer größer werdende Zahl von Buchhändlern weigert sich mittlerweile, Einkäufe unter 500 Mark zu tätigen. Das heißt, daß selbst so eingeführte »Kleinverlage« wie Haffmans, Ammann, Wagenbach, Rotbuch oder Maro immer weniger in den Buchhandlungen vorrätig sind. Die qualitative Zensur begründet der Buchhändler folgendermaßen: Das und das und das sind zwar schöne und wichtige Bücher, aber ich würde jeweils nur ein Exemplar einkaufen wollen, zusammen beträgt die Rechnung dann vielleicht achtzig Mark, womöglich liegen die Bücher länger als einen Monat im Laden, da stehen dann Aufwand und Gewinnspanne nicht mehr lukrativ in Relation zueinander, deshalb werde ich lieber nichts bestellen. Seit verstärkt Anlageberater auch in deutschen Buchhandlungen die Einkaufspolitik bestimmen, nimmt das Verlagssterben zu und machen sich hier in rasendem Tempo amerikanische Zustände breit. In zehn Jahren wird es auch bei uns nur noch große, überwiegend Bestseller und Sachbücher verkaufende Buchhandlungen à la Hugendubel und Verlagsriesen mit ebendiesem Angebot à la Bertelsmann sowie winzige, idealistisch arbeitende Stadtteilbuchläden und Kamikaze-Kleinverleger geben. Der gesamte Mittelbau wird weg sein. Ein vielfältiges literarisches Angebot, wie wir es jetzt noch kennen, wird es nicht mehr geben. Aber ich mußte noch eine weitere, bitterere Erfahrung machen. Eine wachsende Zahl von Buchhändlern bereichert sich auf kriminelle Art und auf Kosten der (Klein-)Verlage. Früher waren 33,3 Prozent Buchhändler-Rabatt noch die Norm. Heute verlangen viele Buchhändler ganz selbstverständlich 40, 45 und mehr Prozent. Vor ein paar Jahren war es noch an der Tagesordnung, daß ein Buchhändler ein Buch, das nicht über einen Grossisten lieferbar war, selbst bestellt hat. Er hat die Verlagsadresse aus dem Adreßbuch des VLB (Verzeichnis lieferbarer Bücher) herausgesucht, eine Bestellkarte ausgefüllt und direkt den Verlag angeschrieben. Heute machen das von hundert Buchhändlern noch zwei. Direktbestellungen bekomme ich fast nur noch über die Grossisten. Dazu kommt, daß die Zahlungsmoral der Buchhändler weiter sinkt. Die Fauser-Briefedition kostet im Laden 36 Mark. Inklusive Versand verlange ich vom Buchhändler pro Exemplar 25,62 Mark. Zahlungsziel sind vier Wochen. Diese Frist wird von annähernd achtzig Prozent der Buchhändler nicht eingehalten. In der Regel mahne ich nach drei Monaten zum ersten Mal an. Ergebnis: Ein Teil bezahlt (samt der Mahngebühr von einer Mark), ein kleiner Teil begleicht die Rechnung ohne Mahngebühr, und der Rest ignoriert auch diese Mahnung. Die Überlegung, die dahintersteckt, ist denkbar einfach: Kein Mensch geht wegen einer offenen Rechnung von 25,62 Mark vor Gericht. Die Hamburger Verleger-Inkasso-Stelle, die im Auftrag von Verlagen säumige Zahlungen eintreibt, arbeitet zum Beispiel erst ab einer Schuldhöhe von 50 Mark. Im Verlauf der Jahre sind mir Buchhändler Rechnungen in vierstelliger Höhe schuldig geblieben. Geld, das ich wohl nie bekommen werde und mit dem ich mindestens eine weitere Publikation hätte machen können. Ich kann mir solches Geschäftsgebaren nicht leisten. Meine »Zukunftsrechnung« mache ich deshalb ohne den Buchhandel. Ich habe schwarze Listen angelegt. Buchhandlungen, mit denen ich einmal schlechte Erfahrungen gemacht habe, beliefere ich nicht mehr. Ein Exemplar weniger zu verkaufen kommt mich billiger, als eines zu verschenken. Gleichzeitig habe ich angefangen, eine Adreßkartei von Privatkunden aufzubauen. Mein Ziel ist es, vom Jahr 2000 an ganz ohne Zwischenhandel auszukommen. Wenn wir Kleinverleger in ein paar Jahren sowieso wieder im infrastrukturellen Underground arbeiten müssen, dann muß, wer überleben will, jetzt anfangen, seine potentiellen Kunden zu suchen. Das Interesse am literarischen Buch mag kleiner werden, die wirklichen Literaturfreunde werden deswegen nicht aussterben. Menschen mit anspruchsvollem Geschmack und abseitigen Vorlieben werden auch in Zukunft fündig werden können. Sie werden nur anders suchen müssen. Sie werden nicht mehr in die Buchhandlung gehen können, sondern sich auf einzelne Verlegerpersönlichkeiten verlassen und direkt bei diesen einkaufen müssen. Die Umgehung des Zwischenhandels hat im übrigen für Produzenten wie Verbraucher nur Vorteile. Fällt der Buchhändler-Rabatt weg, kann der Verleger anders kalkulieren, und das Buch wird billiger. Schönstes Beispiel dafür ist der Verlag Rogner & Bernhard, der exklusiv über den Versand 2001 vertreibt. Es gibt also nichts zu beweinen. Leser von schöner Literatur müssen nur die Augen und Ohren offenhalten und sich in die Adreßkarteien ihrer Verlage aufnehmen lassen. DIE ZEIT Rechte beim Verfasser |