Über Sonette über Sonnette, hg. von Matthias C. Hänselmman

Zu www.fulgura.de mit Navigations-Kolumne

Sonette über das Sonett
Anthologie zum Metasonett
in der deutschen Dichtung
(ausgewählt und herausgegeben von
Matthias C. Hänselmann)

Sonette über das Sonett

Passau: Ralf Schuster Verlag 2020
ISBN 978-3-940784-50-6

Was reimt sich im Sonett auf Sonett?

Gemäß der Anordnung nach Geburts-, bei Anonymen nach Erscheinungsjahren eröffnet ein »Kein Sonett« betiteltes Sonett des 1674 geborenen Johann Burckhardt Mencke die Sammlung:

    Kein Sonett

    Bey meiner Treu! Es wird mir Angst gemacht;
    Ich soll geschwind ein rein Sonettgen sagen,
    Und meine Kunst in vierzehn Zeilen wagen,
    Bevor ich mich auf rechten Stoff bedacht;

    Was reimt sich nun auf agen und auf acht?
    Doch eh ich kan mein Reim-Register fragen,
    Und in dem Sinn das ABC durchjagen,
    So wird bereits der halbe Theil belacht.

    Kan ich nun noch sechs Verse dazu tragen,
    So darf ich mich mit keinen Grillen plagen:
    Wolan, da sind schon wieder drey vollbracht;

    Und weil noch viel in meinem vollen Kragen,
    So darf ich nicht am letzten Reim verzagen,
    Bey meiner Treu! das Werk ist schon gemacht.

Am Schluß stülpt Bertold Breig, 1971 geboren, Robert Gernhardts kabarettistische Sonettschelte »Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs« – natürlich ebenfalls im Band enthalten – mit virtuos adäquatem Zungenschlag ins Positive um, Betitelung wie bei Gernhardt, allerdings mit Apologetik statt Kritik. Alle drei Titelfindungen lassen ahnen, daß es im Buch nicht unbedingt todernst zugeht.

Weil das in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts am Hof Friedrichs II. in Palermo aufgekommene Sonett über Jahrhunderte hin von bedeutenden Dichtern gepflegt wurde, gilt es der Encyclopedia Britannica als einzigartig unter den Gedichtformen. Wie Wahrigs »Deutsches Wörterbuch« in der Minimaldefinition beim Stichwort »Sonett« andeutet, ist die Bauform recht schlicht: »Gedicht aus zwei vier- u. zwei dreizeiligen Strophen« … was dann etwa so eine Vorstellung vermittelt:

    Sonett

Das Regelhafte fächert sich natürlich noch etwas weiter auf: Zeilenlänge und -taktung, Reimschemata und Strophik … bis hin zu »Verwilderungen«. Insgesamt bleibt es aber noch überschaubar, und Sonette zu schreiben scheint demnach vergleichsweise einfaches, keineswegs »major poets« vorbehaltenes Geschäft zu sein. Aber das täuscht, wie der Sonettist Klaus M. Rarisch zu bedenken gab: Was das Schreiben von Sonetten angeht, verglich er es mit dem Schachspiel,*) wo bloße Kenntnis der Regeln längst noch nicht genüge, auch nur in Vereinsmeisterschaften zu bestehen oder die Raffinessen in den Zügen von Meisterpartien zu erkennen. Es ist also nicht ganz so einfach, nur zu denken an die »innere« Struktur mit ihrer gedanklichen Zäsurierung.

Matthias C. Hänselmann präsentiert in seiner Sammlung das »Schwerreimsonett«, in dem sich ein Anonymus mit Reimen auf Spargel herumschlägt … und tatsächlich drei aus eher verborgenen Tiefen des Wortschatzes ausgräbt (S. 247). Peter Rühmkorfs »Lied der Benn-Epigonen« – kein Sonett – bietet ein andres und gern zitiertes Beispiel einer Rettung aus Reimnot:

    Die schönsten Verse der Menschen
    – nun finden Sie schon einen Reim! –
    das sind die Gottfried Bennschen:
    Hirn, lernäischer Leim –**)

In der Hinsicht besteht halt eine Begrenzung, wie Erwin Arndt feststellt: »Überhaupt bereitet der Reim im Deutschen manche Schwierigkeiten (z. B. für die Bildung zwei- und mehrsilbiger Reime). Unsere Sprache gibt z. B. im Gegensatz zur italienischen die Reime nicht so leicht her.«***)

Im Monolog zu Beginn der zweiten Szene des zweiten Aufzugs von Christian Dietrich Grabbes Lustspiel »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung« setzt der Dichter Rattengift zu einem Sonett an und demonstriert damit sehr schön und in hier mit Bedacht bewahrter Ausführlichkeit die Schwierigkeiten von Wort-, Reim- und – vor allem! – Gedankenfindung:

 

Rattengift (sitzt an einem Tische und will dichten). Ach, die Gedanken! Reime sind da, aber die Gedanken, die Gedanken! Da sitze ich, trinke Kaffee, kaue Federn, schreibe hin, streiche aus, und kann keinen Gedanken finden, keinen Gedanken! – Ha, wie ergreife ichs nun? Halt, halt! was geht mir da für eine Idee auf? – Herrlich! göttlich! eben über den Gedanken, daß ich keinen Gedanken finden kann, will ich ein Sonett machen, und wahrhaftig dieser Gedanke über die Gedankenlosigkeit, ist der genialste Gedanke, der mir nur einfallen konnte! Ich mache gleichsam eben darüber, daß ich nicht zu dichten vermag, ein Gedicht! Wie pikant! wie originell! (Er läuft schnell vor den Spiegel.) Auf Ehre, ich sehe doch recht genial aus! (Er setzt sich an einen Tisch.) Nun will ich anfangen! (Er schreibt.)

Sonett.

    Ich saß an meinem Tisch und kaute Federn,
    So wie – –

Ja, was in aller Welt sitzt nun so, daß es aussieht wie ich, wenn ich Federn kaue? Wo bekomme ich hier ein schickliches Bild her? Ich will ans Fenster springen und sehen, ob ich draußen nichts Ähnliches erblicke! (Er macht das Fenster auf und sieht ins Freie.) Dort sitzt ein Junge und kackt – Ne, so sieht es nicht aus! – Aber drüben auf der Steinbank sitzt ein zahnloser Bettler und beißt auf ein Stück hartes Brot – Nein, das wäre zu trivial, zu gewöhnlich! (Er macht das Fenster wieder zu und geht in der Stube umher.) Hm, hm! fällt mir denn nichts ein? Ich will doch einmal alles aufzählen, was kauet. Eine Katze kauet, ein Iltis kauet, ein Löwe – Halt! ein Löwe! – Was kauet ein Löwe? Er kauet entweder ein Schaf, oder einen Ochsen, oder eine Ziege, oder ein Pferd – Halt! ein Pferd! – Was dem Pferde die Mähne ist, das ist einer Feder die Fahne, also sehen sich beide ziemlich ähnlich – (jauchzend.) Triumph, da ist ja das Bild! Kühn, neu, calderonisch!

    Ich saß an meinem Tisch und kaute Federn,
    So wie (indem er hinzuschreibt) der Löwe, eh der Morgen grauet,
    Am Pferde, seiner schnellen Feder kauet –

Aber Rattengift bringt es nicht über diese drei Zeilen hinaus, denn nachdem er darüber nachgesonnen hat, dabei über den grauenden Morgen als eigentlich nicht hineinpassend »gestolpert« ist, ihn sich dann aber als »echt homerisch«, ein »Epos im kleinen« als gerechtfertigt zurechtredete, wird er vom Teufel unterbrochen. »Auch besser so«, mag sich Grabbe bei dieser Wendung gedacht haben.

Die Hänselmannsche Anthologie enthält (selbstverständlich) die Sonette, in denen sich Goethe durchaus sachlich mit der Spannung zwischen dem zum Ausdruck Drängenden und der streng geregelten Sonettstruktur befaßt (S. 55-57) und zum halb widerwillig gewonnenen Fazit gelangt: »In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister«, wie so manches von Goethe längst Redensart geworden (Witzbolde ändern Beschränkung in Beschränktheit). Vergleichbare Sachlichkeit kennzeichnet hier und da auch anderes in der Sammlung. Doch häufiger geht es emotionaler zu: Lobpreisung des Sonetts gegenüber Verspottung bis Veralberung oder Häme oder Schmähung. Oder es äußert sich schlicht Spaß am Spiel. Die Metaphorik flüchtig angesehn: bei Goethe Holzbearbeitung, woanders Musik, Kranzbinderei, Witterungsgeschehen, Pflanzenwachstum, Schachspiel (wie gehabt), Metallbearbeitung, Quellgewässer und sicherlich noch mancherlei mehr. Bei Katharina Vemen (S. 267 f.) ist es – wie auch anders! – der Liebesakt.

Mit »Sonettsonette. Poetologische Metapoesie zwischen Spielerei und Epigonentum« ist Matthias C. Hänselmanns Vorwort überschrieben. Darin an früher Stelle ein von woanders zitiertes Aperçu: »Warum fällt uns beim Thema Form immer bloß das Sonett ein – wie eine italienische Spezialität, die wir von Zeit zu Zeit einmal nachkochen, bis wir ihrer überdrüssig sind?«†) Hänselmann geht den Fragen nach, warum »die ungeheure Masse an Sonetten, die in den vergangenen Jahrhunderten geschrieben wurde«, eine so beachtliche Anzahl von Sonettsonetten enthält, wie sich diese »Debatte« ums Sonett im Sonett entwickelte, auf welche seiner Eigenheiten sie abhob und welche Tendenzen in ihr zutage traten. Seine Sammlung von Sonettsonetten versteht er als Basis für weiterführende Untersuchungen. —

Ich möchte nicht wissen, wie viele Nächte mit wundgelesenen Augen es ihn gekostet hat, diese Sonette zusammenzutragen. Auf jeden Fall und wie auch immer bieten sie in ihrer buntscheckigen Monothematik ein »kurtzweilig lesen«.

RW

*) Ähnlich wie Christian Morgenstern in seinem »Schachsonett«, auf S. 248 der Sammlung.
**) Zitiert nach Peter Rühmkorf: Irdisches Vergnügen in g. Hamburg: Rowohlt 1959. S. 60.
***) Erwin Arndt: Deutsche Verslehre. 1. Aufl. Berlin/DDR: Volk und Wissen 1984 (Sonderausg. für Gondrom, Bindlach 1986), S. 111.
†) Harald Hartung: Deutsche Lyrik seit 1965. München, Zürich: Piper 1985.