Was reimt sich im Sonett auf Sonett? Gemäß der Anordnung nach Geburts-, bei Anonymen nach Erscheinungsjahren eröffnet ein »Kein Sonett« betiteltes Sonett des 1674 geborenen Johann Burckhardt Mencke die Sammlung: Kein Sonett Am Schluß stülpt Bertold Breig, 1971 geboren, Robert Gernhardts kabarettistische Sonettschelte »Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs« natürlich ebenfalls im Band enthalten mit virtuos adäquatem Zungenschlag ins Positive um, Betitelung wie bei Gernhardt, allerdings mit Apologetik statt Kritik. Alle drei Titelfindungen lassen ahnen, daß es im Buch nicht unbedingt todernst zugeht. Weil das in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts am Hof Friedrichs II. in Palermo aufgekommene Sonett über Jahrhunderte hin von bedeutenden Dichtern gepflegt wurde, gilt es der Encyclopedia Britannica als einzigartig unter den Gedichtformen. Wie Wahrigs »Deutsches Wörterbuch« in der Minimaldefinition beim Stichwort »Sonett« andeutet, ist die Bauform recht schlicht: »Gedicht aus zwei vier- u. zwei dreizeiligen Strophen« was dann etwa so eine Vorstellung vermittelt: Das Regelhafte fächert sich natürlich noch etwas weiter auf: Zeilenlänge und -taktung, Reimschemata und Strophik bis hin zu »Verwilderungen«. Insgesamt bleibt es aber noch überschaubar, und Sonette zu schreiben scheint demnach vergleichsweise einfaches, keineswegs »major poets« vorbehaltenes Geschäft zu sein. Aber das täuscht, wie der Sonettist Klaus M. Rarisch zu bedenken gab: Was das Schreiben von Sonetten angeht, verglich er es mit dem Schachspiel,*) wo bloße Kenntnis der Regeln längst noch nicht genüge, auch nur in Vereinsmeisterschaften zu bestehen oder die Raffinessen in den Zügen von Meisterpartien zu erkennen. Es ist also nicht ganz so einfach, nur zu denken an die »innere« Struktur mit ihrer gedanklichen Zäsurierung. Matthias C. Hänselmann präsentiert in seiner Sammlung das »Schwerreimsonett«, in dem sich ein Anonymus mit Reimen auf Spargel herumschlägt und tatsächlich drei aus eher verborgenen Tiefen des Wortschatzes ausgräbt (S. 247). Peter Rühmkorfs »Lied der Benn-Epigonen« kein Sonett bietet ein andres und gern zitiertes Beispiel einer Rettung aus Reimnot: Die schönsten Verse der Menschen In der Hinsicht besteht halt eine Begrenzung, wie Erwin Arndt feststellt: »Überhaupt bereitet der Reim im Deutschen manche Schwierigkeiten (z. B. für die Bildung zwei- und mehrsilbiger Reime). Unsere Sprache gibt z. B. im Gegensatz zur italienischen die Reime nicht so leicht her.«***) Im Monolog zu Beginn der zweiten Szene des zweiten Aufzugs von Christian Dietrich Grabbes Lustspiel »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung« setzt der Dichter Rattengift zu einem Sonett an und demonstriert damit sehr schön und in hier mit Bedacht bewahrter Ausführlichkeit die Schwierigkeiten von Wort-, Reim- und vor allem! Gedankenfindung:
Die Hänselmannsche Anthologie enthält (selbstverständlich) die Sonette, in denen sich Goethe durchaus sachlich mit der Spannung zwischen dem zum Ausdruck Drängenden und der streng geregelten Sonettstruktur befaßt (S. 55-57) und zum halb widerwillig gewonnenen Fazit gelangt: »In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister«, wie so manches von Goethe längst Redensart geworden (Witzbolde ändern Beschränkung in Beschränktheit). Vergleichbare Sachlichkeit kennzeichnet hier und da auch anderes in der Sammlung. Doch häufiger geht es emotionaler zu: Lobpreisung des Sonetts gegenüber Verspottung bis Veralberung oder Häme oder Schmähung. Oder es äußert sich schlicht Spaß am Spiel. Die Metaphorik flüchtig angesehn: bei Goethe Holzbearbeitung, woanders Musik, Kranzbinderei, Witterungsgeschehen, Pflanzenwachstum, Schachspiel (wie gehabt), Metallbearbeitung, Quellgewässer und sicherlich noch mancherlei mehr. Bei Katharina Vemen (S. 267 f.) ist es wie auch anders! der Liebesakt. Mit »Sonettsonette. Poetologische Metapoesie zwischen Spielerei und Epigonentum« ist Matthias C. Hänselmanns Vorwort überschrieben. Darin an früher Stelle ein von woanders zitiertes Aperçu: »Warum fällt uns beim Thema Form immer bloß das Sonett ein wie eine italienische Spezialität, die wir von Zeit zu Zeit einmal nachkochen, bis wir ihrer überdrüssig sind?«) Hänselmann geht den Fragen nach, warum »die ungeheure Masse an Sonetten, die in den vergangenen Jahrhunderten geschrieben wurde«, eine so beachtliche Anzahl von Sonettsonetten enthält, wie sich diese »Debatte« ums Sonett im Sonett entwickelte, auf welche seiner Eigenheiten sie abhob und welche Tendenzen in ihr zutage traten. Seine Sammlung von Sonettsonetten versteht er als Basis für weiterführende Untersuchungen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Nächte mit wundgelesenen Augen es ihn gekostet hat, diese Sonette zusammenzutragen. Auf jeden Fall und wie auch immer bieten sie in ihrer buntscheckigen Monothematik ein »kurtzweilig lesen«. RW *) Ähnlich wie Christian Morgenstern in seinem »Schachsonett«, auf S. 248 der Sammlung.
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