Berlin, 20. Januar 2000 Kommentar zur Tenzone »Leben«
Das Sonett »NEUES LEBEN«, mit dem ich am 25. 12.1999 meine lyrische Produktion für das alte Millennium abschloß, hat spontane Zustimmung gefunden:
Weit mehr als die Anerkennung der Freunde freut es mich aber, daß ich damit eine bemerkenswerte Tenzone anregen konnte. Selbstverständlich ist des Metrum des fünffüßigen Jambus in allen drei Sonetten korrekt gehandhabt. Die Reime sind makellos; das Schema der Quartette ist bei den drei Autoren identisch: abba/abba, während die Terzette, der Theorie gemäß, lockerer gefügt sein dürfen und daher unterschiedlich gereimt sind: cde/edc (Rarisch); cde/cde (Wohlleben); ccd/eed (Goral). Binnenreime fehlen üherall. Für mich absolut atypisch ist die Abwesenheit reicher Reime; ich wollte hier einmal bewußt einfach arbeiten. Einen anderen Klangreiz habe ich sparsam eingesetzt: die Alliterationen auf »l«: Leben / läßt / leicht / Liebestraum / ließe / Linden / allein / leeren (Verse 1, 3, 4, 7, 8) sowie auf »h«: Herzen / Himmel / Höheren / hoffnungslos (V. 6, 9, 10, 12). Wohlleben hat meine Reime in seinen Versen 1, 5, 8 aufgenommen (und dabei reizvollerweise vom Plural in den Singular transponiert); in den Terzetten hat er Reime gefunden, die mit den meinigen korrespondieren (V. 9, 12; 10, 13; 11, 14). Somit ist ihm eine sehr kunstvolle Wiederaufnahme meiner Reimstruktur gelungen. Die von mir vorgegebenen Reizworte »Himmel« und »Gott« (von denen sich Goral erwartungsgemäß distanzierte) hat Wohlleben zu der meisterhaften Metapher »Opferbrand« erweitert. Daß die Gluten des Brandopfers noch im Verrauchen und Verschwelen den Traum zu Terracotten brennen, ist nicht etwa eine kühl kalkulierte Konstruktion, sondern eine poetische Vision von bezwingender Kraft und Schönheit. (Mit dieser Feststellung weise ich auch den Vorwurf der Arroganz zurück, wonach ich Wohllebens Sonettproduktion herablassend beurteilt hätte.) Mit seiner überwältigenden Fülle an Alliterationen hat sich Wohlleben von der relativen Einfachheit meiner Wortwahl distanziert; genannt seien die Anklänge auf »tr« (V. 1, 2, 3, 4); auf »sch« (V. 2, 3, 5, 7); auf »l« (V. 5, 6); auf »h«" (V. 8, 9, 10, 14); auf »g« (V. 9, 11, 12) und auf »t« (V. 10, 13). Auch Goral konnte oder wollte sein Sonett nicht von Alliterationen freihalten. Mit Sicherheit wollte er sich aber von mir und Wohlleben auffällig abheben, nämlich durch seine reichen Reime (V. 1, 4, 5, 8 und 11, 14). Seine Widmung beweist, wie vehement er als Jüngerer uns (Rarisch, geb. 1936, und Wohlleben, geb. 1937) einmal zeigen wollte, was eine Harke der Unverzagtheit sei. Selbstverständlich ist das völlig legitim und gereicht der Tenzone nur zur Zierde. Es fragt sich jedoch, ob die Älteren tatsächlich verzagt sind, solange sie nicht aufhören zu sonettieren. Ein Jüngerer muß gewiß kein »Jünger« der alten Meister sein; er braucht im Gegenteil Selbstbewußtsein und mag sich auch als männliche Kassandra »seherisch und wissenssatt« fühlen. Ich kann mich aber noch an meine eigene Jugend erinnern: ich war wissenshungrig und bin es bis heute geblieben. Das »Wahre« habe ich immer gesucht, aber nie gefunden. Goral negiert den Traum. Wohlleben, wenn ich ihn nicht mißverstehe, nimmt den Traum »nur« als Traum, als Verdauung seiner Seele (Jakob van Hoddis). Mein Sonett dagegen zweifelt an der Möglichkeit das Traums als Versöhnung der Komplementärbegriffe Liebe und Tod, der ewigen Gegenstände der Poesie, welche die Liebe nicht zerredet, wenn sie von ihr redet. Vielmehr läßt uns die Poesie vor dem Hintergrund des Todes und des Scheiterns in der Entfremdung die Liebe nur intensiver erleben. Das werden auch die jungen Unverzagten erfahren. Noch haben sie ihr eines Leben und brauchen kein neues. Aber wenn sie den Traum verneinen, werden sie einmal selbst sehr alt aussehen. Klaus M. Rarisch
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