* Das Reimschema (aabb/cdcd//eef/fgg) simpel, vom klassischen Ebenmaß weit entfernt. Reime teils unsauber (Vers 1/2: Benzin/glühn), teils ärmlich (Vers 11/12: dienen/Gardinen). Binnenreime und reiche Reime fehlen; ein klanglicher Reiz ist in diesem Text nicht auszumachen. Das Metrum nicht korrekt behandelt: die Silbenzahl schwankt zwischen 10 (Verse 3, 7, 8, 13) und 14 (Vers 4). Der Wortgebrauch abgedroschen: daß Blüten oder Früchte (hier die Hagebutten) glühn, ist schwaches 19. Jahrhundert. Die Assoziation an Ehestreit und sommerlichen Sex entspricht der kleinbürgerlichen Mentalität, die Grass an seinen Landsleuten kritisiert, ist also im Kontext adäquat eingesetzt. Jedoch verfehlt die Kritik des Autors ihr Ziel, wenn er die Existenz sexueller Gewalt im »Novemberland« leugnet (Kein Penis mehr ... steht für Gewalt, Verse 7/8). Gesamturteil: Das Sonett ist nicht etwa so erbärmlich wie vergleichbare Mafia-Produkte (z. B. von Wolf Biermann oder Ulla Hahn). Es repräsentiert vielmehr solides Mittelmaß. Die im November 1992 entstandenen Gedichte sind die ersten Versuche des Autors in der Sonettkunst. Dementsprechend schülerhaft ist das Resultat ausgefallen. Günter Grass hat sich in dem nachfolgenden Rundfunkinterview auf Gryphius und Rilke berufen. Hinter diesen selbstgewählten Vorbildern bleibt er ebenso weit zurück wie als Prosaautor hinter Döblin. Marcel Reich-Ranicki, so wurde in der Radio-Ansage mitgeteilt, hält die Sonette von Grass für nobelpreiswürdig. Wenn einem Biermann der Büchnerpreis zufällt, wäre es der Gipfel der Ungerechtigkeit, wollte man Grass den Nobelpreis noch länger versagen. 1993 Rechte bei Klaus M. Rarisch |
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