Frederike Frei: In Deutschland duscht man stumm und gründlich

Zu www.fulgura.de mit Navigations-Kolumne

In Deutschland duscht man stumm und gründlich

Von Frederike Frei

Während des Umzugs gerate ich in ein gehobenes Installationsgeschäft mit lauter Duschprospekten. Irgendwann befällt mich bei der Lektüre ein komisches Gefühl. Dusche – ein Wort, dem ich nicht gänzlich vorurteilslos begegnen kann als eine, die 1945 geboren wurde in Deutschland und die mit jungen Jahren die Ungeheuerlichkeit der Nazis, Menschen auszurotten, aufnehmen, damit weiterleben und verarbeiten musste. Ich frage mich, kann ich heutzutage, einige Jahrzehnte, nachdem man u. a. mit diesem harmlosen Instrumentarium Millionen von Juden umbrachte, indem der Staat statt Wasser Giftgas verwendete, kann ich mir da Duschprospekte ohne das kleinste Fitzelchen Assoziation oder Erinnerung durchlesen? Gelingt mir das? Soll es mir gelingen? Liegt es an mir, wenn ich nicht arglos genug die Sprache von Duschprospekten durchlesen kann? Tatsächlich nur an mir? Deutsch und Dusche sind sich in der Stellung ihrer Buchstaben recht ähnlich. In Drogerien begegnet man öfters der Befehlsform Dusch das! Transitiver Gebrauch des Verb ‚duschen‘ findet sich vermehrt auch in diesen Prospekten und irritiert mich. Im Wahrig, dem Deutschen Wörterbuch, Auflage von 1980/81 steht noch bei ‚duschen‘ ganz selbstverständlich, wenn auch wohl irrtümlich intransitives Verb, also sich duschen.

Kein einziger Duschprospekt nimmt natürlich Rücksicht auf meine Gefühle. Es wäre übertrieben, das zu verlangen. Aber muss ein Duschprospekt in Deutschland unbedingt Vokabeln wählen, die mich immer wieder neu zusammenzucken lassen?

Lesen Sie selbst zwischen den Zeilen. Die Duschen waren ja wirklich nicht schuld, nur beteiligt.

Achtung Sonderlösungen. Die Dusche für alle Fälle. Auch zum Serienpreis. Sonderanfertigungen sind keine Grenzen gesetzt. Ein Design ist nötig, das dichthält. Unter der Abdeckung für den Wandanschluss verbirgt sich (warum nicht ‚steckt‘?) eine intelligente unsichtbare Technik. Alle Modelle haben die garantierte Langlebigkeit. (Fast hätte ich über Langlebendigkeit nachgedacht.) Dusche SELECTA, die Colour Plus macht auch mit schwarzen Profilen eine gute Figur. Die beweglichen Handduschen sind ein Fortschritt gegenüber den starren Kopfbrausen. (‚den‘? Welchen? Der bestimmte Artikel ist unnötig, außer man verweist auf ganz bestimmte.) Eine Magic Kopfbrause sollte sofort zur Hand sein. Die Türelemente immer glatt und sauber. (Elemente immer im Plural ... kriminelle Elemente?) So verlieren Schmutzecken ihren Schrecken. Einfach Schwamm drüber. (!) Wichtig: Die Holzoberfläche bleibt atmungsaktiv. (Dies Adjektiv setzt sich mir erneut unter die Haut.)

Türsegmente, Türloser Labyrinth-Eingang, Großzügiger Duschwannenausstieg. (Hätte nicht ‚breiter‘ gereicht?) Endlich ein Bad für jung bis alt, bis alt? Gezielt bis zum Tage, da man alt aussieht? Sonst wäre man vielleicht zu alt? Zur Beruhigung kommt sofort der Satz ‚Spaß im Bad ist keine Frage des Alters.‘ Das hat niemand behauptet. Warum dann dieser Satz? Er ist so unsinnig wie Obstessen ist keine Frage des Alters.

Es gibt bei Duschen scheint’s ein Problem, denn es wimmelt von Lösungen.

Praktische Lösungen, passende und attraktive Lösungen, ideale Lösungen, intelligente Lösungen, Kompaktlösung, perfekte Lösungen, Fünfecklösungen, die alternative Kleinraumlösung, Duscho-Creativ-Lösung, Designer-Grifflösungen, edle Detaillösungo, Duschomed-Wandlösung, Gesamtlösung.

Übrigens immer mit System:

Anpassungssystem, Türsystem, Profilsystem, Schürzen- und Verkleidungssystem, LSO-(Life-Swing-Okay)-System, Duschwandsystem, Aufhängungssystem, Einscheibensicherheitssystem.

Mehrere Personen finden zur gleichen Zeit Platz. Wieso finden? Sucht man denn? Das erinnert mich, ob ich will oder nicht, an die Bilder, die tief in meine Seele eingelassen sind, entweder durch meine Vorstellung oder Filme zum Thema. Bilder, in denen die Opfer oben im Duschraum Platz suchten, verzweifelt einer über den andern in die Höhe gingen für letzte Luftreste. Kann es nicht einfach ‚haben‘ heißen statt ‚finden‘? Mir geht es nur um diese Prise Mitempfinden in diesem unserem Lande wenigstens in den Vokabeln.

Maximale Einstiegsfreiheit bei minimalem Raumbedarf. ‚Da steht man nicht eng‘. Wenn ich zynisch sein will, behaupte ich, eines Tages kommt die Zeit, da wird auf die ähnlich klingende Zeile aus der Todesfuge von Paul Celan angespielt. Denn immerhin lese ich hier schon heute solche Sätze wie:

Die Endbehandlung nach Methode Classic erfolgt nach 24 Stunden. Die Endbehandlung entscheidet über das spätere Aussehen, das je nach Art der erforderlichen Endbehandlung elegant oder rustikal wirken kann. Die Endbehandlung ist Sache des Fachmanns. Muss ein anderes Fabrikat als bei der Endbehandlung verwendet werden, prüfen Sie bitte zuerst an unauffälliger Stelle im Duschwandsektor der Duschzone.

Neben Wörtern wie kick, swing, super, outfit, soft – kontrastierenden Vokabeln der westlichen Befreier *) – gibt es nur noch wenige schöne deutsche Wörter wie Abstellfläche und Haltestange.

Und zum Schluss zitiere ich Ihnen einen Satz, der darauf hindeuten könnte, dass die Duschfirmentexter wissen, was sie tun und nicht tun.

Für seine Schwengelpumpe, Eimer und Waschzuber musste Designer X nichts erfinden. Die Geschichte geht weiter. Er schuf eine Serie, die sich erinnert. Ja, sie benutzen das Wort Geschichte und sprechen von Erinnerung. Und zum Schluss schreiben sie: Alle Angaben sind nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. (Wieso Gewissen?)

————————————

*) Diejenigen der Amis und Tommies, die uns von der Todesmaschinerie befreit haben in Dachau, Buchenwald, Bergen-Belsen, Neuengamme und so weiter. Die russischen Befreier von Auschwitz-Birkenau, Sobibor, Majdanek, Treblinka und so weiter finden sich in nur wenigen Vokabeln wieder.

 

Copyright bei Frederike Frei
Steinrückweg 9
14197 Berlin
030 / 95 61 64 95
www.frederikefrei.de