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Boy Goberts starker Kaffe

»Der Kaffe is so schwach, daß er nich aus de Kanne looft.« In Hannover würde das Publikum fragen: »Was hat er gesagt?« Solch ein Satz käme eben nur in Berlin an, das übrigens zu Recht gerühmt werde, im deutschsprachigen Raum das wacheste Publikum zu haben. So unter anderem antwortete Boy Gobert auf die Frage, warum er gerade das Stück »Sozialaristrokaten« des ostpreußischen Berliners Arno Holz für seine erste Inszenierung ausgesucht habe und ob er sich damit quasi bei den Berlinern einschmeicheln wolle.

In einem von Manfred Rexin für den RIAS moderierten Gespräch mit Schülern der Reinickendorfer Friedrich-Engels-Oberschule – der erste Teil wurde gestern vormittag gesendet – begründete der Generalintendant der städtischen Bühnen geduldig, aber auch nachdrücklich, warum er das Stück, übrigens auf Anregung eines Berliners, als Auftakt seiner »Berliner Dramaturgie« verstehe und bis auf ein paar Streichungen wort- und dialektgetreu einstudiert habe.

Weil es mit seiner prophetischen Schau eines mörderischen deutschen Antisemitismus’ im Jahre 1896 und seiner genauen Schilderung der opportunistisch quatschenden Halbgebildeten auch ohne Zeigefinger zeit- und ortsnah ist. An der Figur des Gelegenheitsschriftstellers Fiebig, von Bollmann ungemein berlinisch verkörpert, zeigt Holz – so Gobert –, daß auch die Zungenfertigkeit des Berliners nicht problemlos sei. Gobert wunderte sich sehr, daß die Schüler unvorbereitet in die Generalprobe der Aufführung geschickt worden waren und daß sie fragend insistierten, die stets aktuelle Gefahr spießbürgerlichen Gehabes nicht erkannt, vielmehr die langen Dialoge als langweilig empfunden zu haben. Allerdings wurde eingeräumt, man sei wohl zu abgestumpft. Das Fernsehen wurde als einer der möglichen Gründe genannt.

Gobert vertrat das in Berlin nur einmal nach 1945 (drüben) aufgeführte Stück nicht zuletzt als eine gegenwartsbezogene Auseinandersetzung mit der schreibenden Zunft, den Journalisten, denn »die Beispiele, seine (öffentlich geäußerte) eigene Meinung für einen Job hintenanzustellen, sind ziemlich zahlreich«. Konkreter wolle er nicht werden, um sich hier nicht gleich zu sehr anzulegen. Immerhin freue er sich, daß dies in Nebensätzen von Kritiken des Stückes angeklungen sei.

Daß der Vorhang im renovierten Schiller-Theater erst im Januar statt im Dezember hochgeht, sei wegen der dadurch bedingten Probenverschiebungen schon »eine .katastrophale Situation«. Doch sei er ein risikofreudiger Mensch. Deshalb habe er nicht auf seinen Hamburger Erfolgen ausgeruht oder als Mitglied des Wiener Burgtheater-Ensembles nun weiter ein schönes erfolgreiches Leben geführt, sondern habe, als »plötzlich dies Berlin auf mich zukam«, den Ansporn empfunden, etwas Neues zu wagen. »Wenn wir diese Stadt erobern wollen, müssen wir uns auf sie einstellen, also Stücke spielen, die sie angehen«, natürlich nicht nur solche, aber die »Berliner Linie« solle nicht außer acht gelassen werden. So würden hoffentlich auch Berliner Autoren »Lust kriegen, Stücke zu schreiben«.

Wer in und für Berlin arbeitet und beim Frühstück solches mit aller Ruhe und ohne Pathos improvisierte Bekenntnis eines prominenten Neuberliners hört, dem schmeckt es nochmal so gut und der Kaffe looft aus der Kanne wie jeschmiert.

—thes

TAGESSPIEGEL, 14.12.1980
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