Ein tauglicheres Stück für seinen inszenatorischen Einstand hätte West-Berlins neuer Generalintendant Boy Gobert schwerlich finden können: Die Komödie »Sozialaristokraten« von Arno Holz, 1896 geschrieben und 1897 mit durchschlagendem Erfolg uraufgeführt, belegt mit Witz, Hohn, Angst und kaum verblaßter sprachlicher Brillanz eine Einsicht, die Wolf Biermann sieben Jahrzehnte nach ihrer Entstehung so formulierte: »Der tägliche kleine Faschismus sieht so urgemütlich aus.« Holz entwirft ein durch Verdichtung in die Satire vorgetriebenes Abbild des heute vergessenen Friedrichshagener Dichterkreises um Bruno Wille. Die Literaten, Gelegenheitsdichter und politisierenden Bohemiens dieses Kreises verstehen sich, von der Sozialdemokratie enttäuscht, als »Sozialaristokraten« und versöhnen so ihr verbeultes soziales Gewissen mit ihrem Elite-Bewußtsein. Was es mit ihrem sozialaristokratischen Programm auf sich hat, wissen sie selber nicht genau zu sagen; aber ihr unbezähmbarer Drang, sich mit ihren Gedichten, Versepen, Essays und Manifesten publiziert zu sehen, bringt sie immerhin dazu, einen unbedarften jungen Dichterling zu überreden, seine kleine Erbschaft in eine Zeitschrift mit dem Titel »Der Sozialaristokrat« zu investieren. Der angehende Verleger wird der Sache freilich nicht so recht froh. Gelegenheitsdichter Fiebig möchte nur sein Epos vom Weltuntergang in die Zeitschrift und seine Tochter an den Mann bringen, der faule Buchdrucker Werner denkt meist bloß an die Sanierung seines maroden Betriebs, und für Styczinski und Bellermann, zwei Anarchisten unterschiedlicher Färbung, ist die Zeitschrift nicht viel mehr als die Kuh, aus der sie fette Honorare für die Begleichung alter Mietschulden herausmelken können. Chefredakteur Gehrke schließlich entpuppt sich als ein karrieresüchtiger Opportunist, der sich nach einer milden dreitägigen Haft wegen unerlaubten Plakatklebens als politischer Märtyrer feiern und von einem zwielichtigen antisemitischen Juden in die Rolle eines Reichstagskandidaten für die »Antisemitische Volkspartei« manövrieren läßt, In der letzten Szene spricht er vom Balkon aus alkoholumnebelt zu seinen Wählern. Sie beantworten den Ruf »Juden raus!« mit dem Absingen des Deutschlandliedes, und dem Publikum im Schloßparktheater gefriert das Lachen in der Kehle. Im Rückblick aus dem Jahr 1980 präsentiert die Komödie sich als ein Stück schierer Prophetie. Holz und sein mit inspirierter Gewissenhaftigkeit inszenierender Anwalt machen mit Hilfe des typengenau besetzten Ensembles das Ungemütliche in der »Urgemütlichkeit« kenntlich. Leben, Komik und Bedrohlichkeit gewinnen die Figuren nicht zuletzt aus der Genauigkeit, mit der Holz, Gobert und die Darsteller sie den Vorbildern aus dem Friedrichshagener Dichterkreis nachgezeichnet haben. Dabei braucht man nicht zu wissen, daß Holz beispielsweise in Gehrke den Schriftsteller Bruno Wille, in Styczinski den polnischen Literaten Przybyszewski und in Fiebig den Gelegenheitsdichter Hugo Krügel, mit dem er selber Ähnliches erlebte wie der junge Dichterling mit Fiebig, konterfeit hat. Denn diese Literaten, die Holz auf die Bühne gebracht hat, stehen nicht nur für sich selber, sondern für politische und gesellschafliche Parteiungen und Verhaltensweisen, die bis in unsere Gegenwart hereinwirken. Im Schloßparktheater sind es neben Gabriel Barylli und Regine Lutz vornehmlich Axel Radler als zielstrebiger Karrierist, Carl Raddatz als berlinisch schlagfertiges Faultier von einem Drucker, Horst Bollmann als naiv schwadronierender Gelegenheitsdichter und Gerhard Friedrich als der ins Unheimliche changierende antisemitisch-semitische Journalist, die das Stück und die Inszenierung in einen kaum bestrittenen Erfolg hineintragen. Hellmut Kotschenreuther Mannheimer Morgen & Kieler Nachrichten, 4.12.1980 *
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