Ralf Thenior: Der Trapper

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Der Trapper

Aus den Savannen
kommt er geritten
mit heißem Gesicht
das Gewehr auf dem Rücken
er hätte noch weiter gejagt
aber seine Mutti hat gesagt
wenn die Lampen angehn
kommst du nach Haus.

Ralf Thenior

Ralf Thenior: Traurige Hurras


Der Trapper reitet nach Haus

In dieser Savanne kenne ich mich aus. Wo Hamburg zu Ende war, gings von den letzten Häusern des Vororts Rahlstedt raus in Weiden, Felder und ungenutzte Busch- und Hügelgelände. Das war Savanne, Prärie und Dschungel nach Bedarf oder alles zusammen. »Echt« spukig für Kinder (und überhaupt) wars dazu mit dem benachbarten Truppenübungsplatz bis 1945 und längst wieder [na, bis 1992], der nach Kriegsende erforschbar wurde: In allen Jahreszeiten gut für Jagdzüge, Kämpfe, Forschungsreisen und richtige Schatzfunde: rostiges Seitengewehr, Steinklinge, Gasmaskenhülsen, Stahlhelm, versteinerte Seeigel, Munition.

Die Savanne ist in Ralf Theniors Gedicht vom Trapper gerade nur das eine Wort. Im Duden-Fremdwörterbuch reicht dafür die knappe Erläuterung »Steppe mit einzeln oder gruppenweise stehenden Bäumen«. Sie reicht wohl auch für Ralf Theniors Gedicht, solange dort der Trapper von der vorzeitig abgebrochenen Jagd zurückkehrt. Sobald aber das heimbefohlene Kind zu sehen ist, blendet in meinem Kopf eine ganz neue Bedeutung des Wortes »Savanne« auf. Da flackern die vielen lebenden Bilder los, und die »Savanne« ist im Nu ganz persönliche, exklusive Privatvorstellung. Der Atem stockt mir vor allem, was ich nicht vergessen hab: Spannung bei »Überfällen« auf oder durch die andre Horde in der Nachbarschaft, wie damals noch die Züge auf den Schienen sangen, Neugierden, Schmerz in schneeklammen Händen, auch Angst vorm verspäteten Nachhausekommen.

Erst wenn im Gedicht der zurückreitende Trapper an seine Mutti mit ihrer Heimkehr-Anweisung denkt, ist er als Kind zu erkennen. Bis dieser Groschen gefallen ist, können die Informationen des Gedichts wohl auf Trapper in ihrer Wörterbuch-Definition passen, – sie haben selbstverständlich »das Gewehr auf dem Rücken« und sicher auch mal ein »heißes Gesicht«. Anderes stimmt dann zwar noch nicht recht für Trapper, mag aber noch als leicht verrutschter Wissensstand hingehen. So gehören diese fallenstellenden Pelztierjäger ja mehr in die kalten Urwälder Nordamerikas als in die tropischen Savannen. Diese Waldläufer waren auch nicht unbedingt beritten. Und wenn ein Trapper gern weitergejagt hätte, war das nicht die für ihn typische Tätigkeit des Fallenstellens, – möglich wäre es natürlich gewesen, daß er auch schon mal das Gewehr zum Jagen in die Hand nahm.

Aber der Gedichtschluß mit der mütterlichen Anweisung klärt die Täuschung auf. Die bis dahin zweifelhafte Trappergeschichte stimmt plötzlich sehr genau. Die wiedergebende Erzählung enthüllt sich als Realität trapperspielender Kinder. Der Ritt und die Jagd in den Savannen sind nun ganz das, was die Phantasie des Kindes in der Vorstadt- oder Stadtlandschaft aufstellt. Hineinprojiziert ist aber auch die Sicht von außen: nämlich das heiße Gesicht. Das Gewehr auf dem Rücken gibts gar auf zwei Ebenen: In der Außenansicht ist es der Stock mit dem struppigen Bindfaden als Gurt, das Kind trägt die Silberbüchse auf dem Rücken. Die Phantasie ist stark. Sie schaltet sich nicht ab, wenn sie soll: »wenn die Lampen angehn / kommst du nach Haus«. Das weiß der Trapper, und er reitet immer noch über Savannen.

Mit dem erzählerischen Trick der »rückwirkenden Verständniserweiterung« läßt Ralf Thenior Hörer oder Leser in einen vehementen Erinnerungsfluß abtreiben. Ich denke an mich: Beim ersten Hören habe ich unversehens die Bedeutung des Trappergedichts aus mir herausgeholt, – und brauchte lange, mich wieder zusammenzufinden.

Ich denke, dies Kind im Gedicht weiß seine Realität vom Lesen. Nur dabei können diese Ansammlungen von Trappern, Gauchos, Peones, Großwildjägern, Cowboys, Forschungsreisenden, Goldgräbern, Scouts und Prärien, Sierras, Llanos, Savannen, Steppen, Mesas, Dschungeln, Wäldern, Wüsten, Rocky Mountains zusammenkommen – und durcheinandergeraten. – So gehört wohl auch der Trapper mit einem deutschen »a« ausgesprochen: TrApper.

Ralf Thenior wurde 1945 geboren, lebte zwischenhin eine Weile in Hamburg und jetzt auf dem flachen westfälischen Lande *). Sein Gedicht vom Trapper eröffnet die Gedichtsammlung »Traurige Hurras«, die 1977 in der AutorenEdition erschien. Dort steht es zusammen mit »Alfons aus der Wundertütenfabrik«, mit »Poetryreading in der Lower East Side« und dem »Geheimnis des verschwundenen Professors«, – wo Tim sanft auf dem Stuhl landet, auf dem er die ganze Zeit saß, und dann verloren geht im Orient. Ein weiterer Band mit Gedichten und Prosa folgte 1980 bei Klett-Cotta: »Sprechmaschine Pechmarie«. Da springen, wie geölt, die Kröten aus dem Mund.

Kommentar von Robert Wohlleben

Ralf Thenior: Traurige Hurras. Gedichte und Kurzprosa.
Mit einem Nachwort von Helmut Heißenbüttel.
AutorenEdition bei C. Bertelsmann, München 1977. S. 11

*) Ralf Thenior lebt als freier Schriftsteller in Dortmund.

Rechte am Kommentar bei Robert Wohlleben

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