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Coleone

Zu Pferd! Zu Pferd!

In eine jugendstilhafte oder symbolistische Welt hat Arno Holz Dürers gepanzerten Reiter und Verrocchios bronzenen Bartolomeo Colleoni versetzt:

Rote Rosen
winden sich um meine düstre Lanze.

Durch weisse Lilienwälder
schnaubt mein Hengst.

Aus grünen Seeen,
Schilf im Haar,
tauchen schlanke, schleierlose Jungfraun.

Ich reite wie aus Erz.

Immer,
dicht vor mir,
fliegt der Vogel Phönix
und singt. [1]

Gut zehn Jahre später schrieb der Freund Robert Reß in seinem »Mahn- und Weckruf an das deutsche Volk« – verfaßt, um damit Nominierung zum Literaturnobelpreis zu unterstützen – zu diesem Gedicht:

    »Ich reite wie aus Erz!« Als der Dichter, erzählte er mir später selbst, diese Zeile schrieb, hatte ihm in seiner Phantasie, völlig unabhängig von seinem »Sujet«, das prachtvolle, unvergleichliche Standbild des Coleone [!] vorgeschwebt. Mehr als einer hat mir seitdem bestätigt und versichert, daß das gleiche, seltsam psychische Spiel bei der Lektüre dieses kleinen Wunderwerks an farbigst konzentrierter Eindringlichkeit und verhaltner Kraft, auch ihm widerfahren und passiert wäre! »Man denke sich etwa Dürers Stich: ›Ritter, Tod und Teufel‹ mit den Farben Segantinis gemalt, dann hat man ungefähr den Maßstab zur Würdigung.« [2]

In ähnlicher Manier griff Rolf Wolfgang Martens das Motiv auf:

Durch Blütenwälder in die Morgenröte
trägt mich mein weißes Streitroß.

Unsichtbare Quellen singen.

Hoch in die Luft
werfe ich lachend meine purpurne Lanze.

Was thut’s – wenn ich auch falle! [3]

Robert Reß fand eine ganz andre Überhöhung, steigerte den Raum ins umfassend Kosmische, den Gegner ins Ultimate:

Unter den Hufen meines Pferdes
klingen die Sterne.

Ich reite gegen
Gott.

Der duckt sich
hinter die Milchstrasse.

Schwarz
in die Unendlichkeit
schleudert eine neue Sonne
seinen Schatten. [4]

Von einem ebenso ins All versetzten Reittier bekam schon – in Hebbels »Kriemhilds Rache« – Kriemhild von Etzel erzählt, auf weniger metaphysische Ziele bezogen:

    Ich ritt einmal das Roß, von dem dir nachts
    In dem gekrümmten, funkelnden Kometen
    Am Himmel jetzt der Schweif entgegenblitzt.
    Im Sturme trug es mich dahin, ich blies
    Die Throne um, zerschlug die Königreiche
    Und nahm die Könige an Stricken mit. [5]

Georg Stolzenberg legte es dann offensichtlich drauf an, Holz, Martens und Reß mit ihrer pathetischen Reiterei zu verulken:

Vor seiner goldfunkelnden Burg
lauert der Riese.

Die dunkle Schlucht herauf
stuckert ein Reiter;
seine rostige Rüstung klappert,
die dünnen Beine schlurren über den Boden.
Abmaracht
hinkt der alte Schecke,
senkt den Kopf
und wünscht, er wäre schon Wurst.

Schnaubend zoppt er zurück!
Vor seinen Nüstern an einer langen Stange
gähnt ein riesiger Klingelbeutel mit roten Klunkern.

Der Ritter
fuschert mit zitternden Fingern in seiner Satteltasche.
Nur Krümel.

Donnernd lacht der Goliath,
fischt ihn,
krallt die dicken Knollenpranken um seinen Panzer,
knackt ihn auf
und frißt ihn wie einen Krebs aus der Schale. [6]

Mag sein, daß Stolzenberg überhaupt zu Pferden Abstand hielt und deshalb selbst dichterischen Ausritt scheute. Jedenfalls erzählt eins seiner Gedichte von unguter Erfahrung, als solle es die alte Weisheit »Das Pferd ist ein wildes Tier, das dem Menschen nach dem Leben trachtet« belegen:

Mein alter Widersacher!

Einmal kam er aus einem Torweg
als riesiger weißer Hengst
und riß mich zu Boden.

Aber sein Huf traf mich nicht.

Wütend schäumte er ins Gebiß
und donnerte davon.

Ich schrie ihm nach:
Noch schützt mich auf dem schäbigen Rock
mein unsichtbarer Sonnenorden!

Das ist lange, lange her.

Jetzt sitzt er auf meiner Hand,
eine magere Winterfliege.

Ich blicke trübsinnig auf sie nieder. [7]

Fast acht Jahrzehnte später ist, bei Ralf Thenior, das Pferd immer noch dankbares Motiv. Da gibts schon mal das phantasievolle reitende Kind im Gedicht »Der Trapper«. Und dann dies, an dem sich der Respekt vor den großen Tieren ablesen läßt … den ich nachvollziehen kann:

    Pferdegedicht

    Neunundzwanzig Jahre
    tausende von Western gesehen
    und heut zum ersten Mal
    oben aufm Pferd gesessen
    Mann! [8]

In den zu seinem Achtzigsten erschienenen »Gedenkblättern« teilt Stolzenberg ein Gedicht mit, das er einstens Arno Holz zu lesen gegeben hatte. Stolzenberg wußte, daß er sich Holz gegenüber Späße erlauben konnte. Er notiert:

    Umgekehrt nahm Holz auch eine kleine »Veräppelung« nicht krumm. Als er das dieser Schrift angekoppelte Gedicht las, unterbrach er sich lachend: »Das haben Sie doch eigentlich recht hübsch gemacht und schließlich auch – sehr nett gedacht!« [9]

Im amplifizierenden Stil der späteren Phantasusfassungen nimmt Stolzenbergs Gedichtanhang die Holzsche Neigung zu phantastisch ausgeträumten Historika auf die Schippe. Am Schluß solls für den Hofnarren aufs Pferd gehen. Dies die noch nicht so ausgebaute Erstfassung, die 1903 in sein drittes Heft »Neues Leben« einging:

Seine bunte, blühende Zauberwelt
Dreht sich kreischend immer langsamer . . .

Fern unter Hannibals Grabcypressen,
im weißen Burnus,
den Kopf zwischen den Knieen,
vergrübelt er sich in die letzten Dinge.

Süße Sehnsucht
quält ihn auf.

Kurzentschlossen
galloppiert er mitten durch die Jahrhunderte.

Von der sonnenglitzernden Kathedrale, aus beiden Türmen,
donnern die Glocken.
In den steinernen Marktlauben pufft sich der Pöbel.
Die breiten teppichbelegten Portalstufen hinab
auf den blumenbestreuten Platz,
hinter qieksenden Pfeifern,
schreitet das seidenschillernde Paar.
Zart,
mit zierlich gespitzten Fingern
hält er ihr Händchen mit den funkelnden Ringen,
um seine Kappe kichern die Glöckchen.

Wehende Tücher aus allen Fenstern,
Gejohl von den Dächern,
Gugelmützen fliegen.

Hoch Kunz von der Rosen und Margarete Maultasch!

Wiehernd auf goldnem Gewölk
bäumt sich schon flügelschlagend sein Rappe,
um den Hals einen blauen Schwertlilienkranz.*) [10]

Robert Wohlleben

*) Als ich gegen Ende der 1960er Jahre Anita Holz besuchte, erzählte sie mir, daß Schwertlilien Arno Holzens Lieblingsblumen gewesen seien. Das wußte ja auch Stolzenberg und hängte sie ihm um den Hals.


1] Arno Holz: Phantasus. Verkleinerter Faksimiledruck der Erstfassung. Hg, von Gerhard Schulz. Stuttgart: Reclam 1968 u. ö. (RUB Nr. 8549), S. 67.
2] Robert Reß: Arno Holz und seine künstlerische, weltkulturelle Bedeutung. Ein Mahn- und Weckruf an das deutsche Volk. Dresden: Carl Reißner 1913, S. 52. Das Zitat am Schluß aus Otto Eduard Lessing: Die neue Form. Ein Beitrag zum Verständnis des deutschen Naturalismus. Dresden: Reißner 1910, S. 222.
3] Rolf Wolfgang Martens: Befreite Flügel. Berlin: Johann Sassenbach 1899, S. 39.
4] Robert Reß: Farben. Berlin: Johann Sassenbach 1899, S. 8.
5] Friedrich Hebbel: Werke. Jubiäumsausgabe. Hg. v. Heinz Stolte. Hamburg: Blüchert Verlag 1963, S. 981. 6] Georg Stolzenberg: Neues Leben. Drittes Heft. Berlin: Johann Sassenbach 1903, S. 17.
7] Georg Stolzenberg: Neues Leben. Zweites Heft. Berlin: Johann Sassenbach 1899, S. 47.
8] Ralf Thenior: Traurige Hurras. Gedichte und Kurzprosa. Mit einem Nachwort v. Helmut Heißenbüttel. München: AutorenEdition (bei C. Bertelsmann) 1977, S. 47.
9] Georg Stolzenberg: Arno Holz und ich. Gedenkblätter. Berlin-Friedenau: Arno-Holz-Archiv 1937, S. 18.
10] Stolzenberg: Neues Leben, 3. Heft, S. 34.

(Die Gedichte von Martens, Piper, Reß und Stolzenberg sämtlich enthalten in Antreten zum Dichten! Lyriker um Arno Holz. Rolf Wolfgang Martens, Reinhard Piper, Robert Ress, Georg Stolzenberg, Paul Victor. Hg. v. Robert Wohlleben. Leipzig: Reinecke & Voß 2013. Dort fortlaufend wiedergegeben, Seitenzählung der Hefte in den Randspalten.)


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