Den an zeitgenössischer deutscher Lyrik interessierten Teilnehmern der Konferenz von WAGS im Oktober 1982 in El Paso ist der Name Rarisch nicht mehr fremd, da er durch zwei Sitzungen »Poetry and Prose Reading« mit Gedichten und eigenem Kommentar in Selbstdarstellung und in »Democracy Challenge and Challenged« mit einem Vortrag unter dem Titel »Klaus M. Rarisch, ein visionärer poète maudit« zu Worte kam. Daß er Anklang fand, erstaunt nicht. Rarisch ist ein außergewöhnlich vielseitiger Lyriker, der vor keinem noch so kontroversen Thema zurückschreckt, weder vor Attacken gegen die Bonner »Demkratie« (damn-cracy) noch vor dem heißen Eisen der Abtreibung mit der trockenen Reminiszenz im Nachhinein an die Mutter: »Hättest du mich abgetrieben / wär ich dir erspart geblieben« (Lebenslauf). Mit den heiligen Kühen der Bundesrepublik macht Rarisch kurzen Prozeß, vom Berliner Symphoniegott »Bernstein contra Kajaran / Primadonneneitelkeit«, bis zum »Noböll«-Laureaten in »Böllsche Gebete«: Unser täglich Brot gib uns heute und vergib mir den Nobelpreis. Inzwischen erschien die vorliegende neue Anthologie seiner Gedichte, die verdient, einen weiteren Leserkreis zu erreichen und damit zu gewinnen. Der sarkastische Titel ist einem gleichnamigen Gedicht entnommen, wahrlich »Verse von Rost und Vitriol«, wie es im »Prolog zum Nihil« heißt: SPD schließt Konkordate, Notstand ist ein frommes Werk. Atheisten winseln Gnade: »Wehner, grauser Todeszwerg, schlugest uns bei Godesberg!« ... Büchner-Grass wird Erzprälate. Wie immer bei Rarisch wird hier der Leser mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert, mit denen er sich auseinandersetzen muß: Ich glaube an die Dressurfähigkeit und an die Ersetzbarkeit jedes einzelnen Menschen. (Das Lied von der Freiheitsglocke). In grausamer Reminiszenz an die dekadente Müdigkeit von Rilkes »Herbsttag« heißt es bei Rarisch, sämtliche Opfer unserer Zivilisation einschließend, in »Totensonnabend«: Die Brücken krümmen schrecke Katzenrücken. Und doch hat das »Zauberwort mourir« (La Belle et la Bête) auch für den polyglotten Rarisch Geltung; er hat Gedichte von Filippo Tommaso Marinetti aus dem Italienischen kongenial übertragen und u.a. einführende Essays über französische Dichter wie Tristan Corbière verfaßt. Er ist ein Bildungsdichter, der auf dem Instrument der Weltliteratur ganz eigene Töne hervorbringt. Soll Lyrik nicht erheben? O ja, wenn Goethe »Im Walde so für mich hin« ging. Bei Rarisch herrscht ein anderer Ton: Spazierst du im Walde Warner gibt es heute viele, doch die meisten sind unartikuliert. Was Rarisch einmalig heraushebt, ist seine frappierende Sprachkunst. Scheinbar schwerelos jongliert er mit ausgeklügeltsten Stilmitteln; man lese daraufhin die hier angeführten Gedichtauszüge und das folgende Sonett; bereits das ist ein Phänomen, daß ein Autor heute nicht nur Sonette schreibt, sondern, daß sie ihm formvollendet gelingen. Es sei nur auf einige stilistische Kriteria hingewiesen: Umkehrung konventionalisierter Sprachbilder, Zitatenvariation, Metapher, Metonymie, Neologismus, Ellipse, rhetorische Figuren wie Anapher, Epanalepse, Anadiplose und Polyptoton, Endreim, Binnenreim und Alliteration, alles auf die Antiklimax des letzten Wortes zulaufend, das durch den Titel das Ganze zum Circulus vitiosus als Chiffre unserer Zeit werden läßt: Pleite
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