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Über Rainer Maria Rilke
und Dieter Volkmann

Dieter Volkmann im »Massengrab« 1961
Dieter Volkmann im »Massengrab«, 1961
 

Von Klaus M. Rarisch
 

 

Rainer Maria Rilke. Die Sonette an Orpheus, Erster Teil

 

 


VII

 


1


Rühmen, das ist’s! Ein zum Rühmen Bestellter,
ging er hervor wie das Erz aus des Steins
Schweigen. Sein Herz, o vergängliche Kelter
eines den Menschen unendlichen Weins.

 


5


Nie versagt ihm die Stimme am Staube,
wenn ihn das göttliche Beispiel ergreift.
Alles wird Weinberg, alles wird Traube,
in seinem fühlenden Süden gereift.

 


9


Nicht in den Grüften der Könige Moder
straft ihm die Rühmung Lügen, oder
daß von den Göttern ein Schatten fällt.

 


12


Er ist einer der bleibenden Boten,
der noch weit in die Türen der Toten
Schalen mit rühmlichen Früchten hält.


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Dieter Volkmann, 15 maurerische Sonette für einen Holzschneider

 

 


9
Orpheus

 


1


Und blieben doch von Orpheus’ Kelter Töne –
Maschinenflügel kreiselten entzwei,
In Fetzen lappte das Plakatgeschrei,
Es schminkte sich zu Tod die Jahrmarktsschöne.

 


5


Und blieb der Arzt, mit Brot und Wein und Salben,
Der Ritt, die Zimbel und der Palmenzweig,
Gethsemane im Schlaf, der Tränensteig,
Pilatus’ Silberzügel an dem Falben.

 


9


Und blieb die Kuppel nach der Betgebärde,
Und auch Medusenschild, Sonatenschein,
Hadrians Kaiserklage im Gestein –

 


12


Das ganze Parzenlied der tollen Erde.
Und blieb – blutschwer verjahrt – der Hirtensang;
Verwahrt in Muscheln, unter Flut und Tang.

 


Burkhard Müller, Herausgeber der Würzburger Litaraturzeitschrift »BLÄTTER«, behauptet in seinem Brief an Ernst-Jürgen Dreyer vom 22.2.1988 u.a., Volkmann provoziere in seinem Sonett 9 (»Orpheus«) den Vergleich mit Rilkes Sonett 1,VII aus den Sonetten an Orpheus. Das trifft zu. (Übrigens spielt Volkmann darin auch auf Rilkes Sonett 1,XVIII an.) Dieser Vergleich muß laut Müller

 

notwendig zu seinen [Volkmanns] Ungunsten ausfallen.

Daß ein Unbekannter wie Volkmann sich nicht mit dem Germanistenidol Rilke vergleichen dürfe, entspricht zwar den Tabus der Literaturwissenschaft, hält aber einer Prüfung nicht stand.

Die Reimschemata der beiden Sonette lauten: abab/cdcd//eef/ggf (Rilke) und abba/cddc//eff/egg (Volkmann), sind also absolut gleichwertig. – Volkmann verwendet ein regelmäßiges Metrum, den fünffüßigen Jambus. Der Rhythmus bei Rilke ist dagegen unregelmäßig; die Silbenzahl der einzelnen Verszeilen schwankt zwischen 9 und 11. Unregelmäßigkeit ist zunächst einmal handwerkliche Schwäche und jedenfalls kein Qualitätskriterium, so daß damit die behauptete Überlegenheit Rilkes nicht zu beweisen ist. – Enjambements verwendet Volkmann nicht, Rilke dagegen zweimal (Zeile 2/3 und 10/11), wie es seinem Stil entspricht. Beide Enjambements sind zugleich symptomatisch für die Schwachstellen in Rilkes Poesie:

 

(Z. 2/3) »des Steins / Schweigen«

ist eine der berüchtigten Genitivmetaphern, die durch die Inversion (durch die unnatürliche Voranstellung des Genitivs) noch peinlicher gekünstelt wirkt. Mit vollem Recht distanziert sich Volkmann (Z.11) davon:

 

(Z. 2/3) Kaiserklage im Gestein

– seine Gesteinsmetapher kommt ohne den billigen Genitiv aus, sein Stein involviert kein Schweigen, sondern im Gegenteil: eine Klage. – Rilkes zweites Enjambement (»oder / daß«) reimt »Moder« (Z.9) auf das Füllwort »oder«, markiert also einen technischen Mißgriff. Schon Arno Holz stellte 1916 fest,

 

wie man »reimen« muß. Nämlich nicht auf Nebenworte
(Brief Nr. 175, Briefausgabe von 1948, S. 225)


Der hauptsächliche Gedanke des Rilke-Sonetts fällt mit der Tür ins Haus (Z. l): »Rühmen, das ist’s!« (Diesen werbesloganähnlichen Ausruf ironisiert Volkmann in Z. 3 als »Plakatgeschrei«.) Nun hämmert Rilke, als ob seine Leser Analphabeten wären, ihnen die unpoetisch-nackte Begrifflichkeit seines Slogans durch ständige Wiederholung ins Gehirn: »Rühmen / Rühmen (Z. l) / Rühmung (Z. 10) / rühmlichen (Z. 14)«. Um die quasi propagandaministerhafte Wirkung noch zu steigern, vokalisiert er entsprechend und unterstützt den Leitvokal »ü« seiner Rühmung auf massivst-monotonste Weise: »fühlenden Süden« (Z. 8) / »Grüften« (Z. 9) / »Lügen" (Z. 10) / »Türen" (Z. 13) / »Früchten« (Z. 14). Diesen knüppeldicken Holzhammer läßt Volkmanns Sonett glücklicherweise vermissen.

Damit halte ich Burkhard Müllers Fazit über Volkmanns Sonette:

 

Die Regel bei diesen Gedichten ist also das Mißlingen

für einwandfrei widerlegt.

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