HELS TESTAMENT |
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Was haben wir da vor uns? 33 »Sonettüren, abgesägte Sonette, man könnte auch sagen Villonstrophen mit Schalldämpfer, eingeteilt in 3 x 11, jede elfzeilig, alle gleich gebaut und mit dem Refrain auf »verzeihn, verzeiht« oder »verzeihs«, allein schon formal ein hohes Kunststück. Und was enthält das »Testament«? Zunächst, nach einer einführenden Strophe (oder ist jede Strophe ein Gedicht für sich?), in der sich alles mystisch umkehrt »so schwarz daß sie mich blendet schweigt die nacht«, Legate in Villons Manier an bekannte Personen, aber weniger an Freunde, vielmehr an historische Gestalten wie Schütz, Riegel, Hegel. In einer Strophe bringt er es sogar fertig, das Arbeitsamt zu loben, »Wes schütt ich zieh des lied ich sing«. Nr. 11 ist in hymnischem Ton »Der einen« in »muttergottesmantelblauer Nacht« (das freilich kursiv, also wohl Zitat) gewidmet. Der zweite Teil ist der geschlossenste. Die Legate gehen weiter, doch gedenkt er nicht Personen, sondern der Auswirkungen des Bewußtseins. »Baron von Denkichtreuth« lobt den Computer, spricht von schwarzen Löchern, Spiegelungen, und gibt schließlich in 3 Strophen einen Abriß der Evolution, für mich die konzentriertesten im ganzen Zyklus. Am Ende steht der Ausblick auf »den ring vielleicht der um die erde reicht / und schön zu sehn ist vom saturnring her« und die Absage an des Menschen Größenwahn. Str. 25 33, der »Dankchoral«, beginnt mit einem Naturbild. »Der wind kehrt heim mit seinem roten hund / dem herbst«. Wieder folgen Legate, und schließlich die Auseinandersetzung mit Zeit und Sterblichkeit. Die Strophen sind gedrängt, wie von einem, der nur noch wenig Zeit hat. »Sehr still wächst nebenan der riesenbovist / Man wirtschaftet als wär man der patron / Dann ist die miete fällig: Ultimo ist«. Er bittet um einen Blick ins übernächste Jahrhundert, darauf zeigt ihm »Madame La Tour« Hongkong, »wo spiegel wen sie doppeln hoch verzinsen / und U-Bahn-kolben pumpen puppen ein / die gehn zur börse in die bambusbinsen / Hongkong min jong Pardon How long? verzeihn« Danach geht es mit Freunden auf einen schamanischen Flug zum Tien Shan. Was sich dort in der Luftspiegelung begibt, und wer ihn in die Wirklichkeit zurückholt, sei hier nicht verraten, nur, daß die letzte Strophe, für mich die schönste, von den Katzen handelt. »Jetzt schauen wir uns an und nichts geschieht / Ich sitze mit auf mondscheins mauerrand / und jeder ist des andern eremit / / Ich springe mit ins graue Katztroldhaugen / und mauze mit akzent gewiß: Verzeihn S«. Gestorben oder zum Leben erwacht, Ende oder Anfang, Traum oder Wirklichkeit, es bleibt offen in dieser eigenartig zerklüfteten und doch geschlossenen Dichtung. 33 Strophen oder Gedichte, weit verstreut und auf die Kette des Refrains gereiht, der Gang in die Geschichte, die Welt im Blick, Bekenntnis und gedrängte Wissenschaft, poetisch aufgeladen, ein Ton mit dem Atem des Hymnus und dem Parlando des Kabaretts, eine komplexe Form, bis zur Überwindung beherrscht, und das letzte herausgeholt, und eine hochgelehrte wohldurchdachte Gedankenlyrik, die die Kernfragen stellt, jede Strophe von großer Tiefe, das ganze weit von Welt und Zeit, diese Leichtigkeit, diese Vision, diese Formsicherheit hat zur Zeit in seiner Generation nur einer, der einzige, der seine Ziele verfolgt, so weit gesteckt sie auch seien. Um die Spannbreite sichtbar zu machen, sei eine Strophe vollständig zitiert:
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