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»Ölsardinen & Tollkirschen«
Wolfgang Uster und Robert Wohlleben lasen im »Wortraum«


Die Leseabende in Winterhausen, wo Petra Hochrein Literatur außerhalb des gängigen Kreislaufs von Angebot und Nachfrage vorstellt, sind erfreulich gefragt. So auch letzten Freitagabend. Wolfgang Uster (Hannover) und Robert Wohlleben (Hamburg) trugen ihre Gedichte, Lieder, Dramen und Geschichten vor, lasen neben bisher Unveröffentlichtem u. a. auch aus ihren Publikationen »Dschungelkummer« (Uster) und »Falsch und wunderbar« (Wohlleben).

Beileibe nicht tiefernst, was da zu den Themen »Liebe, Herz und Schmerz« und »Vorstadtdschungel« aus verschiedenen Perspektiven auf Hehres und in Alltägliches zielend zur Sprache kam, doch stets voller Sinn und Hintersinn, der in all seinen Nuancen bei erstmaligem Hören nicht immer leicht zu erfassen war. Pries Uster eingangs mit einem Lied aus den Tagen der Pariser Kommune Liebe und Leidenschaft, so führte Wohlleben gleich mit Versen wie »O heiße Dusche du« in die Welt banaler Tatsachen gänzlich unbanal zurück.

Mit solcher Abwechslung, ihrem Vortrags-Wechselspiel, zu dem Uster häufig seinen Part singend und gitarrespielend gekonnt beitrug, boten sie ihre Texte dar, setzten sie ihre Worte zu Zwischenmenschlichem und Gefühlskitsch, äußerten sie sich zu (zuweilen auch nackten) Tatsachen.

Neben seiner meistens formstrengen Sonettdichtung (mit:Titeln wie »Siebenschläfer«, »Modernes Liebesgedicht«, »Schneeflittchen«) beeindruckte Wohlleben (seines Zeichens auch »Mikroverleger«) besonders mit dem dritten Akt seines Rotkäppchen-Stückes, wo er »eine schweigende Mehrheit« als Dia-Projektion auftreten läßt, die abgeschaltet wird. Charakteristisch für Art und Weise seines Sagens: »Der Mensch beißt auf Granit / doch sag wer beißt ins Gras / mit größerm Appetit?«

Von merkwürdigen und höchst seltsamen Begebenheiten erzählt Uster in Kurzgeschichten. In »Das gleiche Gesicht« berichtet er parabelhaft vom Untergang einer Expedition. In »Ölsardinen und Großvater« läßt er Ölsardinen »quicklebendig« aus der Dose springen und in »der Pfanne jauchzen«, einen Großvater lebendig begraben und »den Blick in das Inferno eines Krematoriums« richten, aber all dies ist natürlich »erstunken und erlogen« ...

Auch seine Gedichte machten Appetit auf mehr. In einigen bringt er, der viel gereist ist, ferne Idyllen unidyllisch nahe. So mit »Aspekte eines karibischen Paradieses«, eine Mückenplage »wenn unter grünem Palmendach / die Haut dann juckt und zuckt«, oder mit »Das Korallenfischlein«, dessen Kreisen um »bunte Korallenstöcke« im Reistopf endet.

»Keine Verbindung ohne Verwindung« heißt es bei Wohlleben einmal. Nun, die Verbindung mit Uster zu dichterischem Austausch und gemeinsamem Auftritt ist jedenfalls so überzeugend wie ihre Sprachkraft. Den hohen Ton von Heine, Morgenstern und Ringelnatz hat ihre Dichtung, bei der gelacht werden darf, der aber auch stets nachgesonnen werden muß. Das Wortraum-Publikum hat sie mit anerkennendem und begeistertem Beifall aufgenommen.

Emil Mündlein
Volksblatt, 9. 12. 1992