Rezension:
Blickt man über den technischen und ästhetischen Werdegang der Leinwandkunst hinaus, so ist Filmgeschichte immer auch ein lebendiges Stück Zeitgeschichte und auch die Historie von Personen und Einzelschicksalen. Während jeder Film auf die ein oder andere Weise in enger Beziehung zu den Erfahrungen seiner Schöpfer und den äußeren Umständen seiner Entstehungszeit steht, bieten Biografien, Autobiografien und Erfahrungsberichte von Filmemachern teilweise recht authentische Einblicke in die Personen und die Persönlichkeiten hinter den Leinwandprodukten. Eindringliche Lebensschilderungen wie Chaplins »Geschichte meines Lebens« (1978) oder Eisensteins »Über mich und meine Filme« (1975) haben literarische Maßstäbe für den spannenden biografischen Zugang zur Filmgeschichte gesetzt. Sie haben bewiesen, daß Filmbücher dieses Genres mehr sein können als bloße Starliteratur.
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Sirk bei Dreharbeiten zu »A Time to
Love and a Time to Die« (1957/58)
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In einer Reihe mit diesen Werken wird in Zukunft auch die Publikation der 1970 geführten Gespräche Jon Hallidays mit dem 1987 verstorbenen Regisseur Douglas Sirk genannt werden müssen, die jetzt in deutscher Fassung vorliegt. Das Buch ermöglicht einen intensiven Zugang zu dessen Werk und bietet einen tiefen Einblick in die Reflexionen eines intellektuellen Beobachters und involvierten Zeitzeugen über mehr als drei Jahrzehnte europäischer und amerikanischer Geschichte und Filmgeschichte. Die flüssig übersetzte, unter Berücksichtigung des deutschen Lesers sorgfältig überarbeitete und mit umfangreichem Anhang zu Leben und künstlerischem Schaffen Sirks sowie weiterführender Literatur versehene deutsche Fassung läßt fast darüber hinwegsehen, daß man in der Heimat des 1897 als Detlef Sierck in Hamburg geborenen Regisseurs 25 Jahre gebraucht hat, sich zur Übertragung der bereits 1972 erschienenen Gespräche durchzuringen.
Die teilweise schleppenden Schilderungen des zur Zeit der Gespräche bereits 72jährigen Regisseurs stimmen nicht immer exakt mit den überlieferten Daten überein. Doch gerade die Subjektivität von Sirks Erinnerungen, wenn er z.B. aus seiner Jugendzeit berichtet und seine frühen Erfahrungen mit der Kunst, auch dem Kino schildert, macht das Buch so spannend und wertvoll. Er berichtet von seiner Zeit als Student der Philosophie und Kunstgeschichte in München, Jena und Hamburg, von seiner Theaterarbeit in Hamburg, Bremen, Leipzig und Berlin und von seinen ersten Filmaufträgen bei der Ufa, bevor diese Mitte der 30er Jahre zunehmend von den Nazis durchdrungen wurde. Mit Filmen wie »April, April« (1935), »Das Mädchen vom Moorhof« (1935), »Schlußakkord« (1936) und »La Habanera« (1937) über das Schicksal einer schwedischen Bürgerstochter in den Händen ihres selbstsüchtigen puertoricanischen Ehemannes konnte Sierck sich in Deutschland recht schnell etablieren, ließ sich dabei aber anders als in seinen mutigen Theaterinszenierungen zusehends von den Nazis vereinnahmen. Später als die meisten seiner Künstlerkollegen entzog er sich deren Anbiederungen und entschloß sich erst 1938, Deutschland den Rücken zu kehren. Über die Schweiz kam er 1939 nach Hollywood, wo er sich den Namen Douglas Sirk gab.
Die 32 Filme, die er zwischen 1942 und seiner Rückkehr nach Europa 1959 drehte, haben ihn als Hollywood-Regisseur unsterblich gemacht. Er gehört zu den wenigen Künstlern aus dem Mekka des kommerziellen Films, auf die sich auch europäische Autorenfilmer wie Godard, Truffaut, Kaurismäki und selbst Rainer Werner Fassbinder berufen. Fassbinder hatte Sirk 1970 zu seinem Vorbild erklärt, ihn an die Münchener Filmakademie geholt und mehrere gemeinsame Projekte geplant, bevor jener 12 Jahre später den Nachruf für seinen jungen Kollegen verfassen mußte. Während sich Sirk in den Gesprächen mit Halliday an viele seiner Filme kaum noch zu erinnern vermochte, sind es insbesondere die Schilderungen von Begegnungen mit Persönlichkeiten seiner Zeit, darunter Franz Werfel, Frank Wedekind, Gustav Landauer, aber auch mit Regiekollegen wie Eisenstein, Lang und Pabst oder Zarah Leander und Rock Hudson, die seine Schilderungen lebendig machen.
Die Beschreibungen seiner Arbeit lassen teilhaben an Sirks filmischem Schaffen. Dieses war maßgeblich vom Theater beeinflußt, wie an der sorgfältigen Auswahl und dem subtilen Einsatz seiner Charaktere unschwer zu erkennen ist. Doch auch die Bedeutung filmtechnischer Mittel für den Künstler werden transparent: der nuancierte Gebrauch von Kamera und Licht, Schnitt und Farbe, der seine Filme damals weit über den kommerziellen Mainstream Hollywoods hinaushob. Über das filmische Werk Sirks lassen sich kaum passendere Worte finden als die von Jean-Luc Godard (1959 in den »Cahiers du Cinema«): »Diese irre Mischung: Mittelalter und Modernismus, Sentimentalität und Raffinement, unauffällige Einstellung und wahnsinniges CinemaScope. Von all dem, das sieht man doch, muß man reden wie Aragon von Elsas Augen, schwärmend viel, ein wenig, von Herzen, gar nicht, die einzige Logik, in die Douglas Sirk sich verwickelt, ist die der Schwärmerei.«
Mit dem Buchtitel »Imitation of Life« ist die deutsche Ausgabe dem letzten von Sirks Spielfilmen gewidmet. Angesichts nachlassender Gesundheit war er 1958 gezwungen, Hollywood den Rücken zu kehren, um sich in der Schweiz wieder dem Theater, der Malerei und dem Schreiben zuzuwenden. Durch dieses Buch ist die Person des vielschichtigen Künstlers als Persönlichkeit und Schöpfer einer langen Reihe wundervoller Filme nun endlich auch hierzulande zugänglich.
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Written on the Wind
Für Douglas Sirk
Es weht ein wilder Sturm der Lust und Leidenschaften
in Cinematoscope: Umarmung, Trennung, Küsse,
ein Fliehen in der Nacht, Geschrei, Revolverschüsse:
kommt nun auch Polizei, Rock Hudson zu verhaften?
Ein Millionär ist tot. Wo die Konflikte klafften
(in Öl und Alkohol), dort borden die Ergüsse
aus tränenblindem Aug ins neue Glück, als müsse
Lauren Bacall allein des Gatten Schuld verkraften.
Sie, schöne Witwe, ist Rock Hudson zugetan.
Doch Dorothy Malone, perfid und nymphoman,
sitzt auf des Vaters Stuhl, tailliert, kokett, hoffärtig.
Der Bohrturm ist ihr Heil. Sie hält den Finger drauf.
Nicht mehr der Spermastrahl, das schwarze Gold schießt auf,
The End. Doch Ödipus ist immer gegenwärtig.
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