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Klaus M. Rarisch

Niepepiep
Ein Dichter gegen seinen Kaiser

Seit der Jahrhundertwende, seit den Zeiten von Richard M. Meyer und Samuel Lublinski, bis zum heutigen Tage hat die Germanistik sich schwer an Arno Holz versündigt (1). Neuerdings sind die Meinungen kontrovers: Theo Meyer bezeichnet den Dichter als »die stärkste Potenz des deutschen Naturalismus« (2), wogegen Gerhard Schulz in ihm nur »das spezifisch Holzisch-Psychopathische« zu erkennen vermag (3). Die Argumente der Kritiker beruhen zum einen auf Legendenkolportagen, die durch die unbefriedigende Quellenlage begünstigt werden: 1979, fünfzig Jahre nach dem Tode von Holz, existiert noch immer keine komplette, geschweige denn eine kritische Ausgabe seiner Werke und Briefe, wie auch eine umfassende Bibliographie der Sekundärliteratur fehlt. Zum anderen handelt es sich um Mißverständnisse und Fehlinterpretationen. So versucht man Holz das politische Bewußtsein abzusprechen, und das just am Beispiel seines ersten vollgültigen Gedichtbandes »Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen«, das 1885 (auf 1886 als Erscheinungsjahr vordatiert) aus politischen Gründen in der Schweiz erscheinen mußte und mit dem Holz – für ein Honorar von 25 Mark! – die sozialkritische Großstadtlyrik deutscher Sprache begründete. Als Indiz muß ein einziges armseliges Wort aus dem ursprünglich 429 Seiten umfassenden Buch herhalten: das Wort »Mob« (laut Duden: undisziplinierter, randalierender Haufen von Menschen).

Unter dem Titel »Ein für allemal!« veröffentlichte Holz darin den Vierzeiler:

    Verhaßt sind mir bis in den Tod
    popogescheitelte Manieren –
    doch zehnmal lieber schwarzweißrot,
    als mit dem Mob fraternisieren! (4)

Klaus R. Scherpe betrachtet das als Beleg für

    stets (!) subjektive Vorbehalte gegen die organisierte Massenbewegung der Arbeiterschaft und ihre revolutionäre Zielsetzung: so zum Beispiel in der üblichen (!) Abwertung des klassenbewußten Proletariats als »Mob« … (5).

Wenn der Duden recht hat, kann aber niemand die »organisierte Massenbewegung der Arbeiterschaft«, die 1914 brav und patriotisch die Kriegskredite bewilligte, für einen undisziplinierten, randalierenden Haufen von Menschen gehalten haben. Noch kühner interpretiert Scherpes Kollege Gerhard Schulz: Holzens

    Schutzpatron Heine hatte sich schweren Herzens eher zum hungernden »Mob« bekannt, als sich auf die Seite des gemeinsamen Feindes zu schlagen. Hier aber sieht Holz die eine Seite in der Kutsche vorbeifahren, die andere kennt er nur (!) als »Mob« … (6).

Erstaunt erfährt man also, daß der Mob nicht randaliert, sondern hungert, während der nächste Germanist, Klaus-Michael Bogdal, dem »Lumpenproletariat« die »organisierten Arbeiter« entgegenstellt, die

    in Wirklichkeit zumeist gut verdienende Facharbeiter (7)

gewesen seien. Beschließen wir die literaturwissenschaftliche Blütenlese mit Onno Frels: er kritisiert wie seine Vorgänger

    das gesteigerte Individualitätsbewußtsein der bürgerlichen Literaten, in dem die Arbeiterklasse als Trägerin der sozialistischen Bewegung weithin als nivellierende »Masse« oder gar – wie bei Arno Holz – als »Mob« erschien (8).

Ist es denn so durchaus unvorstellbar, daß Holz mit dem »Mob« eben nicht die klassenbewußte Arbeiterschaft, sondern im Gegenteil das undisziplinierte, randalierende Lumpenproletariat gemeint haben könnte? Und was das »zehnmal lieber schwarzweißrot« betrifft, so hat sich Holz im selben »Buch der Zeit« zu dieser Scheinalternative unmißverständlich geäußert:

    Zwar lieblich locken die Moneten,
    doch fehlt mir leider das Talent
    zum schwarzweißroten Hofpoeten. (9)

Zu welch grotesken Mißdeutungen sich die ideologisch befangene Literaturkritik versteigen kann, zeigt die lapidare Bemerkung von Bogdal in bezug auf das »Buch der Zeit«:

    Elend und Armut werden in den frühen achtziger Jahren als »Beleidigungen« für Auge und Ohr des schönheitssuchenden Dichters wahrgenommen (10).

Was er dagegen wirklich als ästhetische »Beleidigung« wahrnimmt, hat Holz deutlich ausgesprochen, nämlich religiös inspirierten Kitsch, aber niemals Proletarierelend:

    Denn stets beleidigt meine Phantasie
    ein Marmorchristus mit verrenkten Knochen … (11).

Daß Holz politisch weitsichtiger war als die Zeitgenossen, zeigt seine Komödie »Sozialaristokraten«, die er wegen der Ablehnung der damaligen, seinen Epigonen und Erzrivalen Gerhart Hauptmann favorisierenden Theaterpäpste Otto Brahm und Paul Schlenther am 15. 6. 1897 auf eigene Kosten und unter eigener Regie aufführen lassen mußte. In dem späteren »Phantasus«-Gedicht »In Memoriam« (12) schildert er wahrheitsgetreu den Publikumserfolg der Premiere und den folgenden Presseverriß von Schlenther, der das Stück als »Bierulk« abtat. In Wirklichkeit handelt es sich um die bühnenwirksame Verbindung von Literatur- und Politsatire am Beispiel der Friedrichshagener Bohemiens (13) unter Führung von Bruno Wille (14), der als Vorbild für den negativen Helden der Komödie dient, für die Figur des Dr. Benno Gehrke, eines literarischen Schwätzers, der mit unverdauten Nietzsche-Phrasen den latenten Antisemitismus der Kaiserzeit (15) für seine Karriere als chauvinistischer Reichstagsabgeordneter zu aktivieren versteht. Wie virulent die von Holz persiflierte Phraseologie nachwirkte, geht aus der Selbstdarstellung eines deutschen Hochschullehrers aus dem Jahre 1966 (!) hervor, des Prof. Dr. rer. pol. habil. Otto Kühne von der TU Berlin:

    Und so sah ich im aufkommenden Nationalsozialismus anfangs nur eine gewisse Bestätigung meiner schon immer vertretenen »sozialaristokratischen« Grundauffassung (16).

Soweit die Literaturwissenschaftler nicht wie Bogdal (17) die »Sozialaristokraten« völlig ignorieren, müssen sie den politischen Standpunkt von Holz wenigstens erörtern, wenn auch nicht akzeptieren (18). Dagegen herrscht im Hinblick auf die spätere Lyrik von Holz in der Forschung die Tendenz vor, dem Dichter das sozialkritische Engagement abzusprechen. So schreibt z. B. Frels über den »Phantasus«:

    Das in der Frühphase des Naturalismus vorhandene Interesse an der Welt der Arbeiter ist erloschen und einem Solipsismus gewichen, der soziale Spannungen und Konflikte aus seinem Gesichtskreis verbannt (19).

Diese lapidare Behauptung ist leicht zu widerlegen. Zu den bekanntesten »Phantasus«-Gedichten gehört die »Moderne Großstadtballade« (20), die auch in zahlreichen Anthologien vertreten ist (21). Vergleicht man nun die erste, 17-zeilige Fassung des Gedichts im Ur-»Phantasus« von 1898/99 (22) mit der erheblich erweiterten Version im großen Insel-»Phantasus« von 1916 (23), so ergibt sich, daß sich das soziale Interesse des Dichters hier just zwichen 1898 und 1916 entwickelt und präzis artikuliert hat, in einer Zeit also, da allgemein der Naturalismus für »überwunden« galt. Die Urfassung schildert nur ziemlich vage, in der Art eines impressionistischen Stimmungsbildes, das Elend einer armen Frau und ihrer Kinder, denen der Familienvater gestorben ist, mit einem dezenten Hauch von damals modischer Dirnenromantik, die Holz selbst später in der »Blechschmiede« persiflierte (24). Ganz anders 1916, da liegt der Schwerpunkt auf der ausführlichen Darstellung des Proletarierschicksals: der Vater (1898 nur als »Der tote Mann!« erwähnt) erscheint bei seiner alltäglichen, fleißigen Fabrikarbeit; der Familie ist ein bescheidenes Glück vergönnt, das durch den tödlichen Arbeitsunfall des Mannes abrupt endet (25). Bedenkt man die auch heutzutage beklagten Defizite in der Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen, ist das Gedicht leider noch immer aktuell. – Die Rezeption und adäquate Beurteilung des »Phantasus« sowohl beim breiten Leserpublikum als auch in der Forschung wird allerdings erschwert durch den jahrzehntelangen Erweiterungs- und Perfektionierungsprozeß, in dem der Dichter (über einzelne Vorabdrucke, Teileditionen und vier textlich unterschiedliche Buchausgaben hin) sein Hauptwerk allmählich zur definitiven Gestalt formte (26). Analoges gilt auch für die »Blechschmiede« von Arno Holz.

Wäre diese große ideologiekritische Verssatire nicht noch unbekannter (27) als der »Phantasus«, könnte es heute über Holzens Rang als politischer Dichter keine Diskussion mehr geben. Seine Witwe Anita Holz berichtet in ihren unveröffentlichten Erinnerungen über die Entstehung des Werkes:

    Viele Jahre hindurch schrieb Holz mit einem Bleistiftstümpfchen alle Verse, die ihm gelegentlich einfielen, auf kleine Zettel, deren er immer einige in den Hosentaschen bei sich führte. Abends versenkte er die Zettel dann in die Tiefen einer Zigarrenkiste …; als dann einige Kisten voll waren, stellte er aus dem Inhalt die »Blechschmiede« zusammen, die er den »umgekippten, umgestürzten Wunderpapierkorb« nannte (28).

Holz klebte die losen Zettel in ein Tapetenmusterbuch ein, das als Druckvorlage für die 1902 erschienene Erstausgabe diente (29). Dazu passen die brieflichen Äußerungen von Arno Holz über die Entstehungsgeschichte der »Blechschmiede« (30). So weiß man z. B., daß der Monolog der »Flördeliese« (31) – nach Art eines Lesedramas sind die Gedichte in der »Blechschmiede« handelnden bzw. sprechenden Figuren und teilweise sogar den Regieanweisungen zugeteilt – bereits 1897 entstanden war (32). In demselben Jahr versuchte Holz sein Werk, das nach einer der Hauptfiguren ursprünglich »Apollonius Golgatha« heißen sollte, in Fortsetzungen, als ständige satirische Rubrik, in der Münchener Zeitschrift »Jugend« zu veröffentlichen (33). Daß dieses Projekt nicht zustande kam, war vermutlich ein Glück für Holz, der sich damit politischer Verfolgung ausgesetzt haben würde, wie wir noch sehen werden (34).

Die Forschung, soweit sie sich überhaupt näher auf die »Blechschmiede« eingelassen hat, sieht darin mehr die Literatur- als die Weltanschauungssatire. Tatsächlich aber sind in dem Werk beide Komponenten eng miteinander verflochten. Die Arbeit von Burkhard Seubert (35), die einzige Dissertation speziell über die »Blechschmiede«, liegt leider nur als Typoskript vor und ist deshalb kaum bekannt, so daß hier kurz darüber referiert werden darf. Das Vorbild für den lyrischen Antipoden von Arno Holz, der selbst in der »Blechschmiede« in verschiedenen Rollen und Lebensaltern auftritt und damit den Wandel seiner poetischen und politischen Überzeugungen bekundet, das Vorbild also für die Figur des Apollonius Golgatha ist bekanntlich vor allem Stefan George, den Holz als dekadenten, hermaphroditisch-impotenten Fin-de-siècle-Typ lächerlich macht. Seubert weist nach, daß in diese Gestalt auch andere Lyriker der Zeit eingeflossen sind, z. B. Dauthendey (36), Hofmannsthal (37) und Rilke (38). Er charakterisiert dies zutreffend als

    Beispiel für die parodistische Technik Holzens, die gerade auf einer unlösbaren Verquickung von Stilzügen aus mehreren, an sich sehr verschiedenartigen Originalen zu beruhen scheint (39).

Weitere in der »Blechschmiede« zitierte bzw. parodierte Autoren sind nach Seubert: Mombert, Hauptmann, Schaukal, Hermann Bahr (der »Impresario«), Hermann Conradi, Karl Bleibtreu, Bierbaum, Däubler, Liliencron und Dehmel. Mit Bezug auf Dehmel, der mit Holz – zeitweilig durch literarische Zwistigkeiten unterbrochen (40) – eng befreundet war, schreibt Seubert:

    Hier fällt aber zugleich auf, daß Holz in einem freundschaftlichen Verhältnis zu irgendeinem Dichterkollegen durchaus keinen Grund erblickte, diesen in der Satire glimpflicher zu behandeln als andere Objekte (41).

So gut also Seubert die Literatursatire analysiert, so gründlich täuscht er sich über den politischen Sprengstoff in der »Blechschmiede«:

    So ist es beispielsweise bezeichnend, daß er (Holz) grundsätzlich keine Zeitungen las (42), daß sich … in seinen Dichtungen kaum die Niederschläge oder Wirkungen des aktuellen, etwa politischen Tagesgeschehens finden lassen (43).

Dabei hätte es doch auffallen müssen, daß Holz schon formal die Passagen von allgemeinerer und auch politischer Bedeutung (44) dadurch hervorhob, daß er sie auf die »Phantasus«-Mittelachse setzte, während die traditionell gereimten Gedichte der Abrechnung mit der (für Holz!) überholten Versform, also der Literatursatire im weiteren Sinne dienten (45). Die Erstfassung der »Blechschmiede« enthält nur zwei Mittelachsen-Monologe: den »Mittelachsler« (46), mit dem sich Holz selbst ironischst in Frage stellt, wenn er seine eigenen »sogenannten Verse« verdächtigt, »nur der transzendentalste Bockmist« zu sein, und »Niepepiep« (47). Mit dieser Figur wollen wir uns nun näher befassen.

Seubert gibt dazu die denkbar vagste, unspezifischste Interpretation: »eine witzige Verspottung jedes pompösen Staatszeremoniells« (48). Man könnte dabei etwa an Thackerays »Book of Snobs« (1849) denken, das ja ein Kapitel »Der Hofbericht und sein Einfluß auf die Snobs« enthält. Schulz kommt der Sache näher: er nennt den Monolog »zweifellos eine der besten Satiren, die es auf den imperatorischen Größenwahn Wilhelms II. gibt« (49), schränkt aber sein widerwillig erteiltes Lob sogleich wieder ein, indem er Holz für unfähig zur »intellektuellen Durchdringung« erklärt (50). Jedenfalls spricht er von »einer ziemlich unverhüllten Karikatur Wilhelms II.« (51). Daß die schwache Tarnung für Holz existenzgefährdend war, verschweigt Schulz jedoch. So wurde beispielsweise Frank Wedekind aufgrund der satirischen Gedichte »Meerfahrt« und »Im Heiligen Land«, die im »Simplizissimus« erschienen waren, wegen »Majestätsbeleidigung« immerhin zu einem halben Jahr Gefängnis auf der Festung Königstein verurteilt (52). Nun fand zwar auch die »Blechschmiede« (53), wie zuvor schon das »Buch der Zeit« (54), nur sehr geringe Verbreitung, aber wäre es Holz gelungen, den Niepepiep-Monolog in der »Jugend« zu veröffentlichen, hätte auch ihm ein Majestätsbeleidigungsprozeß geblüht.

Die Entstehung des Monologs kann genau datiert werden. In einer unveröffentlichten Einführung von Holz zu einer Lesung aus eigenen Werken (die Hervorhebungen dienten der Akzentuierung beim mündlichen Vortrag) heißt es:

    Ich lese jetzt aus der »Blechschmiede«: »Niepepiep«. Ich schrieb dieses Gedicht am Abend jenes jetzt schon recht fernen Tages, an dem Wilhelm der Zweite von seiner Reise nach Jerusalem in Berlin durch die Linden einzog. Ich war durch Zufall in den unerhörten Pomp geraten, mit dem diese Angelegenheit damals betrieben wurde, und das Resultat, wie gesagt, war für mich das nun folgende Stück (55):

Dieser Tag war der 1. 12. 1898, als der Kaiser von seiner Orientreise zurückkam, die ihn über Wien und Venedig nach Konstantinopel, Jerusalem, Bethlehem und Damaskus geführt hatte; in Damaskus hatte er in einer seiner berüchtigten Reden gesagt:

    Möge der Sultan und mögen die dreihundert Millionen Mohammedaner, welche, auf der Erde zerstreut lebend, in ihm ihren Kalifen verehren, dessen versichert sein, daß zu allen Zeiten der Deutsche Kaiser ihr Freund sein wird (56).

Eben diese Reise hatte auch Wedekind in seinen inkriminierten Simplizissimus-Gedichten persifliert:

    Mit Stolz erfüllst du Millionen Christen;
    Wie wird von nun an Golgatha sich brüsten,
    Das einst vernahm das letzte Wort vom Kreuz
    Und heute nun das erste deinerseits (57).

Holz hat in den späteren Fassungen der »Blechschmiede« den Monolog durch eine vorangestellte Regiebemerkung, in der er die »Siegesallee« erwähnt (58), sich noch deutlicher auf den Kaiser bezogen und damit sein persönliches Risiko erhöht. Wilhelm II. ließ zu beiden Seiten einer Promenade im Berliner Tiergarten die Marmorstatuen seiner sämtlichen Vorgänger aufstellen, der Herrscher von Brandenburg und Preußen. Diese »Siegesallee« wurde am 18. 12. 1901 mit einer Kaiserrede gegen den Naturalismus eingeweiht:

    Eine Kunst, die sich über die von Mir bezeichneten Gesetze und Schranken hinwegsetzt, ist keine Kunst mehr, ist Fabrikarbeit, ist Gewerbe, und das darf die Kunst nie werden (59) … Wenn nun die Kunst, wie es jetzt vielfach geschieht, weiter nichts tut, als das Elend noch scheußlicher hinzustellen, wie es schon ist, dann versündigt sie sich damit am deutschen Volke (60).

Als »Fabrikarbeit« und kunstgewerbliche Kitschanhäufung aber präsentierte sich gerade Wilhelms »Siegesallee«, wie sogar der monarchistische Kritiker Graf Reventlow feststellte:

    Die Siegesallee endlich predigt den künstlerischen Byzantinismus ebenso laut, wie die Auffassung des Kaisers vom Fürsten und seinen Handlangern. Sie ist ein vollkommener Ausdruck des Byzantinismus, nicht nur weil sie die Bedeutung einer langen Reihe von Fürsten, von wenigen abgesehen, in einer Weise hervorhebt, die der Geschichte widerspricht, nein hauptsächlich ist es die Uniformität der Auffassung und Durchführung, das sklavische Befolgen der kaiserlichen Auffassung (61).

Arno Holz, der den Niepepiep selbst für eine seiner gelungensten Gestalten hielt (62), kam auch später im »Phantasus« mehrmals darauf zurück: mit einer direkten Apostrophe als »Esel aller Esel« (63) und mit der indirekten Erwähnung der »›Timbuktuer‹ Siegesallee« im »Deutschen Dichterjubiläum« (64). Wie wenig diese Zusammenhänge selbst bei Experten bekannt sind, zeigt der 1977 erschienene Faksimile-Neudruck der illustrierten Einzelausgabe dieses Gedichts von 1923 (65). Der sonst sehr gründlich kommentierende Herausgeber Peter Horwath bezieht in seinem Nachwort (66) die »Siegesallee« auf die reale Stadt Timbuktu!

Daß Holz den Ort der Handlung von Berlin gerade nach Timbuktu verlegte, deutet auf seine kritische Einstellung gegen die wilhelminische Kolonialpolitik, die ja vor allem in Afrika ihr Betätigungsfeld fand. Wenn er in einem Brief von 1903 »das Konstruiren von Panzerschiffen« als »lebensnotwendige Funktion der Menschheit« (nicht etwa des deutschen Volkes!) bezeichnete (67), so mag er geirrt haben, wie ja auch die heutige Rüstung unter dem strategischen Motto vom Gleichgewicht des Schreckens sich eines Tages als tödlicher Irrtum herausstellen könnte. Wahrscheinlicher ist aber, daß Holz sich hier, ohne militaristische Hintergedanken, schlicht dem technischen Fortschrittsglauben der Zeit angeschlossen hat. Jedenfalls hat Schulz, der mit diesem Zitat triumphierend sein Buch beschließt (68), keinen Grund, Holz mangelndes Prophetentum vorzuwerfen. Ist nicht auch heute die Mehrzahl der Menschen von der Notwendigkeit der Raumfahrt überzeugt, während kaum einer sie für unnütz hält? Und wer hätte etwa 1898, als die kaiserliche Flotte sich in der Südsee festsetzte und das Deutsche Reich die Karolinen- und Marianen-Inseln für 17 Millionen Mark erwarb, ahnen können, daß die deutsche Bevölkerung dort 1913 ganze 154 Köpfe zählen würde (69)? Wie immer man zur Außenpolitik des Kaiserreiches, etwa zur Kriegsschuldfrage stehen mochte: daß die volle Verantwortung für diese Politik Wilhelm Il. persönlich, jedenfalls bis 1914, leichtfertig als »Dilettant durch und durch« (70) übernommen hatte, erfuhren die Deutschen erst viel später, im Grunde erst 1948 durch die Forschungsergebnisse des Historikers Erich Eyck (71). In diesem Punkt erwies sich Holz hellsichtiger als die meisten seiner Zeitgenossen, und wenn Schulz, negativ akzentuierend, Holzens Haltung »auf einer intuitiven Reaktion« (72) gegründet wissen will, so ist zu fragen, mit welchem Recht einem Dichter die dichterische Intuition zum Vorwurf gemacht werden kann.

Als Holz am Abend des 1. Dezember 1898 den Niepepiep schrieb, verließ er sich nicht nur auf das soeben Beobachtete. Die pompöse Rückkehr des Kaisers war vielmehr nur der letzte Anstoß für die Satire auf Wilhelm II., die sich Holz schon lange vorgenommen hatte. In seinem Nachlaß fanden sich Teile zweier aufeinanderfolgender Ausgaben des »Berliner Lokal-Anzeigers« (73), vom 27. 1. 1898 (2. Ausgabe, Abendblatt) und vom 28. 1. 1898 (l. Ausgabe, Morgenblatt), in denen in Fortsetzung elfspaltig über die Feier von Kaisers Geburtstag berichtet wurde. Holz hat Passagen daraus wörtlich in den Niepepiep-Monolog aufgenommen (74), wobei er mit genialer Einfachheit die vom Kaiser inspirierten Hofberichterstattungsphrasen diesem selbst in den Mund legte. Nachfolgend wird der Monolog in der Erstfassung (75) leicht gekürzt wiedergegeben. Die kursiv gesetzten Stellen verweisen auf die Übernahmen aus dem Lokal-Anzeiger, die anschließend dokumentiert werden.

Aus Anlaß Meiner glücklichen Wiederkehr nach Timbuctu
verleihe Ich dem Oberpriester Müller
das Großkreuz Meines blauen Elephantenordens mit Palmwedeln und Schwertern.
Er hat es an einen goldnen Ring zu hängen (a)
und Ich gestatte ihm huldvollst, daß er sich diesen durch die Nase zieht.
Seine Gattin,
geborne v. Brocktisch, verwitwete Kretschmer,
erhält eine neue Klapperschlangenboa,
drei Kilo Leberthran,
sowie die silberne Verdienstbroche. (b)

Ich befehle!

Festlich entkleidete Amazonenregimenter
erwarten Mich auf bronzierten Krokodilen am Niger.
Der Weg durch die Wüste wird noch einmal mit Sand bestreut.
In genau einzuhaltenden Pausen, beziehungsweise Zwischenräumen von je fünf Minuten
befahren ihn grüne Sprengwagen mit Terebinthenwasser.
Die Meridiane werden entfernt, die Parallelkreise mit Oelfarbe bestrichen.
Die Glocken sämtlicher Konfessionen haben zu läuten. (c)
Kalmus, Ansichtspostkarten, Wallnußstangen,
Extrablätter, mit Moskitoschnaps gefüllte Straußeneier und Porträts von Mir
in großer, gestickter Admiralsuniform, behängt mit den Ketten Meiner sämtlichen Orden, (d)
mit und ohne Bartbinde,
verteilt Mein Balletkorps.
Jeder noch unbescholtene Bürger der staatserhaltenden Parteien
erhält gegen Vorzeigen seiner Steuerquittung eine Blechmarke und darf zugreifen.
Desgleichen steht die ganze Zeit über
der Besuch der öffentlichen Rotunden
GRATIS
frei.
Die Kosten
bestreitet aus ihrem letzten Ueberschuß von achtundachtzig Millionen
Meine Privatschatulle.
Im Paletot mit Pelzkragen,
gefolgt von Meiner gesamten maison militaire, (e)
links von Prittzewitz, rechts von Zittzewitz, (f)
passire Ich dann pünktlidi Schlag Zwölf Uhr
das Nilpferdthor.
Ich werde sehr ernst aussehn!
In Kameelshaarmänteln,
die Schädel geschoren, um die Gurgel den Strick,
mit Kettenkugeln an den Arc de triomphe geschweißt,
erwarten Mich knieend die Väter der Stadt.
Der Kadi redet.
Ich höre aufmerksam zu und mit sichtlichem Wohlwollen.
Nachdem Ich indessen allergnädigst geruht haben werde,
nicht zu antworten,
wird Omar-Ibn-Ibraim Pascha,
der alte, silberbärtige Aga Meiner Janitscharenorta,
den Yatagan ziehn,
in demselben Augenblick,
über die bunte, gedrehte Mittelkuppel Meiner Mondmoschee,
flitzt Meine große, getigerte Standarte hoch, (g)
und unter den flutenden Wellen des Präsentiermarsches,
unter den begeisterten Zurufen des Publikums, (h)
werde Ich lächelnd,
zwischen jedem Kandelaberpaar mit dem Zeigefinger an den Turban greifend,
rechts von Zittzewitz, links von Prittzewitz,
schneidig,
bis vor die weißen, weit geöffneten Elfenbeinflügel Meines Kremls
durch Meine Hauptstadt reiten.

Ferner!

Den Abend vorher,
in der mit vergoldeten Drachenlichtern zu erhellenden Aula der Universität,
wird Yorimaschighe Sebulon Freudenthal,
der neuernannte Professor der Beredsamkeit, (i)
über die Autointoxikation bei Tieren, (j)
insbesondere Plumpfischen, Pfeffervögeln und Meerschweinchen,
unter dem Gesichtspunkt
ihrer spezielleren Beziehung zu Unserem Erhabenen Herrscherhause,
einen auf purpurnes Eselsleder mit Diamantstaub kalligraphierten Vortrag ablesen.

. . . . . . .

Die Sonne,
eingeholt von den mit grünem Seidentafft zu überziehenden Ballons
Meiner Luftschifferabteilung,
begrüßt von sämtlichen silbernen Kesselpauken Meiner sämtlichen Armeekorps,
wird an dem festlichen Morgen selbst
sieben Sekunden früher aufgehn.
Das Betreffende,
nach erledigtem Uebereinkommen mit Konsistorium und Sternwarte,
veranlaßt Mein Hofmarschallamt.
Alles Sterben an diesem Tage ist zu unterlassen, alles Gebären einzustellen.

. . . . . . .

Ferner!

In allen öffentlichen Vergnügungslokalen,
von acht Uhr abends ab,
nach Schluß des Zapfenstreichs,
findet
BAUCHTANZ
statt.
Die Polizeiorgane sind angewiesen, nicht zu intervenieren.
Sollten nichtsdestoweniger Unruhen vorkommen,
so ist angeordnet worden, nur auf die Füße zu schießen.

Ferner!

Die Feier hat einen durchaus patriotischen Verlauf zu nehmen! (k)

Originaltext aus dem »Berliner Lokal-Anzeiger«:

(a) Unter den zahlreichen Ordensverleihungen vom heutigen Tage seien die folgenden besonders hervorgehoben: Es erhielten … der General der Cavallerie v. Bülow, commandierender General des XIV. Armee-Corps, das Großkreuz des Rothen Adler-Ordens mit Eichenlaub und Schwertern am Ringe

(b) Die silberne Verdienstbrosche am weißen Bande ist von der Kaiserin Frau Commerzienrath Hermann Gilka … verliehen worden.

(c) Noch bevor die Glocken der Schloßkapelle zum Gottesdienst zu läuten begannen, hatte die Gala-Auffahrt der hiesigen und fremden Fürstlichkeiten … ihren Anfang genommen.

(d) Der Kaiser in großer, gestickter Generalsuniform (76) mit den Ketten sämmtlicher preußischer Orden erschien mit der Kaiserin Friedrich, welche heute die Trauer abgelegt hatte.

(e) Als der Kaiser um ½1 Uhr im Paletot mit Pelzkragen, begleitet von der gesammten maison militaire, zu Fuß das Schloß verließ, wurde er auf dem ganzen Wege bis zum Zeughause von den dicht gedrängten Menschenmassen mit stürmischen Hochrufen begrüßt.

(f) Wie wir schon in unserer gestrigen Abendausgabe meldeten, traf gestern Nachmittag noch vor 3 Uhr der Kaiser in Generals-Uniform mit dem Flügel-Adjutanten Major von Pritzelwitz im Borsigschen Palais zur Besichtigung der Geweih-Ausstellung ein … (77).

(g) Auf dem alten, ehrwürdigen Hohenzollernbau stiegen die Standarten des Kaisers von Deutschland, des Königs von Preußen und des Markgrafen von Brandenburg empor.

(h) Beim Verlassen des Zeughauses nahm der Kaiser … den Parademarsch der Ehrencompagnie ab und kehrte dann gegen ½2 Uhr unter den Hochrufen des Publikums in das Schloß zurück.

(i) Die Universität hielt in der blumengeschmückten Aula eine Festsitzung ab, in welcher der neuernannte Professor der Beredtsamkeit, von Wilamowitz-Möllendorf, die Festrede … hielt.

(j) Die Thierärztliche Hochschule feierte heute den Geburtstag des Kaisers ebenfalls durch einen Festakt. Die Festrede des Professors Eber behandelte die Frage der Autointoxication bei Thieren.

(k) Die Feier von Kaisers Geburtstag … nahm nicht nur in Berlin, sondern auch in den übrigen Ortschaften Deutschlands einen echt patriotischen Verlauf.

Bemerkenswert sind in den beiden Ausgaben des Lokal-Anzeigers noch zwei weitere Meldungen. Zum einen wurde Paul Schlenther von Kaiser Franz Josef zum Direktor des Wiener Burgtheaters ernannt, womit auch die österreichischen Bühnen für Arno Holz verschlossen waren. Sodann eine Depesche aus Budapest, die zeigt, daß Wilhelm II. auch im Ausland nicht mit sich spaßen ließ:

    Das hiesige sozialistische Blatt brachte anläßlich des Besuches Kaiser Wilhelms in Budapest einen Artikel mit scharfen Angriffen auf die bürgerlichen Blätter, welche diesen Besuch feierten. Heute fand die Verhandlung vor dem Geschworenengericht statt. Der Verfasser des Artikels, Max Großmann, wurde der Aufreizung zum Klassenhaß schuldig gesprochen und zu dreimonatigem Gefängniß und 40 Gulden Strafe verurtheilt.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Arno Holz war kein ausschließlich oder überwiegend politisch motivierter und engagierter Dichter. Daß er aber politisch so wankelmütig, unbedarft oder desinteressiert gewesen wäre, wie er heute in vielen wissenschaftlichen Darstellungen erscheint, kann am Ende dieser Untersuchung wohl bezweifelt werden.

Anmerkungen:

(1) Vgl. dazu: Klaus M. Rarisch, Märtyrer oder Spekulant? Arno Holz soziologisch interpretiert, in: »Deutsche Volkszeitung«, Düsseldorf, vom 3. 2. 1972 = Rezension des Buches von Helmut Scheuer, Arno Holz im literarischen Leben des ausgehenden 19. Jahrhunderts. (1883-1896). Eine biographische Studie, München 1971. Zur Bedeutung des Dichters generell vgl.: Klaus M. Rarisch, Über Arno Holz, in: »die horen«, Band 88/1972, S. 96.
(2) Theorie des Naturalismus, hrsg. von Theo Meyer, Stuttgart 1973, S. 22.
(3) Gerhard Schulz, Arno Holz. Dilemma eines bürgerlichen Dichterlebens, München 1974, S. 190. – Vgl. dazu die Rezension von Robert Wohlleben, Zielscheibe Arno Holz, in: »die horen«, Band 103/1976, S. 63 f.
(4) Arno Holz, Werke, hrsg. von Wilhelm Emrich und Anita Holz, Neuwied/Berlin 1961-64 (im folgenden als »W« zitiert), Bd. V, S. 57.
(5) Klaus R. Scherpe, Der Fall Arno Holz. Zur sozialen und ideologischen Motivation der naturalistischen Literaturrevolution, in: Positionen der literarischen Intelligenz zwischen bürgerlicher Reaktion und Imperlalismus, Kronberg 1973, S. 142.
(6) Schulz, a.a.O., S. 29.
(7) Klaus-Michael Bogdal, »Schaurige Bilder«. Der Arbeiter im Blick des Bürgers am Beispiel des Naturalismus, Frankfurt 1978, S. 92. – Im übrigen schließt sich Bogdal (S. 218, Anmerkung 144) der Meinung von Scherpe und Schulz an.
(8) Onno Preis, Zum Verhältnis von Wirklichkeit und künstlerischer Form bei Arno Holz, in: Naturalismus/Ästhetizismus, Frankfurt 1979, S. 132.
(9) W V, S. 41.
(10) Bogdal, a.a.O., S. 37 (in Anlehnung an Scherpe, a.a.O., S. 138).
(11) W V, S. 202.
(12) W III, S. 318-334.
(13) Um so erstaunlicher, daß Frels (a.a.O., S. 131) auch Holz dem »Friedrichshagener« Schriftsteller-Typus zurechnet.
(14) Wille wurde nach dem Erfurter Parteitag aus der SPD ausgeschlossen.
(15) Vgl. als reale historische Pendants den antisemitischen Hofprediger Adolf Stöcker, den Holz bereits im »Buch der Zeit« (W V, S. 48) angegriffen hatte, oder die Karriere des Demagogen Ahlwardt (Erich Eyck, Das persönliche Regiment Wilhelms Il. Politische Geschichte des deutschen Kaiserreiches von 1890 bis 1914, Zürich 1948, S. 69 f.).
(16) Zitiert nach: Braune Universität. Deutsche Hochschullehrer gestern und heute, IV, hrsg. von Rolf Seeliger, München 1966, S. 94.
(17) Bogdal (a.a.O., S. 84) zitiert zwar, methodisch bedenklich, einen konservativen Kronzeugen wie Ernst von Wolzogen: »Die Kunst ist aristokratisch!«, aber die von Holz in den »Sozialaristokraten« vertretene Gegenposition läßt er völlig unerwähnt.
(18) Schulz, a.a.O., »stellt sich die Frage, ob es für die Literaturwissenschaft überhaupt sinnvoll (!) ist«, sich mit den Dramen von Holz zu befassen (S. 98), spricht Holz »Einsicht« (S. 102) und »tiefere Erkenntnis« (S. 105) ab, sieht in den »Sozialaristokraten« in Anlehnung an Schlenther »in der Tat über weite Strecken nichts anderes als ein(en) Ulk« (S. 104) und verdächtigt sogar Holz selbst der »Neigung zum Antisemitismus« (S. 108). Trotzdem ist es sinnvoll, sich überhaupt mit Schulz zu befassen, weil sein Buch leider symptomatisch für die Fehlurtelle der Literaturwissenschaft über Holz ist.
(19) Frels, a.a.O., S. 135.
(20) W I, S. 360-365.
(21) Zuletzt in: Das große deutsche Balladenbuch, hrsg. von Beate Pinkerneil, Königstein 1978, S. 483-487.
(22) Heute im Buchhandel als Faksimile-Ausgabe in Reclams Universal-Bibliothek (Nr. 8549/50), Stuttgart 1968, S. 52.
(23) Arno Holz, Phantasus, Leipzig 1916, S. 82 f.
(24) W VI, S. 35 (»Dritter Großstadtlyriker«).
(25) Damit ist, wenigstens in bezug auf Holz, auch Bogdals Behauptung widerlegt: »Die Produktionssphäre ist … in fast allen naturalistischen Werken ausgeblendet«; (Bogdal, a.a.O., S. 90).
(26) In der Nachlaß-Fassung (W I-III) drei Bände im Großformat mit insgesamt 1591 Seiten. – Ein ähnlicher Wandel von Gehalt und Funktion wie bei der »Modernen Großstadtballade« läßt sich z. B. auch an dem »Inferno«-Gedicht feststellen, Vgl. dazu: Klaus M. Rarisch, Gedanken über ein Gedicht von Arno Holz, in: »Materialien und Informationen zur Zeit«, Berlin, Nr. 4/76, S. 3 ff.
(27) Eine vom Verfasser vorgenommene Bearbeitung der »Blechschmiede« als Hörspiel (von den Sendern BR München, WDR Köln und RIAS Berlin in Coproduktion aufgenommen und als »Hörspiel des Monats« ausgezeichnet, im Herbst 1979 ausgestrahlt) dürfte zur Popularisierung des Werkes beitragen.
(28) Anita Holz, unveröffentlichtes Manuskript im Besitz des Verfassers. Die zitterte Passage fehlt in dem Teilabdruck: Anita Holz, Jahre voller Glück, in: Leben in Ostpreußen. Erinnerungen aus neun Jahrzehnten, München o. J. (1963), S. 99-115. Das vollständige Manuskript sollte ursprünglich in den Anhang zur siebenbändigen, inzwischen vergriffenen Nachlaß-Ausgabe der Werke von Arno Holz (W) aufgenommen werden und lag bereits in Korrekturfahnen vor, wurde aber in letzter Minute auf Wunsch des Mitherausgebers Wilhelm Emrich sistiert, der darin eine Verniedlichung des Dichters erblickte, so daß die Edition ohne jede biographische Erläuterung erschien.
(29) Das »Tapetenbuch« ist heute als wertvollstes Stück der Sammlung Arno Holz in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin archiviert; vgl. Ingeborg Stolzenberg, Der Nachlaß des Dichters Arno Holz in der Staatsbibliothek, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz XIII, Berlin 1976, S. 262 und Abbildung 99.
(30) Arno Holz, Briefe. Eine Auswahl, hrsg. von Anita Holz und Max Wagner, München 1948 (im folgenden als »Br.« zitiert). Die »Blechschmiede« wird erwähnt in den Briefen Nr. 64, 65, 85, 100 (offenbar falsch datiert!), 138, 176, 183, 185, 187, 190, 193, 199, 200, 201, 204 und 207.
(31) In der Erstausgabe, Arno Holz, Die Blechschmiede, Leipzig 1902 (im folgenden als »Bl.« zitiert), S. 82 f. Die »Flördeliese«, ein Meisterwerk der erotischen Lyrik, erschien 1919 auch als bibliophiler Privatdruck bei Alfred Richard Meyer.
(32) Br. S. 112.
(33) Br. S. 112-115. – In der »Jugend« erschienen 1898/99 zwölf »Phantasus«-Gedichte. Damit, wie auch mit weiteren Einzelpublikationen (im »Modernen Musen-Almanach auf das Jahr 1893« und in anderen Zeitschriften) wollte Holz vor allem seinen Prioritätsanspruch auf die Entwicklung der neuen lyrischen »Phantasus«-Form dokumentieren und untermauern.
(34) Das »Buch der Zeit« war nur deshalb nicht als »unzüchtige Schrift« konfisziert worden, weil es »in Deutschland keine Verbreitung gefunden« habe (Gerichtsurteil vom 26. 5. 1891). Wie groß das Risiko der politischen Verfolgung aber tatsächlich war, zeigt der Fall Oskar Panizza: dessen Hauptwerk, »Das Liebeskonzil«, erschien 1894 in demselben Züricher Verlag (Jakob Schabelitz) wie vorher das »Buch der Zeit«. Obwohl das »Liebeskonzil« in Deutschland kaum verkauft worden war, wurde Panizza wegen Gotteslästerung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt und später ins Irrenhaus gesteckt; vgl. dazu: Klaus M. Rarisch, Oskar Panizza (1853-1921), in: »Materialien und Informationen zur Zeit«, Berlin, Nr. 2/76, S. 18-22. – Holz war im »Buch der Zeit« nach damaligen Moralvorstellungen nicht weniger »blasphemisch« als Panizza.
(35) Burkhard Seubert, »Die Blechschmiede« von Arno Holz. Ein Beitrag zur Geschichte der satirischen Dichtung, phil. Diss. Univ. München 1954.
(36) Seubert, a.a.O., S. 45.
(37) Ebda., S. 48. – Hofmannsthal war wie Bierbaum, Dehmel und Liliencron Mitglied des von Holz 1902 gegründeten Kartells lyrischer Autoren; vgl. dazu: Wolfgang Martens, Lyrik komrnerziell. Das Kartell lyrischer Autoren 1902-1933, München 1975. – Holz hat mit dieser Gründung viel für die Existenzsicherung und Solidarität der Schriftsteller getan. Seine spätere Initiative von 1926 zur Umbildung der antiquierten Preußischen in eine autonome Deutsche Akademie der Künste (Br. S. 268-282) ist dagegen gescheitert.
(38) Ebda., S. 49, 51 f.
(39) Ebda., S. 50. – Dies gilt cum grano salis auch für die Schlüsselfiguren in Holzens Dramen »Sozialaristokraten«, »Sonnenfinsternis« und »Ignorabimus«. Vgl. dazu: Walter Beimdick, Arno Holz: »Berlin. Die Wende einer Zeit in Dramen.« Untersuchungen zu den Werken des Zyklusfragments, phil. Diss. Münster 1965.
(40) Beimdick, a.a.O., S. 134-138.
(41) Seubert, a.a.O., S. 79. – Die Bemerkung trifft auch auf die anderen Kartellmitglieder zu.
(42) Dabei stützt sich Seubert auf eine Aussage von Holz (Die neue Wortkunst, Das Werk Bd. 10, Berlin 1925, S. 481), die aber ganz offenbar rhetorisch gemeint und nicht wörtlich zu nehmen ist. Holz verfolgte das politische Tagesgeschehen sehr genau; in seinem Nachlaß fand sich z. B. ein von ihm mit Quellenangabe versehener Zeitungsausschnitt über einen Gerichtsprozeß gegen Hitler.
(43) Seubert, a.a.O., S. 186.
(44) Eindrucksvollstes Beispiel: der große Monolog der »Stimme eines Anonymus«, einer der Identifikationsfiguren von Holz (W VI, S. 60-83); kürzer bereits in der Fassung von 1921 enthalten (Arno Holz, Die Blechschmiede, Dresden 1921, S. 36-49); die sarkastische Schlußpointe ist der »vergoldete / Nabel – Krupps!«, auf den die politische Zukunft sich zentriert. – Ein Pendant dazu ist das »Phantasus«-Gedicht »Angenehme Perspektive« (W III, S. 296-300). Es gehört zu den nur neun für die Nachlaß-Fassung neu geschriebenen Gedichten, ist also erst nach 1924 entstanden.
(45) Mit Holzens Kritik an Reim und Metrum befaßt sich Seubert ausführlich (a.a.O., S. 98-107); die Funktion der Mittelachse in der »Blechschmiede« jedoch erkennt er nicht.
(46) Bl. S. 125 f.
(47) Bl. S. 111-115.
(48) Seubert, a.a.O., S. 289.
(49) Schulz, a.a.O., S. 156.
(50) Ebda., S. 157.
(51) Ebda., S. 155. – Eine ebenso scharfe Satire auf Wilhelm Il. stellt das »Phantasus«-Gedicht »Unanjenehm« dar (W I, S. 425-429).
(52) Frank Wedekind, Gedichte und Chansons. Mit einem Nachwort von Pamela Wedekind, Frankfurt 1968 (Fischer Bücherei Nr. 933), S. 127 bis 130 und 143. – Holz, der ja keine einflußreiche Zeitschrift hinter sich hatte, wäre von einer Haftstrale wesentlich härter betroffen worden als Wedekind. Vgl. auch den Fall Panizza, Anmerkung 34. Panizza war ebenfalls ein erbitterter Gegner Wilhelms II.
(53) Holz berichtet, daß der Insel-Verlag die Erstausgabe der »Blechschmiede« nicht einmal in seinen Katalogen führte und das Buch systematisch verramschte (Br. S. 238). Der Mißerfolg (mit Ausnahme von »Dafnis« und »Traumulus«) blieb Holz über den Tod hinaus treu. Für die von ihm selbst veranstaltete, bibliophile »Monumental-Ausgabe« seiner Werke in 12 Bänden von 1926 fand er ganze 105 Subskribenten und konnte damit nicht die Herstellungskosten decken (Br. S. 283 f.). Die Restauflage der siebenbändigen Nachlaß-Ausgabe (W) wurde vom Luchterhand Verlag 1974 verramscht.
(54) Vgl. Anmerkung 34.
(55) Autograph im Besitz des Verfassers.
(56) Kaiserreden, Reden und Erlasse, Briefe und Telegramme Kaiser Wilhelms des Zweiten. Ein Charakterbild des Deutschen Kaisers, Leipzig 1902, S. 430.
(57) Wedekind, aa.O., S. 129 f.
(58) W VI, S. 118.
(59) Kaiserreden, a.a.O., S. 313.
(60) Ebda., S. 314.
(61) Graf E. Reventlow, Kaiser Wilhelm Il. und die Byzantiner, 2. Aufl., München 1906, S. 166 f. – Weitere Zeugnisse für die allgemeine Ablehnung sind u. a. eine Karikatur des »Simplizissimus«-Zeichners Thomas Theodor Heine (»Sogar die Vogelscheuchen sind von Marmor«) oder ein Spottgedicht von Ludwig Thoma.
(62) Br. S. 183.
(63) W III, S. 458 f.
(64) In der Nachlaß-Fassung als »Neunzehnhunderteins in meiner Hinterhauskamurke« betitelt (W III, S. 474).
(65) Arno Holz, Deutsches Dichterjubiläum, hrsg. von Peter Horwath, Ann Arbor/USA 1977.
(66) Ebda., S. 47.
(67) Br. S. 137.
(68) Schulz, a.a.O., S. 240.
(69) Eyck (vgl. Anmerkung 15), a.a.O., S. 210.
(70) Ebda., S. 726.
(71) Ebda.
(72) Schulz, a.a.O., S. 157.
(73) Daß gerade der »Berliner Lokal-Anzeiger« als Prototyp der Hofberichterstattungspresse galt, daß »der Kaiser ihn persönlich« las, daß der Inhalt »bewusst auf die allerniedrigsten Instinkte des Publikums zugeschnitten« war, beweist die Kritik von Reventlow (vgl. Anmerkung 61), a.a.O., S. 125. – Bestandteil des phantastischen Bühnenbilds zum 1. Akt der »Blechschmiede« ist denn auch »eine Filiale vom Berliner Lokalanzeiger« in Form einer Pagode (W VI, S. 17).
(74) Zur Montagetechnik von Holz vgl. den »Scherz-Phantasus« mit Kommentar des Verfassers, in »die horen«, Band 88/1972, S. 3-7.
(75) Bl. S. 111-115.
(76) Daß Holz die originale Generals- in eine Admiralsuniform änderte, läßt wiederum auf seine Kritik an der kaiserlichen Flottenpolitik schließen.
(77) Aus einem anderen Artikel der Ausgabe vom 28. 1. 1898, betitelt »Der Kaiser in der Geweihausstellung«.


die horen, Nr. 116, 4. Quartal 1979, S. 105-116

     
 

Arno Holz bei fulgura frango

   

Rechte bei Klaus M. Rarisch