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Alfred Richard Meyer: Berlin. Impressionistischer Sonettenkranz

Alfred Richard Meyer
BERLIN
Ein impressionistischer Sonettenkranz
Nachwort von Peter Salomon
Graphiken von Zoppe Voskuhl
Corvinus Presse Berlin

Im Nachwort berichtet Peter Salomon von seiner Überraschung beim Blick ins 1907 erschienene Heft mit Alfred Richard Meyers Sonettenkranz »Berlin«, 2007 auf einer Auktion zum Aufrufpreis erworben. Das heißt: Niemand sonst in der Bieterschaft interessierte sich fürs Lyrikon des Verlegers Meyer, während es bei von ihm herausgebrachten Publikationen »seiner« Autorenschaft – darunter Benn, Lichtenstein, Lasker-Schüler, Zech, Lautensack, Wedekind, Heym – ganz anders zur Sache geht. Salomon entdeckte in Meyers Sonetten »Stilmerkmale, die nach 1911 in den expressionistischen Werken anderer Autoren als avangardistische Neuerung gelten«.

So findet Salomon bei Meyer Formulierungen und Strukturmerkmale, wie sie wenige Jahre später ähnlich bei einschlägigen Autoren vorkommen, nennt als Beispiele van Hoddis, Lichtenstein, Blass. Das läuft hinaus auf »die groteske Wirkung, die Methode des Aneinanderreihens von scheinbar Unvereinbarem oder auf ein Weltgefühl von Gleichzeitigkeit«. Salomon gewann bei Lektüre des Meyerschen Sonettenkranzes den Eindruck, »als müßten die späteren Verfasser der Simultanlyrik diesen gekannt und sich zum Vorbild genommen haben«.

Als »impressionistisch« etikettierte Meyer seine Gedichte, was sie sicher am heutigen Interesse am literarischen Expressionismus vorbeilenkt. Die Kennzeichnung »expressionistisch« hätte besser gepaßt, war aber wohl 1907 noch nicht zur Hand, da erst vier Jahre später von Herwarth Walden publizistisch propagiert.

Auf fällt bei Meyer ein eigenartiges – und reizvolles – Changeant von schweren, geradezu düsteren Tönen und groteskem, geradezu frechem Zungenschlag. Mal klingts wie bei Georg Heym, mal wie in den bizarr jokosen, brettlkabarettistischen »Kriminalsonetten« (1913) von Ludwig Rubiner, Friedrich Eisenlohr und Livingstone Hahn:

 

Die letzte Flucht vor letzter Sorge muß mißlingen.
Ein nacktes Bahrtuch über Stein und Schiffe spannt
Der neue Schnee, frostrote Fäuste karren Sand,
Ein Dampfkrahn läßt im Kreise schwarze Körbe schwingen …

Meyer: »Am Nordhafen«, erstes Quartett

Beteerte Fässer rollten von den Schwellen
Der dunklen Speicher auf die hohen Kähne.
Die Schlepper zogen an. Des Rauches Mähne
Hing rußig nieder auf die öligen Wellen.

Heym: Sonett von 1910, erstes Quartett

 


Der Sturm der Nacht war stark, der neue Tag wird heiß.
Bei Kranzler knobeln ein paar krumme Modenarren
sich Tips für Hoppegarten, Chevreauschuhe knarren,
Ein buntes Dämchen schlürft im Strohhalm Erdbeereis.

Meyer: »Unter den Linden«, erstes Quartett


Der müde Prinz warnt vor dem Gletscherspalt,
Der Milliardär verdaut die Table d’hôte.
Der Konsul spricht vom Unterwasserboot.
Der Opernstar, am Flügel, nachtigallt.

     Rubiner & al.: »Der weiße Tod«, erstes Quartett

Letzteres bei Meyer vielleicht ein Nachklang seines Mittuns bei Max Reinhardts literarischem Kabarett »Schall und Rauch«, im Januar 1901 fünf Tage nach Ernst von Wolzogens Überbrettl eröffnet.

Peter Salomon und die Corvinus Presse taten recht daran, die expressionistischen Sonette Alfred Richard Meyers aus der Versenkung unverdienten Vergessenseins zu holen. Für den Umschlag und zwei Innengraphiken schnitt Zoppe Voskuhl beherzt ins Linoleum, wie’s sich für einen corviden Pressendruck in spürbarem Handsatz gehört.

Robert Wohlleben


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