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Klaus M. Rarisch:
Über meine wirtschaftliche Lage als Lyriker

Gottfried Benn berechnete 1926, mit 40 Jahren, daß er für seine gesamte schriftstellerische Arbeit summa summarum vier Mark fünfzig im Monat verdient hatte. Sein Doppelleben als Arzt und Dichter, war also keineswegs Resultat einer freien Entscheidung, sondern beruhte auf ökonomischen Notwendigkeiten. Vergleiche ich nun meine wirtschaftliche Situation – und nur diese! – mit der Benns, so muß ich sagen, daß ich heute, wie Benn, auf rund fünfzehn Jahre literarischer Tätigkeit als Lyriker und Essayist zurückblickend, nicht einmal auf vier Mark fünfzig im Monat komme, vom Kaufwertschwund seit 1926 ganz.abgesehen.

Meine poetische Produktion war per saldo ein Verlustgeschäft. Als ich 1957 die Gruppe »Vier + 4« und 1958 mit wenigen Freunden den »Ultimismus« gründete, konnte ich das zum Glück noch nicht ahnen. Ohne Mäzene, ohne Protektion und ohne Beziehungen zu Verlagen und Massenmedien waren wir gezwungen, uns selbst zu helfen. Unser Problem war das der meisten Greenhorns: die fehlende Publikationsmöglichkeit. So verfielen wir auf die Idee, unsere literarischen Arbeiten in öffentlichen Lesungen vorzustellen. Nolens volens traten wir damit in Konkurrenz zu vielen potenteren Veranstaltern, zu Literaturzirkeln, Buchhandlungen, Galerien, Verlagen, Kunstämtern, Volkshochschulen, Stadtbibliotheken und Rundfunksendern, die alle, mit öffentlichen oder privaten Geldern wohlversehen, dem Publikum attraktivere Säle, bequemere Stühle, milderes Licht und überhaupt eine kultiviertere Atmosphäre bieten konnten als wir, die wir dagegen nur die Qualität der vorgetragenen Texte.zu setzen hatten.

Während die üblichen Dichterlesungen meistens einen sozialen Zweck verfolgten, nämlich ältere Leute erbaulich zu unterhalten, und deshalb subventioniert wurden, mußten wir für unsere Veranstaltungen stets Vergnügungssteuer zahlen. Bereichert hat sich also an den rund 200 Lesungen, die ich im Laufe der Jahre absolvierte, nur der Staat. »Das Massengrab«, unser inzwischen zur Legende avancierter Kulturkeller, war während der zweieinhalb Jahre seiner Existenz literarisch das bedeutendste Forum Westberlins, ökonomisch aber eher ein dubioses Groschengrab. Es würde mir heute schwerfallen, exakt auszurechnen, welchen finanziellen Verlust unsere Veranstaltungen einbrachten. Allein die Ultimisten-Lesung 1965 in der Akademie der Künste, die ich gemeinsam mit Dieter Volkmann bestritt und bei der Dr. Walther Huder als Akademiesekretär den Einführungsvortrag hielt, ergab ein Defizit von rund 200 Mark.

Mein 1963 erschienener Gedichtband »Not, Zucht und Ordnung« kostet 5 Mark, an denen ich mit 10 Prozent beteiligt bin. Da der Wolfgang Hake Verlag Köln davon in zehn Jahren ca. 1000 Exemplare absetzen konnte, hat mir der Band immerhin 500 Mark eingebracht, das sind vier Mark siebzehn im Monat; eine Summe, die den Bennschen vier Mark fünfzig allerdings erfreulich nahe kommt.

Dagegen veröffentlichte ich z. B. 1965 in einem wissenschaftlichen Jahrbuch einen literaturkritischen Aufsatz, an dem ich zwei Wochen intensiv zu schreiben hatte (rund 4000 Textseiten waren durchzuarbeiten). Das Buch erschien, aufwendig gedruckt und gebunden, in einem etablierten Verlag mit bestem Namen zu einem stattlichen Ladenpreis. Wer aber glaubt, ich hätte dafür auch nur einen Pfennig Honorar erhalten, der irrt. Um auf diese Weise wissenschaftlich zu publizieren und dabei am Leben zu bleiben, muß man erst einen Lehrstuhl errungen haben und über entsprechende Einkünfte verfügen.

Von 1966 bis 68 redigierte ich allein und ohne die geringste Hilfe – und sei es auch nur für die zeit- und nervenraubenden Schreibmaschinenarbeiten – die literarische Zeitschrift »total«. Der Verleger des Blattes, ein ebenso ehrgeiziger wie geschäftsuntüchtiger Anfänger, konnte zeitweise von den eingehenden Abonnementsgeldern seinen Lebensunterhalt bestreiten, während ich nie auch nur das kleinste Honorar bezog, geschweige denn ein festes Gehalt. Um wenigstens meine nachgewiesenen Barauslagen erstattet zu bekommen, mußte ich einen Gerichtsprozeß gegen den Verleger führen, nachdem der die Zeitschrift durch seine unseriöse Geschäftsführung ruiniert, mich bei den beteiligten Autoren hinterrücks diffamiert und damit meine Arbeit von mehr als zwei Jahren zunichte gemacht hatte. Später strengte er ein Verfahren gegen mich an, unter dem Vorwand, mich zur Herausgabe der Autorenkorrespondenz zu zwingen, im Grunde aber nur, um mich zu schikanieren. Dadurch entstanden natürlich wiederum Kosten, so daß auch meine Tätigkeit als Redakteur mit einem finanziellen Fiasko endete (ganz abgesehen von dem Gallenschaden, den mir die Sache einbrachte). Wenn auch der Fall dieses Verlegers ins Pathologische reicht und daher nicht verallgemeinert werden kann, so ist er doch symptomatisch für die ökonomischen Zwänge, denen heute diejenige Literatur unterworfen ist, die abseits der großen Bestsellerfabriken entsteht.

Während der Lyriker von den Kleinstverlagen und Zeitschriften ohnehin kaum je ein Honorar erwartet, kann er zuweilen, wenn er es mit kommerziellen Verlagen zu tun hat, Erstaunliches erleben. Er muß dann allerdings seine Interessen zäh und geduldig verfolgen und viel Zeit für unproduktives Briefeschreiben vergeuden. So ging es mir mit dem Gedicht »Sankt Janus«, das zuvor schon in den Anthologien »Aussichten« und »Deutsche Teilung« erschienen war und von mehreren Zeitschriften nachgedruckt wurde (u.a. EPITAPH Nr. 5/1973). 1971 entdeckte ich durch Zufall, daß ein – hier ungenannt bleibender – Großverlag das Gedicht zwei Jahre vorher in einer weiteren Anthologie herausgebracht hatte, ohne mir dies mitzuteilen, von Belegexemplaren und Honorarzahlungen ganz zu schweigen. Auf meine wiederholten Beschwerden schrieb mir der Verlag u. a.: »Allerdings haben Sie recht, daß wir als Verlag unter diesen von Ihnen geschilderten Umständen von einer Herausgabe des Buches hätten absehen müssen. Insbesondere müßte sich nach dem Ergebnis der Endkalkulation diese Edition schon aus kaufmännischen Gründen verbieten. Aber auch der Herausgeber, Herr Dr. X. Y., empfindet das Honorar von 8 Prozent des Ladenpreises keinesfalls als Gegenleistung für Zeit und Arbeit, die er für diese Edition aufgewendet hat.« Zeit und Arbeit, die die beteiligten Lyriker aufgewendet hatten, sollten demnach a priori keine Rolle spielen dürfen. Nachdem ich dem Verlag in dieser Angelegenheit drei energische Briefe geschickt hatte, erhielt ich endlich ein Honorar von sage und schreibe fünfzig Mark.

Ich komme zum Fazit meiner Erfahrungen. Die Antwort auf die Frage, wovon ein Lyriker ohne Brotberuf leben soll, wird wohl jetzt und immer lauten müssen:

IGNORAMUS – IGNORABIMUS!

EPITAPH
Junge Zeitschrift für Literatur
Nr. 6/7 (1974)


Rechte bei Klaus M. Rarisch