Die Preise sind niedrig, die Stühle hart, doch die Erwartung ist groß. Viel junges, interessiertes »Volk« sitzt in drangvoll fürchterlicher Enge im »Kulturkeller« in der Schillerstraße 40 (genannt Massengrab), wo die literarische Vereinigung der »Vier + 4« ein immerhin anspruchsvolles Programm zusammengestellt hat. Ein Zyklus gilt den »Gestalten der phantastischen Literatur«, ein weiterer den »Klassikern des Anarchismus«, und neben Romantikern und Expressionisten sollen auch wenig bekannte lebende Autoren zu Wort kommen. Im Manifest der »Ultimisten«, wie sich die jungen Leute nennen, die diesen Keller »aufgezogen« haben, steht zu lesen, daß unsere Zeit reif ist für die Apokalypse und sich mit Notwendigkeit jetzt nur noch eine Kunst finden läßt: die letzte. Welche das ist? Nun eben ... die letzte. Denke sich jeder dabei, was er kann.
Dies ist der Rahmen für diesen Charlottenburger »Kulturkeller«, der einen Farbfleck mehr in den, wie es scheint, doch ganz munteren, zumindest vielgestaltigen Kulturbetrieb unserer Stadt bringt. Für eine Lesung hatte sich Klaus M. Rarisch ein ebenso ausgefallenes wie anspruchsvolles Thema gewählt. Die Heidelberger philosophische Dissertation des Joseph Goebbels (über den vergessenen romantischen Dramatiker Wilhelm von Schütz) unterzog Rarisch einer Analyse der geistig-weltanschaulichen Gedanken des späteren »Propagandaministers«, der in der Dissertation viele seiner späteren Anschauungen bis auf den Antisemitismus, den er in seiner Frühzeit nicht kannte vorweg aussprach. Und man muß sagen, Rarisch machte sich seine Aufgabe nicht leicht. Er übte, immer an Hand der Textstellen, fundierte Kritik an der Goebbelschen fadenscheinig-philosophischen Literaturkritik, und er gab schließlich eine genaue Analyse der geistigen und politischen Persönlichkeit dieses zweifellos intelligentesten, aber auch bedingungslosesten Gefolgsmannes von Hitler. Ein Jammer nur, daß der zweistündige, schwierige Vortrag die jungen Zuhörer zuletzt überforderte und es ihnen nicht leicht machte, ihm zu folgen. Gisela Huwe DER TAG
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