Das Aprosdoketon von Rarischs jüngster Anthologie von Gedichten, »Das gerettete Abendland«, erscheint in magischer Beschwörung dreimals, als Gedichtüberschrift, als Unterteilung für »Gesänge von Würde und Unantastbarkeit« und schließlich als Gesamttitel, eine Art Leitmotiv, über die Spenglersche Prognose hinausreichend: der Untergang ist furchtbar nahegerückt, und das Fragezeichen der bangen Widmung, »Ach, wer rettet?«, hängt wie ein dräuender Atompilz in der Luft. Entsprechend heißt es in »Sterbenslänglich«:
Rarisch zieht die Register der gesamten deutschen Literatur für sein memento mori; er ist gründlichst belesen und treibt die dichterischen Assoziationen oft bis zur Travestie, um so einleuchtender die prekäre Lage des hilflos ausgesetzten Individuums aufzeigend; »Schicksalslied«:
Wie Goethe, der sich in den »Zahmen Xenien, 37« als Glied einer Kette betrachtet, so sieht sich Rarisch seit den Tagen des von ihm mit gleichgesinnten jungen Autoren proklamierten Ultmimismus als Epigone von Dada:
In den sechziger Jahren veranstaltete diese »Gruppe Vier + 4« in einem ehemaligen Kohlenkeller, den sie »Massengrab« nannten, ca. 200 Lesungen für die damals größte literarische Gesellschaft in Westberlin. Rarisch gab im Zusammenhang damit 1965 den »Ultimistischen Almanach« heraus und 196668 die makabre Zeitschrift »total«, wie Dada ein alternativer Kampfruf und Warnung vor dem drohenden Weltuntergang. Rarisch bekennt sich zu Arno Holz, für dessen Wiedererweckung er seit 1965 kämpft, und dessen aufopfernder literarischer Nachlaßverwalter er seit Jahren ist. Einige Gedichte von Rarisch sind in der von Holz kreierten Mittelachsenkonstruktion verfaßt; »Denkmal des unbekannten Gammlers«:
Auch Benn zählt Rarisch zu seinen Vorfahren: »Wenn schon, Benn schon: Entwicklungshohn.« Rarischs sarkastische, doppelbödige Verse aus »Rost und Kupfervitriol« zielen auf jeden, ob Bundesbürger oder Klassiker:
ob Mitglied der »Gruppe 47«: »Furzt die Gruppe siebenfürzig, / und im Lande duftets würzig«, oder germanistischer Fachidiot, Professor Odradek auf der »Kafkakonferenz«:
Frappierend ist die Vielseitigkeit seiner Thematik; prophetisch warnt er noch vor dem Antritt Kohls, »Syphilis frißt Linksabbieger«, denn
(Bedenklich). Gleichzeitig persifliert er die kapitalistische Bigotterie der USA unter »Coca Cola Hallelujah!« Er beherrscht sein Metier mit allen stilistischen Raffinessen, vom Akrostichon für Benno Ohnesorg bis zum Palindrom (Odradek-Kedardo), von rhetorischen Figuren bis zum alliterierenden Neologismus (Wortwildwuchs). Sein Stimmungsbarometer reicht von verschmitzt heiter, »Es folgt kein Epilöglein / Drum schweigt das Dichtervöglein«, bis zum absoluten Tief, »Und kannst du noch schreiben / treiben / sie dich zum Selbstentleiben!« Ein Sprachvirtuose, der etwas zu sagen hat, ist dieser Rarisch, rar. INGEBORG L. CARLSON Rocky Mountain Review
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