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Robert Wohlleben Wer ist das Rotkäppchen? Dritter Akt |
Bühne noch dunkel, zuerst saust nur Wind, ein paar alte Blätter drin, dann dämmerts langsam: Hüttchen und einige stilisierte Tannen mit silbriger Kontur sind zu sehn, sonst alles noch schwarz. WOHLLEBEN tappt aus dem Tann, wartet den Wind ab, dann: Die Wälder stehn nebelblind Es räuchert ja längst von Brand: Hör, jetzt flüstert der Scout Er legt eine Feuerstelle an, der Sioux aus dem Hamburger Völkerkundemuseum als Projektion an der Hüttenwand. EUEU ZÄFFEN hat sich rangepirscht, richtiger Wildtöter-Aufzug: Bin Trapper und lieber kein Roter: Ich hab wohl vom Wild her die Tarnung Die Bäume entwerfen die Schatten FRANK BÖHM auf demselben Weg auf die Bühne, schwarzes T-Shirt, greift sich Eueu Zäffens Davy-Crockett-Mütze, kuckt verwegen drunter vor, spuckt in die Feuerstelle: Die ganze Völkerschau, Man jagt, daß man mit Platz- Die Meiendorfer Wischen Ich weiß hier gut Bescheid Er nimmt Eueu Zäffen das Schießgewehr ab und zieht sich während des Folgenden langsam zwischen die Tannen zurück. DIE MASKENBILDNERIN trägt ein Ortsschild auf die Bühne, pflanzt es vor der Hütte auf: Meiendorf. Ordnet Wohlleben das Kostüm zurecht: In Farb und Federn Haut versteckt, Ist doch bloß Lippenstift und Jod, Ob du dann spät die Brauen regst Langsam zunehmendes Regenrauschen; der Sioux verschwindet von der Hüttenwand, nur die Mokassins Mohawk sind noch eine Weile zu sehn. WOHLLEBEN hält die Hand vors Gesicht: Was hat uns das Gesicht, Was phantasiert die Haut Das wird uns das Gesicht Regenrauschen nimmt rapide weiter zu, reißt abrupt ab. DIE MASKENBILDNERIN nimmt Wohllebens Hand, zieht sie runter: Wie jeder Tropfen, jede Flocke fällt Im Tag kam Bildertreibsel mitgespült, KLAUS M. RARISCH schleppt seine Schreibmaschine ran: Ins Idyll versunken, Schwankend Hingestellte, Der Schwindel in der Birne Kein leis- und blasser Schimmer FELIX SCHRÖDER flattert auf die Bühne, hebt einen Zettel auf, liest vor: Aus Holz entsteht die Zither, Entflattert. HANS-MICHAEL BOCK meckert aus dem Zuschauerraum: Der Mensch hat seinen Auftrieb, DIE MASKENBILDNERIN macht es sich bequem, holt ihr Strickzeug aus dem Sac und verstrickt lauter lila Wolle: Das Schaf hat ganz viel Wolle, KLAUS M. RARISCH tippt etwas Probe: Das Schaf läuft auf vier Beinen, WOHLLEBEN will zusammenfassen: Das Schaf rupft dies und das, EUEU ZÄFFEN nur mit dem Kopf raus aus den Kulissen: Das Schaf hat viel zu tun. Kopf weg. Der Wind fängt wieder zu sausen an. FRANK BÖHM schleppt mehrere Farbeimer auf die Bühne, Pinsel in verschiedenen Größen quer im Maul und aus den Taschen kuckend, fängt an, die Giebelfront des Hüttchens zu bemalen, mischt seine Farben wie ein Teufel. WOHLLEBEN kuckt Frank über die Schulter und beschreibt: Ein schwarzer Frost verdorrt den Schnee. Ein schwarzer Frost vereist das Herz. Ein schwarzer Frost beißt deine Haut. Nachtschrecken schürt den kalten Brand FRANK BÖHM bei der Arbeit: Durch unsern Fensterrahmen, Ich wollt, ich könnts verglasen Was solln wirs ihr versagen, WOHLLEBEN nachdenklich beiseite: Wer rennt mir den Rücken dal Was sengt mir den Balg so kahl, Die kam mal aus Sommerzeit EUEU ZÄFFEN kommt auf die Bühne geprescht, in der einen Hand ein Pulverhorn, in der andern ein Bickbeereis; rumpelstilzchenhaft: Mir längst klar, wie immer das kleine Verschwindet wieder. WOHLLEBEN setzt eine rote Kappe auf, schüttelt den Kopf; in der Ferne heult ein Wolf. DIE MASKENBILDNERIN sieht aus wie Dagmar Buchholz verschwindet kurz, kommt umgekleidet wieder: weites dunkles Kleid, weiter dunkler Haarmantel: Die Haut zu Markt, das Fell gegerbt, entstellt: Ein Wein noch, eh bei uns die Klappe fällt. Auch Kaffee noch? Ganz schwarz? Mit reichlich Zucker? Wir spürens schwelen: nichts für Feuerschlucker. (Grabschrift für Dagmar Buchholz) Sie geht, und niemals kehrt sie in dieser Gestalt wieder. WOLFGANG USTER kommt mit caperucita roja vom Alti Plano auf dem Kopf. Er und Wohlleben zünden zusammen ein Totenlicht an. HELMUT SALZINGER klebt ein undeutliches Suchdienstbild an die Hütte, vielleicht Hans Wolffheim. Während er suchend in seinen Taschen herumwühlt: Wohl gut gefedert und beteert, Wollt kaum herein bis dort hinaus, Geworden ist er ein Komet. hats gefunden: zündet auch ein Totenlicht an, läßts unter dem Bild stehen, verschwindet im Wald. FRANK BÖHM rutscht in verkleckerter Farbe aus, fällt böse auf die Schnauze, rappelt sich aber auf: Noch alles, was da geht und steht, Ach schweig! Und bleib mir bloß vunn Liev Und Schritt für Schritt geht hin Geschwätz WOHLLEBEN tippt ihm auf die Schulter: Hüt bloß die Zwieback oder Kringel, KLAUS M. RARISCH mit mafiadunkler Brille getarnt: Unter allen Salzdomen Die Wölfe heulen im Forste WOHLLEBEN reicht ihm ein aufgebautes Taschenschach, ein Bauer fast frei: Wie s Amen in der Kirche dieser Clou: Du kaufst dir keine Kuh, kein Kalb dazu. Mit Zug und Gegenzug gehts zum Entzücken: hast du als Schwarz und Weiß das Spiel gemacht KLAUS M. RARISCH räumt die letzten Figuren ab: Eh ich grelle Lichter der Vampire schauer- Stellt sich auf die Schreibmaschine und macht einen ganz langen Hals, als stünde er auf einer Schildkröte und wollte bis nach Venedig kucken. Die schweigende Mehrheit erscheint als Diaprojektion. EUEU ZÄFFEN kommt mit Zimmermannsmaske; hat sich im Fundus neu bedient: Davy Crockett mit MP; Gruß an die schweigende Mehrheit, dann eidgenössisch-verschwörerisch: Wer tuts Rechte und wer scheuts? DIE KAPELLMEISTERIN hat den Spuk satt, der sich in diesem Fall ganz einfach abstellen läßt macht den Projektor aus: Wärmt euch im Selbstgestrickten, Wenn alle Stricke reißen, Nicht in die Knicks verpissen, Ab. FRANK BÖHM greift wortlos zum Pinsel, schreibt rot ins Bild: Ohne Schmerz kein Herz. WOHLLEBEN übernimmt den Pinsel, schreibt in Spiegelschrift dazu: Ohne Herz kein Schmerz. DIE KAPELLMEISTERIN verkleidet als Wohlleben: Da fliegst du hin am langen Bott, Da machst du Fahrt: Dein kleiner Pott Da trabst du kreuz und quer im Trott, EUEU ZÄFFEN kommt auf die Bühne galoppiert, Helm und Schild und Knüppel, innen drin ein Krüppel, einen umgekippten Holzwolf am Band mitschleifend; knallt mit einem Spielzeugrevolver, gröhlt: Lott is dot, Lott is dot, Lott is dot, Lott is dot, Lott is dot, Lott is dot, Lott is dot, Lott is dot, Lott is dot, Lott is dot, DER KAPELLMEISTER lagert sich zur Gruppe: Keine Verbindung WOLFGANG USTER lagert sich mit seiner Gitarre daneben: Ohne Fetzen Ohne Prellung EUEU ZÄFFEN drapiert sich quer davor: Kein Begatten KLAUS M. RARISCH hinter der Gruppe; entrollt ein großes Plakat mit Buchtiteln, hält es hoch, daß auch der Letzte es lesen kann: Der Schmerz Der Schaum Der Stich ein Mord. Sehr grelles Licht plötzlich. Alle bleiben erstarrt: Photo, lange anzustarren. Bewegung nur von Wolfgang: schnelle Läufe auf der Gitarre. |
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