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Voritzo aber will vorerst nur so viel melden, daß, als ich eines Abends, ohngefähr um 10. Uhr auf meinem Ober-Stübgen an einem Fenster gegen Norden zu, stund, allwo ich den besondern Stand des Gestirns zu damahliger Jahrs-Zeit beobachten wolte, gewahr wurde, daß gerade in der Nord-Gegend eine schwartze dicke Wolcke aus der See, bis an den Himmel, erstlich in Gestalt einer Pyramide herauf stieg, binnen weniger Zeit aber sich dergestalt ausbreitete, daß alle Sterne bis an den Polar-Stern, mithin die gantze Helffte des Horizonts, bedeckt und gantz und gar verdunckelt wurde. Dieses währte bis dreyviertel auf 12. Uhr, so, daß wie ich schon gesagt, die jenseitige Himmels-Gegend so schwartz als eine Kohle anzusehen war, die andere Helffte nach Süden zu, zeigte sich hergegen, klar und helle; mithin hatten wir gegen Norden zu, den allerfürchterlichsten, gegen Süden aber, den allercharmantesten Anblick, indem wir mit gröstem Vergnügen die hellgläntzenden Sterne am blauen Himmel über unseren Häuptern erblickten. Wunderbar ließ es, daß der Polar-Stern gleichsam als ein Gräntz-Stein, oder Scheide-Wand, zwischen Licht und Finsterniß anzusehen war. Es gieng also am Himmels-Gewölbe, zwischen Licht und Finsterniß, ein etwas dunckel grauer Strich, von Osten bis Westen hindurch, welches mit einiger Erstaunung anzusehen war.

Wir gedachten immer, die Schwärtze würde sich weiter ausbreiten, und in die Helligkeit gegen Süden zu hineindringen, mithin den gantzen Horizont schwartz machen; allein es geschah nicht; sondern die Schwärtze zog sich, da es gegen 1. Uhr kam, allmählig nach Norden zurücke, und wurde es in der Tieffe dergestalt schwartz, als ich nicht beschreiben kan. Gleich da meine Uhr ein Viertel auf 2. schlug, erblickte ich mit grössesten Entsetzen: daß sich mitten in der dicksten Finsterniß ein ordentliches Feuer-Rad, in Grösse (unserm Augenmasse nach) eines der allergrösten Mühl-Räder præsentirte, welches dergestalt schnell herum lief, als ob es durch die Kunst eines Feuerwerckers also gemacht, und mit besondern Fleisse dahin gestellet wäre.

Meine Frau, die gantz alleine bey mir war, und ich sahen dieses Wunder-Ding mit gröster Verwunderung an, indem ich aber in die andere Stube gegangen war, um nach der Uhr zu sehen, läufft sie gleichfalls davon, und wecket Mons. von Blac, nebst andern getreuen Nachbarn, welche schon im tieffsten Schlafe gelegen. Demnach kamen ihrer sehr viele herzu, da sie aber von allem dem, was vorgegangen war, nicht das geringste observirt hatten, so verwunderten sie sich um so viel desto mehr über das, was ich Ihnen in möglichster Kürtze erzählte, noch weit mehr aber über dasjenige, was sie mit ihren sichtlichen Augen vor sich sahen, nemlich das Feuer-Rad, als welches noch beständig mit der grösten Hefftigkeit um und um lief.

Meine Freunde gaben mir einen starcken Verweis, darum, daß ich sie nicht eher geweckt hätte; das gantze Wunderspiel zeitiger mit ansehen zu können; allein ich entschuldigte mich damit, daß ich nicht vermeynt, wie die Schwärtze so lange anhalten würde, vielweniger hätte mir träumen lassen, daß ein so künstliches und bewunderns-würdiges Feuer-Rad zum Vorschein kommen solte.

Wir sahen demnach dem schnellen Lauffe dieses Feuer-Rades noch etliche Minuten zu, und wurden mittlerweile gewahr, daß es zum öfftern Raqueten oder so genannte Schwärmer von sich warf, fernerhin aber sprungen fast binnen einer halben Minute jederzeit ordentlich runde Feuer-Kugeln herab, welche dem Ansehen nach, zum Theil als 12. 16. bis 24. pfündige Canonen-Kugeln zu achten waren, in die See fielen, und sich wohl eine halbe Minute lang darinnen herum tummelten, endlich aber verschwunden; ob aber bey ihrer Crepirung dieselben einen Knall von sich gegeben, kan ich so eigentlich nicht sagen, indem unsere Ohren sich auf eine so gewaltige Weite nicht eingerichtet befanden.

Nach Verlauff einer halben Stunde, kamen aus dem Feuer-Rade entsetzlich viele Feuer-Flammen in der Gestalt natürlicher Schlangen heraus gesprungen, ihre Farbe war theils grün, gelb, roth, schwartz, blau und theils gesprenckelt. Diese stürtzten sich mit aller Gewalt in die See hinein, und schienen zum Theil auf einmahl zu versincken, allein wir bemerckten, daß sehr viele von ihnen wieder empor kamen, und als eine blaß röthliche Fackel, so wie in Europa die Irrwische, auf der See herum tantzten, nachhero aber, da sie mehr als 1000. Funcken von sich geworffen, in die Tieffe versuncken.

Mittlerweile warf dennoch binnen dieser Zeit das Feuer-Rad allerley Sorten von Feuer-Kugeln von sich, die sich nicht anders aufführeten, als die vorgemeldten. Ehe man sich es versahe, kam auf einmahl ein gantz Geschwader der bemeldten Feuer-Schlangen, welche ich über mehr als 1000. schätzte, aus dem Feuer-Rade heraus geflogen, sie waren, wie schon gesagt, von allerhand Farben, stürtzten sich in die See hinein, und es hatte das Ansehen, als ob sie mit einander Krieg führeten, und sich bissen. Jedoch diese Rencontre währete nicht länger, als ohngefehr 6. Minuten, wornach sie auf einmahl plötzlich verschwanden, und zwar in einem Tempo, als wenn viele Lichter auf einmahl verlöscht werden.

Leichtlich ists zu erachten, daß man seinem Augenmaße bey einer so gewaltigen Weite nicht alzuwohl trauen kan, doch schätzte ich das Revier auf der Ober-Fläche der See, allwo sie die artigsten Täntze und Colloraturen machten, wenigstens im Umfange von 10. deutscher Meilen. Wir wurden hierüber alle in eine erstaunende Verwunderung versetzt, und wird mir erlaubt seyn zu sagen, daß in der gantzen Welt schwerlich ein Printz oder andere Puissance wird anzutreffen seyn, welcher vor die, vielleicht übermäßig angewandten Kosten, dergleichen Wasser- und Feuer-Werck zu sehen bekommen; als uns die Natur vor dißmahl umsonst vorstellete, jedoch zu unserm allergrößten Schrecken.

Mittlerweile aber, wie gemeldet, die feurigen Schlangen auf der Ober-Fläche ihre Colloraturen machten, und die Feuer-Kugeln wechselsweise nach einander in die See hinein purtzelten, bemerckten wir, daß das Feuer-Rad weit feuerröther wurde, jedoch nach und nach immer enger und enger zusammen ruckte, so daß es bald hernach viel kleiner wurde, seine vorige Gestalt verlohr, sich als eine der allergrösten Bomben, und zwar mit aufgesetzten Zunder præsentirte. Wir waren sehr aufmercksam über diese Veränderung, nachdem aber etwa 4. bis 5. Minuten verlauffen, crepirte diese unsern Gemüths- und Leibes-Augen vorgelegte Bombe in einem Augenblicke, spye noch viele Feuer-Klumpen und Sterne von allerhand Farben von sich, und versunck hernach in die See, mithin hatte das gantze Feuerwerck seine Endschafft erreicht, so daß weiter nichts als eine Egyptische Finsterniß in der gantzen Gegend zu betrachten war. Indem aber gemeldte Feuer-Kugel oder Bombe crepirte, höreten unser aller Ohren nicht allein einen entsetzlichen Knall, sondern wir vermerckten auch ein erschröckliches Erdbeben, so, daß wir alle, wie wir stunden, und lagen, fast über einer Querhand hoch in die Höhe gehoben und erschüttert wurden. Als ich in meine Schreib-Stube kam, fand ich das Schreibzeug, Bier-Krug und andere Dinge, so auf dem Tische stunden, umgekehrt, theils auch auf dem Boden zerbrochen liegen. Die Tabulettgen hiengen zwar noch an den Wänden, allein die meisten Gläser, Thee-Tassen und dergleichen Porcellain Zeug waren herunter gefallen und zerbrochen, bey welchen Kleinigkeiten ich mich aber nicht lange aufhielte, sondern nach der Wohnstube zu eilete, allwo ich meine liebe Frau, die in Ohnmacht gesuncken war, auf dem Bette liegend antraf; da ich aber sahe, daß viele vertraute Freunde und Freundinnen um sie herum waren, lief ich mit Mons. von Blac, nebst etlichen unserer Bedienten hinunter auf den Platz, allwo 2. Canonen stunden, die 16. pfündige Kugeln schossen, diese lösete ich in der Geschwindigkeit eine nach der andern, ehe eine Minute verstrich, nicht etwa aus Frevel, sondern aus keiner andern Ursache, als die Einwohner herbey zu locken und ihnen vorzustellen, in was vor Gefahr und Noth wir uns befänden, und zwar einer so wohl als der andere. Vor allen Dingen muste mein Famulus aufs eiligste nach der Alberts-Burg lauffen, um dem Regenten zu rapportiren, was vorgegangen wäre, und was wir observiret hätten. Es war dieser mein Famulus ein geschickter Pursche von 18. Jahren, und richtete seine Sachen wohl aus, kam bald zurück, und referirte uns, daß auf der Alberts-Burg weder Albertus selbst, noch jemand anders, weder von der Schwärtze am Himmel, noch von dem curieusen Feuerwercke das geringste gesehen, sondern sie hätten alle wohl und sanffte geschlaffen, bis sie von dem Erdbeben, welches sie eben so hefftig als wir empfunden, aufgeweckt worden.

Etwa eine Stunde nach dem Knall der zwey Canonen versammleten sich nach und nach, etliche 100. Menschen beyderley Geschlechts, aus allen Pflantz-Städten, auf dem Platze bey der Kirche und am Fusse der Alberts-Burg, welche alle einstimmig aussagten: daß sie zwar das Erdbeben in eben der Gewalt verspühret hätten, als wir, allein von der Schwärtze am Himmel und dem Feuerwerck wolte niemand nichts wissen, bis endlich diejenigen abgelöseten Wächter kamen, welche in verwichener Nacht auf den höchsten Klippen in ihren Schilderhäusern, bey den Canonen Schildwacht gehalten. Diese wusten wegen der Schwärtze und des Feuerwercks alles so accurat auszusagen, als wir es mit unsern Augen gesehen hatten.

Indem wir nun hiervon mancherley Gespräche unter einander hielten, empfanden wir binnen ohngefähr 3. Minuten, 3. gewaltige Stösse vom Erdbeben und zwar dergestalt hefftig, daß sich auch die Glocken auf dem Kirch-Thurme von selbsten rühreten, und ihren Laut von sich gaben. Die allermeisten unter uns aber, sonderlich die Weiber und Kinder waren aus Schrecken zu Boden gefallen, und blieben also auch auf der Erden liegen. Ich selbst konte mich nicht halten, sondern muste gleich bey dem ersten Stose zu Boden sincken.

Noch etwa eine Stunde hernach empfanden wir abermahls binnen 3. Minuten 3. heftige Stösse, so daß wir befürchteten, es würden alle Gebäude auf der gantzen Insul umgefallen seyn, allein GOtt hatte dieses Unglück gnädig verhütet, wie ich in meiner fernern Erzählung melden werde.

In solchem Zustande, nemlich auf der Erden liegend, brachten wir noch eine gute Zeitlang zu, binnen welcher Zeit sich nicht allein der Regent, sondern, wie ich sicher glaube, fast alle übrigen Einwohner der Insul, vom grösten bis zum kleinesten, bey uns als dem grössesten Hauffen, verammleten, als zu welchem sich auch die drey Herren Geistlichen verfügten.

Endlich wurde der Himmel nach und nach helle und klar, und dergestallt mit himmelblauer Farbe bemahlt, daß sich unsere erschrockenen Hertzen einiger maassen zu erhohlen schienen; mit der aufsteigenden Sonne aber begunte auch unsere Großmuth nach und nach aufzusteigen, zumahlen, da wir nichts weiter von einiger Erd-Erschütterung verspüreten.


Aus:

Johann Gottfried Schnabel
INSEL FELSENBURG
Wunderliche Fata
einiger Seefahrer
Teil IV
(1743)
[Seiten 13-21]

1997 erschienen bei
Zweitausendeins
Postfach
D-60381 Frankfurt am Main


Das Motiv schon im Theil II


RW merkt an:

Ich habe den Eindruck, daß der Autor hier etwas beschreibt, was den Ufologen als Ufo-Sichtung oder gar Ufo-Landung gelten würde. Die mit diesem Schnabelschen »Ufo« verbundenen Phänomene lassen an die von C. G. Jung angezogenen Flugblätter aus dem 16. Jahrhundert denken. Ich kann mir vorstellen, daß sich diese Motivik in der Art einer Wandersage oder urban legend zäh gehalten hat und so – weil so schön curieux – gleich zweimal in die Insel Felsenburg eingehen konnte. Ob eine motivgeschichtliche Nachforschung etwas brächte ...?