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«Zusehends dünner
wird die Haut der Welt»

Klaus M. Rarisch las engagierte Sonettdichtung in Winterhausen



Seit dem Ende der 50er Jahre läßt der Berliner Autor Klaus M. Rarisch immer wieder aufhorchen mit seinen Sonetten. So auch letzten Freitag abend im «Wortraum». Hier, wo Petra Hochrein nun seit knapp einem Jahr besondere Begegnung zwischen Autor und Publikum ermöglicht, standen erstmals Sonette auf dem Programm, die auch eine erfreuliche Anzahl Interessierter anlockten. Der Autor – Mitbegründer der literarischen Gruppe der «Vier + 4», auch der im Dadaismus wurzelnden Gruppe des «Ultimismus», einst auch Mitinitiator des Berliner Kulturkellers «Das Massengrab» und Redakteur der Literaturzeitschrift «total», tätig auch als literarischer Nachlaßverwalter von Arno Holz (bis 1986), über den er gerade eine Rundfunksendung für den SFB vorbereitet – macht es sich und dem Publikum nicht leicht mit seinen Versen.

Als «antithetischer Lyriker» hat er sich nach seiner Aussage «die gemäße Form, das Sonett» gewählt. Eine strenge Form ... Bevor er mit seinem Vortrag begann, ging er, «der das Sonett liebt bis zum Letzten», auf Geschichte und Form ein, nannte die großen Meister der italienischen und deutschen Sonettdichtung von Petrarca bis zu Georg Heym, auch die im fränkischen Raum wirkenden Rückert und Platen.

Sein Grundprinzip: «es muß klingen ...» Von Bedeutung dabei: die Vokale, die Laute. So u.a. das «A» als Laut der Bewunderung, das «O» als Laut des Erschreckens, der Distanzierung. Er wies auf Wörter hin, die klanglich ausdrücken, was sie bedeuten: «monoton», «Ozonloch», «Bedrohung», «Not».

Natürlich kam er auch auf Reimschemata, Strophenbau und Verszahl zu sprechen. Jedoch, mit den Regeln sei es wie beim Schachspiel, sie seien relativ rasch zu lernen, aber wer bloß um die Regeln wisse, sei noch lange kein Meister ...

Nun, er wendet Regeln und Mittel meisterlich an, nützt dadaistische Wortspiele, fügt Zitate in neuen Zusammenhang, verknüpft Gegensätze, schafft Assoziationen, befremdet mit Doppelsinn, um seine kritische Botschaft satirisch, parodistisch, ironisch zum Klingen zu bringen, belebt auf diese Weise die traditionelle Sonettform neu.

Wie Arno Holz geht er «ins Leben», greift in hartem Jambentakt auf, was ihn betroffen macht. An Rückerts «Gehamischte Sonette» erinnert das, und politisch, gesellschafts- und kulturkritisch sind sie allemal, seine Verse. Er gestand, er sei «gegen Vieles», aber nicht «gegen Alles», was ihm Kritiker schon vorhielten.

Zu Gehör brachte er in Winterhausen Sonette aus seinen beiden Bänden «Das gerettete Abendland» und «Die Geigerzähler hören auf zu ticken». Jedes einzelne ausgiebiger Betrachtung wert. Der letzte Vers aus «Das Gebet des Herrn» aus seinem Gustav Mahler gewidmeten Zyklus möge das verdeutlichen, für die Fülle all der anderen stehen: «Vernimm mein Wort: Ich bin der Herr dein Spott.»

So setzt er bei seinen Hörern und Lesern viel voraus an Kenntnis und Offenheit für seine Anspielungen und Zitate, die er reich gebraucht. Besinnung ist immer wieder nötig. Vielleicht sollte er hierzu in seinem akzentuierten packenden Vortrag öfters kurz innehalten, mehr Pausen gewähren. Nur so läßt sich wohl seine stets imponierende Sonettsprache «Der strengen Strophen strikte Unterbrechung» entschlüsseln und auskosten.

Zum Ausklang las er fünf neue, bisher unveröffentlichte Sonette, die aufweisen, daß er seinen Weg als kämpferischer Dichter in bewährter Manier ernsthaft weitergehen wird, auch wenn er das nicht «auf einem goldenen Boden» tut.

Zu einigem, was er zum Thema Kirche vortrug, erhob sich im «Wortraum» in der anschließenden Diskussion Widerspruch. Das mußte so sein. Und das war gut so. Auch das Gespräch, das sich entwickelte, zu Fragen über seinen Antrieb, seine Arbeitsweise (er arbeitet an einem Sonett «wie ein Maler an einem Bild»). Gefahren eines gewissen Reimzwangs, den Grund seines «Sonettierens». Wer bis zum Ende blieb, hat es gewiß nicht bereut.

Emil Mündlein

 

      

 

Remington-Anspitzer

 

Klaus M. Rarisch bei fulgura frango