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James Fenimore Cooper:
Die Monikins. 14. Kapitel


Kunstvolles Manövrieren — Gassenlaufen per Schiff — Freies Wasser gewinnen — Ein neuartiges Preßdock sowie Meilensteine

Dr. Logico als Kartograph

(Auszug)


Viel rascher als üblich waren die Rahen umgebraßt, und mit dem Bug nach Westen pflügte das Schiff schwer gegen die See an. Es ist ganz unmöglich, jemandem, der nie in einer solchen Situation war, eine angemessene Vorstellung zu vermitteln von der fieberhaften Ungeduld, vom Auf und Ab der Hoffnung, wenn man dem Seitwärtskrebsen eines Schiffes zusieht, das sich bei Sturm von Legerwall freikreuzt. Im gegenwärtigen Fall, mit dem Bewußtsein, daß die See unauslotbar tief war, hatten wir so nah an die Gefahr heranzusegeln, daß nicht der geringste ihrer Schrecken dem Auge verborgen blieb.

Während sich das Schiff weiterkämpfte, sah ich, als sich der Eisvorsprung dazwischenschob, die Wolken schnell nach Lee wandern – sicheres Zeichen, daß wir rasend schnell versetzt wurden –, und als wir der Spitze näherkamen, ging aller Atem schwer und gar hörbar. Hier biß Noah vom Tabak ab, ich vermute, nach dem Grundsatz, noch einen letzten Priem zu genießen für den Fall, daß sich die Elemente als tödlich erweisen sollten. Sodann ging er höchstselbst ans Rad.

»Fahrt machen«, sagte er und steuerte etwas auf die See, »laufen lassen, sonst können wir in diesem Teufelsloch nicht mehr manövrieren!« Das Schiff gehorchte der leichten Änderung und lief schneller durch die schäumende See, brachte uns mit wachsender Geschwindigkeit der gefürchteten Spitze näher. Als wir den Vorsprung erreichten, sprühte die Gischt aufs Deck, und es gab einen Moment, da es schien, als wolle der Wind uns im Stich lassen. Doch glücklicherweise war das Schiff so weit vorangekommen, daß es auf eine vorteilhafte leichte Änderung der Strömung ansprach, dadurch bewirkt, daß die Luft schräg in die Wik hineinwehte. Da Noah durch etwas Nachgeben diesen veränderten Bedingungen zuvorgekommen war, die nur einen Augenblick vorher, als wir uns östlich am Vorsprung vorbeikämpfen wollten, noch ungünstig gewirkt hatten, passierten wir zügig das Eiskap und gewannen geschickt die Wik, wobei das Schiff schnell zur Kluft zwischen den Eisbergen hin abfiel.

Es blieben nur ein oder zwei Minuten, die Rahen zu brassen und an die passende Position in Luv der schmalen Durchfahrt zu gelangen. Anstatt in direkter Linie auf sie zuzuhalten, hielt Captain Poke das Schiff auf einem Kurs, der ihm genügend Manövrierraum verschaffte, bevor der Bug zur Passage gerichtet wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die beiden Eisberge so weit einander genähert, daß sie tatsächlich einen Torbogen über deren Mündung bildeten und das überdies an einer so niedrigen Stelle, daß es fraglich wurde, ob die lichte Höhe es der »Walrus« erlaubte, noch darunter hindurch zu passieren. Doch Rückzug war unmöglich, da der steife Wind das Schiff unaufhaltsam vorantrieb. Die Breite der Durchfahrt betrug jetzt wenig mehr als hundert Fuß, und als das Schiff mit schäumendem Bug in den Spalt hineinschoß, bedurfte es in der Tat höchster Steuerkunst, um unsere Rahnocken von den Vorsprüngen auf beiden Seiten klarzuhalten. Der Wind brauste mit fürchterlicher Gewalt durch die Öffnung und heulte geradezu, als freue er sich darüber, eine Passage entdeckt zu haben, durch die er seinen ungestümen Sturmlauf fortsetzen konnte. Vielleicht unterstützte uns der unbezwingliche Druck von Wind und Wellen, die in der Durchfahrt standen, oder, was durchaus wahrscheinlich ist, Captain Pokes Geschicklichkeit kam uns in dieser schrecklichen Situation zustatten. Doch gleichgültig, ob es nun dem einen oder dem andern oder beiden Ursachen im Verein zu danken war, schoß die »Walrus« so akkurat in die Schlucht hinein, daß sie die Berührung mit dem Eis auf beiden Seiten vermied. Mit den Spieren weiter oben hatten wir allerdings nicht so viel Glück, denn kaum war das Schiff unterhalb des Bogens, als es von einer Woge gehoben wurde und seine Großbramstenge im Eselshaupt abknickte. Das Eis ächzte und knirschte über unseren Köpfen, und große Brocken kamen voraus und achtern nieder, ein paar polterten sogar an Deck. Ein großes Stück landete nur einen Zoll entfernt von Dr. Logicos Schwanzspitze, nur knapp die gräßliche Katastrophe verfehlend, das Gehirn des profunden und philo-monikinschen Wissenschaftlers zu zerschmettern. Im nächsten Moment war das Schiff durch die Enge hindurch, die sich unmittelbar danach mit dem Getöse eines Erdbebens vollends schloß.

Immer noch vorm steifen Wind lief das Schiff geschwind südwärts, einem weniger als eine Viertelmeile breiten Kanal folgend. Die Eisberge trieben offensichtlich von beiden Seiten heran, und als wäre sich das Schiff der Gefahr bewußt, gab es sein Äußerstes, immer noch mit Captain Poke am Rad. In wenig mehr als einer Stunde war das Schlimmste vorbei. Die »Walrus« gelangte in ein mehrere Seemeilen weites offnes Becken, das jedoch völlig von den gefrorenen Bergen eingekreist war. Hier schaute Noah auf dem Kürbis nach, worauf er ohne Umstände und unverblümt Dr. Logico mitteilte, daß dieser sich gründlich geirrt habe bei Bestimmung der Position der Kaptivierungs-Insel, wie er die Stelle getauft hatte, an der die liebenswerten Fremdlinge in menschliche Hände gefallen waren. Der Wissenschaftler wollte ein bißchen halsstarrig auf seiner Ansicht beharren, aber was ist schon eine Behauptung wert angesichts von Tatsachen? Hier war der Kürbis und da nichts als blaues Meer! Der Captain erklärte nun rundheraus, er hege große Zweifel, daß es einen Ort wie Oberhupf überhaupt gebe, und da das Schiff in so wunderbarer Position sei, schlug er mir offen, wenn auch unter vier Augen, vor, daß wir alle Monikins über Bord werfen, das ganze polare Seebecken auf seiner Karte als gänzlich frei von Inseln einzeichnen und dann auf Robbenjagd gehen sollten. Ich wies die Ansinnen zurück, erstens als voreilig, zweitens als unmenschlich, drittens als nicht gastfreundlich, viertens als ungebührlich und schließlich als undurchführbar.

Dank an den Fahrensmann Dietrich Wolters fürs Dazwischenreden!

Cooper’s version

James Fenimore Cooper:
Die Monikins. Eine Mär
Übersetzt von Robert Wohlleben
Herausgegeben und per Nachwort kommentiert
von Christian Huck

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