Abschiede, Epitaphe
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Berührung
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Die Haut zu Markt, das Fell gegerbt, entstellt:
Ich setz dir Nachtisch vor, den Schaum mit Kirschen.
Der hilft, wenn Sätze zwischen Zähnen knirschen
die sagen uns, was Bitternis enthält.
Ein Wein noch, eh bei uns die Klappe fällt.
Der Kopf wird voll von Wölfen, Hähern, Hirschen.
Wir gehn mit jedem Wort auf Menschen pirschen
wir sagen uns, was spät als Schmerz zerschellt.
Auch Kaffee noch? Ganz schwarz, mit reichlich Zucker?
Dann schweigen, uns ums Spiegelbild bestehlen.
Ich leg »Durango« auf, das hörst du gern.
Wir spürens schwelen: nichts für Feuerschlucker.
Wir haben viel zuviele Parallelen
da liegt Berührung wohl unendlich fern.
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Grenze
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Wer fahndet nun nach unverwehtem Fakt?
Wer spannt die rückwärts eingeschnittnen Netze
zu den Trigonen leergewehter Plätze,
wo schon die Abdrift die Vektoren packt?
Wer pulst dem Wellenfeld von Sand den Takt,
daß Korn um Korn sich Quant um Quant versetze,
entlang den Flächenfugen auswärts hetze,
wo Schichtung schon sich fügt zum Tesserakt?
Im Lug und Trug von flackernden Kontrollen
verkanten steil die aufgebrochnen Schollen
hielt denn das Kraftfeld Flucht und Sturz im Lot?
Den Grund- und Aufriß nun umreißen wollen
war Eins. Ein Andres hieß: Die Pulse sollen
die Grenze halten zwischen Traum und Tod.
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Abschied
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Was soll uns Trost wo doch im Krähenflug
die dunklen Kurse schon die Knoten schlugen?
Und Wasser zog der Rumpf durch all die Fugen,
so trumpft die Grundsee dumpfer an den Bug.
In Takelung verschlungen: Lug und Trug.
Ins Segel fuhr ein Sturm, die Stöße trugen
vom Tuch was fort, und Mond und Sonne lugen
durchs Loch der Sichelkiel verlor an Zug.
Fahr hin! Laß an der Kimmung Dich verschwinden!
Der Himmel schwimmt schon still zu blinden
Gestirnen hin: wie Zirrenspiel zerfiel.
Wir werden Wimpel an die Spieren binden,
ihr Spiel im Wind wird Dich nicht finden
doch wehn sie Dir zum Gruße: Richtung Ziel.
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Sandversteck
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Hoch aufgerichtet an der Wand vergehn
die Fensterkreuze in vertrackten Nonen.
Die Schattengötzen auf gelackten Thronen
sehn Gruß und Abschied elegant verwehn.
Sind Hand und Fuß mit Halt und Stand versehn,
vertappen rundvereist in nackten Zonen,
wo doch von Kursen die gezackten lohnen.
Wir können den verwehten Sand verstehn.
Der Weg von Tisch zu Bett ist gut vermessen,
wir werden beide nicht zersägen wollen,
solang ein Tuch noch Hieb und Stich verdeckt.
Weht bös! Da sei kein Helm und Mut vergessen.
Weht fort: Was wir noch hätten wägen sollen,
hält sich in uns für mich und Dich versteckt.
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Einschluß
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Atem stockt im Wellengang von Licht,
Strömung transportiert die mitgeschwemmten
Bildsequenzen zu den abgedämmten
Watten
wandelt sie zur letzten Schicht.
Abdruck ist da aufbewahrt: Gesicht,
Kniefall und in einem zugeschlämmten
Reimwerk, dem Detritus eingekämmten
Fingerspuren, letzter Fundbericht.
Ausgekämmt sind Schulp und Muschelscherben,
solln ins Schapp zu Schnecken und Korallen.
Restlicht schließt sie bald in Bernstein ein.
Flut kommt, ebnet ein für neues Sterben.
Wie da Schichten über Schichten fallen,
wächst das Sediment von Stein und Bein.
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Frühlingsnachmittag
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Der Schatten wächst, schon singt der Amselhahn
von seinen hundert Strophen was. Ein Wehen
verschwenkt den schwarzen Birkenast. Wir sehen
gesiebte Kiesel unten: hingetan
als leichtes Rätsel. Lärm der Eisenbahn
wirft sich ins Wort uns. Tut nichts. Wir verstehen:
Wie Geißblatt treibt, will Efeu nicht vergehen.
Wie Bleibaum wächst das Himmelsfiligran.
Von Kiebitz, ersten Schwalben zu berichten
heißt, zu verschallen tief im Labyrinth
der steten Wiederkehr. Wir ahnen das.
So will ich sagen, wie ich sah in dichten
Genossenschaften Lattich über Flint
die Triebe zeigen
denn da blüht uns was.
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Wohin
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Wohin, wenn zwischen Fleisch und Welt die Haut
nie ausgewachsen ist zu Grenzgeweben?
Wenn Regen endlos aus dem hohlen Heben
das Auge auflöst, wo es allwärts schaut?
Aus allen Mündern schrillt der Schattenlaut
und kommandiert zu je versetztem Leben.
Was solls mit all den Wolkenbrüchen geben?
Wo will das hin, was in der Blutbahn staut?
Das Licht zersetzt sich, läßt die Bilder schwinden.
Gesicht, zu oft ersetzt, wird Inconnue.
Der Wortschatz klirrt, bevor er ganz vereist.
Nun sollte sich der Paß zum Grenzsteig finden
Parole? Paßwortschatz ist längst perdu.
Das Fleisch verwest sich allwärts und verwaist.
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Schauspiel
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Wie hängt ein Bär im Fell, wie fällt ins Knie
die Gliederpuppe, wenn das Kreuz sich neigt?
So flackt ein Feuer auf, die Flamme steigt
und phantasiert sich Form
nur weiß nicht, wie
ein Nu nur zu bewahren wär, denn sie
verläßt im steten Wandel, was sie zeigt.
Der Brand verlischt, und nah im Dunkel schweigt,
was vorher fern mit Flügeln schlug und schrie.
Die Sprungschicht jeden neuen Augenblicks
verwirft sich. Immer hängt sich darin fest,
was hertreibt und bedeuten will, in Sicht,
doch nicht im Griff. Kein Seil zur Hand für Tricks.
Die Tatze tappt durch Rauch zum Aschenrest.
Die Fäden reißen ab. Die Sprungschicht bricht.
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Aus Nacht und Eis
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Ein Bild von irgendwas, ein Zeichen nur
der Ort ist wurscht, und Zeit spielt keine Rolle.
Es sei ein Stich, ein Riß, sei, was es wolle
es überrennt den Rand und folgt der Spur
ins Ausgesparte, wo die leere Flur
sich weitet zum Bezirk verirrter Trolle,
von Vagel Griep, Jorinde und Frau Holle,
sich überzieht mit Schatten und Schraffur.
Und kehrt zurück, beladen mit Entsetzen
vor Fall und Sturz in Falten, Schlünde, Spalten.
Das lädt es ab als herrenlose Fracht.
So fügen endlich Schemen, Schutt und Fetzen
sich zum Gewirk gestaltender Gewalten.
In Nacht und Eis wird Feuer angefacht.
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Für den Kaminsims
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Ach weh
! wer rauscht nun durch die Nacht
nach Norden, Süden oder Westen?
Wer lauscht noch nach den letzten Gästen
dem Reden nach, verstummt und lacht?
Wer tauscht die falschen Bärte, macht
das Licht aus in den Kummerkästen?
Wer bauscht nun Sorgen und Gebresten
zu gantz verwirrter Wörterfracht?
Verglasend stocken Wasserfälle,
und junge Sterne stehn verwaist
an ihrer halbverkohlten Stelle.
Obwohl noch Rauch die Augen beißt,
empfängt der Blick versehrte Helle
vom Himmel, wo die Leere kreißt.
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On a Wing and a Prayer
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Im Abendgrauen ists wie leichter Schritt.
Was kommt uns nun zum Nachtmeerflug shanghaien?
Ein Käuzchenflug führt hin zu kleinem Schreien,
uns scheint: Viel tiefer unten schreit es mit.
Der Film im Kopf läuft hin von Riß zu Schnitt,
ist abgespielt, beginnt schon zu verschneien.
Doch hin ist hin, Kopie nicht auszuleihen.
Erinnert bleibt die Tonspur mit »Kiwitt«.
Was noch? Ein bißchen Bilderflucht von Brandung,
die sacht in Meeresleuchten übergeht,
ein Inselsaum mit Zeichen von Versandung
Wohin solls gehn? Was meint der Paraklet?
Was reicht denn wohl für letztgewollte Landung?
Ein Flügel nur? Zur Not noch ein Gebet
?
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Schnitt und Muster
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Wen rührts, wenn Schweigen aus dem Walde schallt?
Wem störts das Herz, auf daß er schmerzlich griene?
Was sucht er sich alsbald als Anstandsmiene
im Angesicht verschallender Gestalt?
Er sieht ringsum sich ballen mit Gewalt
das Niegeahnte und das Vielbeschriene,
chiffriert im Schaltplan für die Weltmaschine
in ihrem Gang vom Vollbetrieb zum Halt.
Daß Subjekt sich vom Objekt unterscheidet,
bleibt unbehauptet und mal unbeeidet,
taugt kaum als Fingerzeig für Schritt und Tritt.
Die Fragestellung stets neu eingekleidet.
Da bleibt stets Rest. Doch Ockhams Messer schneidet.
So einfach ging und geht es Schnitt um Schnitt.
Grabschrift für Lars Clausen
Ciutadella und Ottensen, 31. Mai und 9. Juni 2010
Leinen los
Die Kimmung längt sich hin am Erdballrund,
hoch überwölbt vom immer fernen Heben.
Die Dünung rollt in Gischt, als ging ihr Streben
im Zweifel hin zu fernem Mahlstromschlund.
Laß fallen Anker! Wär da auch kein Grund,
sich einzugraben, endlich Halt zu geben.
Wie Fahrten sich ins Kartenblatt verweben,
gings hin durch Tief und Flach und Belt und Sund.
Der Wind, der Strom, die Abdrift eingeschätzt,
Besteck fürs letzte Etmal aufgemacht
die solten See ist Braut. Und wer ihr Schatz?
Das hieß: Den Kurs auf raume See gesetzt,
die Segel flatternd in den Wind gebracht,
gings auf den Törn zum letzten Liegeplatz.
Grabschrift für Dietrich Wolters
Ottensen, 10. Juni 2011
Ein Eislauf
Nun schweigt die Briefschaft still. Im Abendlicht
verblassen Blick um Blick die Bleistiftschlingen.
Zu Schatten finden sich die Käuzchenschwingen,
die Rufe holt ein Wind, bewahrt sie nicht.
Dann Nacht. Erinnerung eicht ihr Gewicht,
verfasert sich mit hochpräzis geringen
Zersträhnungen ins Niemandsland von Dingen,
wo sie verloren geht in Nebelschicht.
Ist kalt jetzt, doch noch gar kein festes Eis.
Die Vogelschau zeigt leergemähte Flächen
mit Zeilen nackten Astwerks schwarz auf Schnee.
Gefroren streckt sich weit, schwarzblank und weiß,
noch ohne längs den Rissen aufzubrechen,
fürs stete Überhin ein Bodensee.
Kinderspiel
Nicht auf die Striche treten
und dann schnell
durch all die Felder hin zum Angestrebten,
dem allen Horizonten Eingewebten,
wo es sich zeigt, mal glosend, mal mehr grell.
Die Hunde geben Laut, und ihr Gebell
die Tonspur für den Film vom Durchgelebten
markiert die Spur des Nu um Nu Entschwebten
verstummt. Die Meute steht, gesträubt das Fell.
Wir kommen zu Punkt Eins: das Protokoll.
Wir schaun zurück und sichten die Gedanken,
was den Bewußtseinsfluß hinuntertreibt,
in Wirbeln kreist
falls uns nicht was verscholl.
Der letzte Punkt: Wir ahnen die Ananken.
Nun wissen wir, was fehlt. Erst recht, was bleibt.
Grabschrift für Heide Lühwink
Ottensen, 19. XII. 2014
Die Jagd nach dem Glück
Der Wechsel bleibt: Die Nacht fällt ein es tagt.
Notturni klingen auf, dann Tagelieder,
den Eulen fährts, dann Lerchen ins Gefieder
dies alles sei zerdacht und hergesagt.
Die wilde Meute, die das Glück bejagt,
durchsprengt die Wortsaat, reitet Aufwuchs nieder.
Da findet sich kein »Für«, nur wildes »Wider«.
Dies auszuschrein sei unbeirrt gewagt!
Im Schwarz und Weiß der Welt gings Zug um Zug
mit Zahl und Letter fort durchs Feldergitter:
Das Anfangswort gehörte ausgereimt.
Getreu am Feldrain wandte sich der Pflug,
daß ausgesät ward, was am Ende bitter
entsprießt
zu bösen Blumen ausgekeimt.
Grabschrift für Klaus M. Rarisch
(* 17. Januar 1936, 20. Juli 2016)
Fällanden (ZH), 2. VIII. 2016
Donnerstag, 22. Februar 2018
Die Zeit geht hin mit Mond- und Sonnengang
was soll uns all das Dunkle und das Helle?
Wir fanden uns an immer andrer Stelle,
uns festzuhalten bis zum Lerchensang.
Und überall und nirgends gings entlang,
der Weg verlief von Schwelle hin zu Schwelle,
ein langes Spiel von Steigung und Gefälle,
daß Mal um Mal ein Reif ums Herz zersprang.
Was wurd gewärmt, um bloß nicht zu erfrieren?
Was wurde wann gesät, sich zu entfalten?
Was wurd bewahrt, auf daß es nicht verrinnt?
Wo bleibt das Spiegelbild, das wir verlieren?
Wie läßt sich je das fest Versprochne halten?
Wer redet nachts zu uns? Dat deit de Wind.
Ruhe ohne Ende
(An einen Maurermeister)
Längst gut verstaut das Werkzeug. Schicht am Bau!
Längst abgelegt die je erfüllte Planung.
Von Einspruch nur noch Spuren blasser Ahnung.
Was bleibt, ist ziegelrot und portlandgrau.
So stehts nun unter Himmlischgrau bis -blau.
Vom Aushub für die Gründung blieb als Mahnung
entdecktes Zeugnis aller Zeitverzahnung.
Und in der Tat: Auch das ist paßgenau.
Du hast gesehn, wie leicht so etwas bricht,
wenn nur von oben mit zerdehntem Heulen
gezielt was runterkommt mit Fall und Knall.
Dein Traum vom Bauen (doch man ließ dich nicht):
schön mit Traversen, Stuck, Gesims und Säulen.
Nun red doch mal mit dem Facteur Cheval!
Grabschrift für Bernd Löschmann (19412021)
Ottensen, 13. III. 2021
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Graphik zum Sonett »Wohin«: Frank Böhm
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