Volll Bloomen Frucht und Dörner steht Alfons Teschau In Arno Schmidts Erzählung «Caliban über Setebos» ist der Triviallyriker Georg Düsterhenn im Gasthof des bargfeldartigen Dorfes Schadewalde [2] abgestiegen. Er will dort seiner Jugendliebe Fiete Methe in Schadewalde Rieke genannt wiederbegegnen. Düsterhenn berichtet selbst von seinem Aufenthalt und läßt den Leser teilnehmen an seinem Dichten, an Rundgängen durch Dorf und Umgebung, an den Vorgängen in der Gaststube, an der ungenutzten Wiederbegegnung mit Rieke, am nächtlichen Schauspiel, das ihm vier Lesbierinnen in der Scheune des Wirtes bieten, und schließlich an seiner nur knapp gelungenen Flucht vor den erzürnten Tribaden. Der Erzählung liegt der griechische Orpheusmythos zugrunde [3]. «Alte Motiewe» In KAFF stellt Karl Richter fest: «die altn Motiewe wirkn tatsächlich immer wieder. (Und ein Schriftschteller, der sich dazu entschließn mag, hat leichte Arbeit.)» (KAFF 77). Arno Schmidt hat anscheinend Karl Richter bestätigen wollen, als er seine Erzählung «Caliban über Setebos» als eine Art Kontrafaktur auf den Orpheusmythos schrieb. Zugleich hat er ihn Lügen gestraft, indem er sich die Arbeit keineswegs leicht machte, sondern die Verschlüsselung mit ganz beträchtlichem Aufwand betrieb. In der Erstveröffentlichung von 1964 war der Text von keinem Hinweis darauf begleitet, daß und wie er in seiner Gesamtheit auf den Mythos anspielt. Im anspielungs- und zitatenreichen Werk Arno Schmidts war diese Art der Anspielung zuvor nicht beobachtet worden. Der Autor hat es also seinen Lesern überlassen, ein Versteckspiel zu bemerken, das sie zunächst nicht einmal vermuteten. Die Konsistenz des Textes ist jedoch geeignet, hier und da einen entsprechenden Verdacht wach werden zu lassen, der dann zur Aufdeckung der zugrunde liegenden «altn Motiewe» führen konnte. Die prononcierten Joyce-Nennungen, -Anspielungen und -Übernahmen hätten den Leser an dessen «Ulysses» denken lassen und ihn damit leiten können, zumindest aber die deutlich gehäuften Hinweise auf die Unterweltlichkeit des Schauplatzes, die den Text durchsetzen, und die zum Teil nur wenig getarnten Namen. Im folgenden wird das Personal der Erzählung angesehen, soweit sich sein Bezug zum Mythos dem ersten Blick erschließt. Im voraus ist anzumerken, daß damit die von Arno Schmidt in seinem «zweistimmig gesungenen» Orpheus-Text angebrachten «3000 Fiorituren & Pralltriller» [4] leider nur ganz unvollständig markiert sind. Mythosbezogene Namen Die Namen der Hauptakteure schließen deutlich an den Mythos an. Orpheus und Eurydike kehren als Orje und Rieke wieder. Der Name des Gastwirtes O. Tulp (254; s. a. 263) ist als Umkehrung von Pluto einfaches Ananym des Götternamens; seine Frau ruft er «Oll-sche!» (236), benennt sie also mit einem Anagramm (Silbenversetzung) von Scheol [5] und kennzeichnet sie damit als Totengöttin. Der Name seines Hundes, Kirby, ist eine Koseform von Kerberos, dem Höllenhund. Die beiden «Jägerinnen» Meg und Alex sind eindeutig nach den Erinnyen Megära und Alekto genannt. (Aber worauf verweisen Lene und Hermine, die beiden anderen? Sie scheinen kaum etwa mit Selene und Hermione zusammenzubringen zu sein; an anderer Stelle verwendet Arno Schmidt allerdings auch den Namen Hermione (303), der in der antiken Überlieferung verschiedentlich als Beiname der unterweltlichen Göttinnen Demeter und Persephone vorkommt.) Die Jägerinnen: Erinnyen Während Orje und Rieke zunächst ganz ausschließlich als Orpheus und Eurydike bestimmt zu sein scheinen, sind die «Jägerinnen» unverkennbar zugleich Erinnyen und Mänaden. Als erstere sind sie z. B. durch ihre Kleidung ausgewiesen, wobei allerdings von der antiken Jägerinnentracht nur die «Schaftstiefelchen» (226) übrigblieben. Eine der «Jägerinnyen» (271) hält «in der Hand ne lange Schwippe» (227), also die Geißel; später: «ihre Ruten Schwippen Gerten Geißeln lehnten gesellig um einen Pfosten» (310). Auch das Schlangenhaar der Erinnyen ist bewahrt: «ich starrte in ALEX Rasseprofil; deren Blondhaar sich zu schlängeln an hoop» (312). Möglicherweise wird auch der Gift-Atem der Erinnyen angedeutet: «mit rauhen halbverbrannten Lippen, (die nach Senoussi schmecken mußten : ich hatte eigentlich noch nie ne Rauche rinn; wohl weil ich selber nich)» (311). Die Jägerinnen: Mänaden Einen ersten Hinweis auf die Mänaden-Natur der «Jägerinnen» geben die «gemeinsamen Bekantinnen» (= Bacchantinnen), von denen sie im Bus gesprochen hatten (226). Deutlich als Mänaden sind sie zu erkennen, sobald sie den Wirt Tulp mit Evoe-Ruf begrüßen (241). In der Schilderung ihres orgiastischen Liebesspiels (302-312) vor einem Hermen-Ersatz (302: «Senkrecht aus dem geschlagenen Lehm eine hohe pintförmije Taschenlampe») sind Hinweise auf Dionysos und seinen Kultus eingeflochten. So wird der Berg Nysa genannt, wo Dionysos von Nymphen aufgezogen wurde und den Wein entdeckte: «Jägerinnen, wie ich sie so noch ny sah" (302). Das «Handköfferchen» (242) oder der «Stiftskoffer» (310) von den Jägerinnen zur Aufbewahrung der beim Gruppenverkehr benötigten «Heiligengeräte» (303) benutzt vertritt die mystische Kiste, die im Dionysoskult zur Aufbewahrung der Kultgegenstände diente. «Ihre dreiviertellangen Hirschkalbfelle, die Bekleidung der Eingeweihden,» (302) also die von den Jägerinnen getragenen Jacken aus Velveton («wirkt auf 10 m garantiert wie Wildleder» 226 ) geben die Rehkalbfelle wieder, in welche die Mänaden sich kleideten. Auch eine «bunt-gepantherte Bluse» (303) deutet auf Dionysos, der ein Reh- oder Pantherfell trug. In der von den Jägerinnen benutzten Penisnachbildung, einem «über-mäßigen Zapfen aus Kunstharz» (303), darf der Thyrsos erblickt werden, zumal dieser «False-Staff» später als «thyrsinnig lang & dikk» (310) beschrieben wird. Und schließlich sind die Jägerinnen die wütenden Mänaden, die Orpheus zerreißen: «SOEINE RECHTSVERKEHRTE hattich in meinem ganzen Leben noch nich einstecken müssen ! ich verlor gleich den Kopf !» (312). O. Tulp: Pluto Ebenso wie der Wirt als Pluto die Existenz der für den Orpheusmythos weniger belangvollen Erinnyen induziert, erhält der Wirt durch die Mänaden seinen Aspekt als Dionysos. Die Bezeichnung «Wirt» (zuerst 231) ist ja ebenso gut auf Pluto wie auf Dionysos zu beziehen. Wenn es aber heißt: «Während unverkennbar Der Wirt in seine Tür trat» (233), so ist an den Gott der Unterwelt zu denken, denn außer dem griechischen Polydegmon für den Gott [6] klingt hier auch der Schluß von Goethes «Schwager Kronos» an: «Raßle den schallenden Trab, / Daß der Orkus vernehme: wir kommen! / Daß gleich an der Türe / Der Wirt uns freundlich empfange!» Die Kennzeichnung des Wirtes O. Tulp als Hades wiegt vor. «Der Erste Schiffer» (230) so benannt nach seiner augenblicklichen Beschäftigung («schiffen» norddeutsch für «Wasser lassen») , der ein «erdfahles Fährde-Profil» (231) aufweist, also als Charon zu nehmen ist, teilt auf die Frage nach dem Wirtshaus u. a. mit: «der Tulp, Der nimmtas vonn Lebänndijen» (231). Hier kann die Form «nimmtas» zunächst als Kontraktion von «nimmt das» gelesen werden, so daß von irdischen Nepp- und Wucherpreisen die Rede wäre. Vielleicht ist auch an den As, die kleinste römische Münze, als das Äquivalent zum Obolos, der kleinsten griechischen Münze, zu denken, die den Toten bei ihrem Eintritt in die Unterwelt abgenommen wurde; darüber hinaus aber läßt sich die Wendung jetzt mit Bezug auf den Totengott aus dem Englischen als «nimmt uns» übersetzen (solche phonetische Schreibung begegnet im Text ja häufiger). Eine andere Stelle weist in ähnlicher Weise auf den «plutonischen Aspekt» Tulps: «das ss ooch son verdrehter Kunde der reichsde Mann in der Gegend [AdV: also auch Plutos] unerhörtes Personal [AdV: die abgeschiedenen Heroen] sämtliche Leute schtehn in der Kreide beim und siss doch bloß ä altbackener Nazi der am liebstn Alles umbringn möchte na er hat im Alter noch ma heiratn müssen und de junge Frau [AdV: Persephone] gibtsm ja gans anschtändich » (286). In Tulps Garten wachsen neben Eisenhut (aus Kerberos Geifer entstanden, als Herakles ihn zur Erde heraufholte) auch Narzissen (233), die dem Hades heilig sind. Als der Wirt zum erstenmal beschrieben wird, trägt er «auf dem massigen Haupt die Kappe» (233), also den unsichtbarmachenden Helm (Tarnkappe) des Hades; ein «Bleischtift-Zeppter» vertritt das Zepter des Hades (289). Madame Tulp: Totengöttin Als Unterweltgöttin Persephone verkörpert «Madame Tulp», die Wirtin, einen Aspekt der als Kore, Persephone oder Hekate erscheinenden dreifaltigen Ackerbaugöttin, die auch zusammengefaßt in der Gestalt der Demeter begegnet. «Madame Tulp» hält bei ihrem ersten Auftreten ein triefendes Talglicht in der schmutzigen Faust» (237), wie Persephone mit der Fackel als dem Symbol der eleusinischen Weihen dargestellt wurde. Ihre in der Kühltruhe aufbewahrte «Ziegaankissde mit Kleingeld in» (238) mag mit Demeters mystischer Kiste für die im Demeterkult benutzten heiligen Geräte verwandt sein. Das vom Wirt «geopferte Ferkel» (260) ist womöglich der Demeter dargebracht worden. Mit Tulps Bemerkung, seine Frau «hätte sich doch wahrlich nich zu beklagen, da sie ja erst im Frühjahr inner S-tatt gewesen sei» (266), wird berücksichtigt, daß Persephone nur einen Teil des Jahres in der Unterwelt zubringt und alljährlich im Frühjahr als Kore zu ihrer Mutter Demeter auf die Erde zurückkehrt. O. Tulp: Dionysos Der dionysische Aspekt des Wirtes wird von den «Jägerinnen» direkt angesprochen, die ihn mit «Evoe» begrüßen (241) und ihn nach der römischen Dionysos-Entsprechung «Liber Pater» nennen (261). Möglicherweise ist schon vorher in seinem «oxygen Gebrälle» (237) ein Hinweis auf diese Seite seines Wesens zu sehen: Die Formulierung scheint an Dionysos Stiergestalt und an seinen Beinamen Bromios (der Lärmer) erinnern zu sollen. Tulps Fernsehapparat ist Dionysos Zauberspiegel: «Und das Volk im mäd-schick Mira-Mirror flisperte» (271). Gleichzeitig ist er «Schattenbehälter» im unterweltlichen Verstande: «auf dem Sprechenden Spiegel drängten sich die schwebend ungreifbaren Bilder von Verstorbenen herzu, (praktisch Tote; ungefähr von 1931 mochte der Film sein)» (269). In Tulps Gaststube finden ausgesprochene Dionysien statt. Er selbst «verkündete [ ] das Fest Pithoigia [AdV: Faßöffnung]: soeben würde im Keller ein neues Faß angestochen na ? !» (261). «Einer brällte, allerseelich, ein POTT herbei !» (265) und begeht damit das Fest Chytroi (Töpfe), an dem den umgehenden Seelen der Toten Töpfe mit gekochten Sämereien geweiht wurden («Pott», das plattdeutsche Wort für «Topf», steht im Oberflächenkontext als Name eines Rumherstellers); im übrigen sind die Chytroi ein Totengedenkfest, wie Allerseelen eins ist. Ein Betrunkener vollführt «eine Art Schlauchtanz» (267), damit das Schlauchspringen (Askolia) der ländlichen Dionysien andeutend, bei dem mit einem Bein auf einem schlüpfrigen aufgeblasenen Schlauch aus Bockshaut gehüpft werden mußte. Die Lenäen, den auf Staatskosten zur Nachfeier des ländlichen Festes veranstalteten Festschmaus, ordnet Düsterhenn an: «schenken Sie davon [AdV: von den «6 Flaschen ALLAN KARDEC» (7)] jedem der Anwesenden nach Belieben ein. Wer rauchen möchte, bekommt 3 GÜLDENSTUBBE dazu : auf meine Kosten» [8] (270 f.). Die Choen (Kannenfest) mit großem Wetttrinken schließen die Szene in der Gaststube ab: «Ich erhob mich. (Während die Abteilung selig Verdammter sich unermüdlich wett-tränkte» (273). Düsterhenn: Orpheus Den mythologischen Doppelbezug weisen aber auch Orje und Rieke auf. Auf Grund zahlreicher Hinweise ist der Dichter und «Sänger» (274, 301, 312) Düsterhenn als Orpheus und im Zusammenhang mit ihm Rieke als Eurydike zu identifizieren. Als seine Eltern nennt er «Vater A. Paul Düsterhenn & Mutter Moosedear» (240), worin Apoll (zur Aussprache vgl. 255: «Pollpótter» für Paul Potter) und die Muse Kalliope verborgen sind, die als Orpheus Eltern gelten. Da Orpheus zu den Argonauten gerechnet wird und da unter seinem Namen die orphische Schrift «Argonautica» (Bericht über die Argonautenfahrt) überliefert ist, war Düsterhenn «7 Jahre Schreiber uffm Hülfskreuzer ARGO» (234). Wenn Düsterhenn (unter Anleihe bei Rilke) bemerkt: «und der Nordost schnitt steifer den Stein» (279), ist an Orpheus «Lithica» zu denken, ein orphisches Gedicht über die magischen Kräfte der Steine, in dem ebenfalls vom Steinschneiden die Rede ist. Auch die von Düsterhenn ausprobierte, aber unterdrückte Verszeile «Der Arsch friert an den Stein, Du merkst es kaum» (280) dürfte sich im «Lithica»-Zusammenhang ergeben haben; ferner auch 280: «Ich setz mich lieber auf den Schtein-hier, und dichte . . . . .», und 282: «ich ûf meime s-teine». Auf Orpheus Homosexualität und speziell auf seine unglückliche Liebe zum Boreaden Kalais geht Düsterhenns Bemerkung angesichts des sich zu ihm setzenden H. Levy: «Hauptsache erss nich direkt schwul; kalaïskalaïskalaïs grübelte der Motor vor sich hin» (282). «Kurze-leichte-braune Gummistiefelchen» wünscht sich Düsterhenn (247), damit vielleicht auf die hohen Stiefel der Thraker anspielend, die in einer antiken Orpheusdarstellung zu sehen sind. Der unmittelbare Schluß der Erzählung ist eine Transskription für das nach Lesbos geschwemmte und dort orakelnde Orpheushaupt: «bei einem anständigen Menschen lebt am Ende nur noch der Kopf !» (316). Die für Orpheus einschlägigen Komponisten Gluck (237?, 262) und Offenbach (265) sind ebenso genannt wie ihre Librettisten Calzabigi (248) und Halévy (281). «Als ich noch Prinz war von Arkadien» (229) ist aus Offenbachs «Orpheus in der Unterwelt» hergenommen, des weiteren u. a. die Tempoangaben für den Koitus, den Rieke und Tulps Stallknecht am Jauchewagen ausführen (256), und der für Rieke bestimmte Zettel mit einer umgeknickten Ecke [9] (297). Auf derartige Bezüge, zu denen auch Anspielungen auf Orpheus-Darstellungen in der Bildenden Kunst gehören, weist ausführlicher Hartmut Suhrbier hin. [10] Düsterhenn: Hermes Düsterhenns mythologisches Substrat scheint systematisch verdoppelt zu sein und außer auf Orpheus zugleich auch auf Hermes hinzuweisen. Als chthonischer Gott wäre Hermes auf dem unterweltlichen Schauplatz durchaus zu Hause. Nach manchen Quellen ist er Gatte der Aphrodite; die Verbindung Düsterhenn-Rieke hätte also auch hier ihre Parallele (s. w. u. über Rieke). Die Tripelnatur Düsterhenns scheint in Rede zu stehen, wenn Düsterhenn sich im Spiegel besieht und dazu bemerkt: «Ich tat einn Schritt auf mich zu; und betrachtete aufmerksam die Maske des (ja nu nich bloß Zwei- sondern) Drei-fels» (295). Den deutlichsten Hinweis auf den Hermes in Düsterhenn gibt die Stelle, an der er «3-fach merkwürdjen Geisterschritts» (301) das Tulpsche Anwesen hinter sich lassen will; hier ist an den ägyptischen Thoth oder Hermes Trismegistos (den dreifach Mächtigen) zu denken. Die Triplizität des Schreitens wird ebenfalls markiert, wo es heißt: «Ich trat, möglichst festen Schriz-schriz-schriz, an besagten, unangenehm ausgetiftn Grabm rechts» (275). Außer daß sie auf den «dreifach Mächtigen» verweisen, könnten beide Belege auch besagen, daß hier drei Personen Schritte tun, nämlich zunächst Düsterhenn und in ihm auch Orpheus und Hermes. Antwortet der Wirt auf die Frage, ob Düsterhenn «ein Hiesiger» sei, mit «Nain» (242, abermals eine Rilke-Übernahme), so erbringt die Nachschau, daß es sich bei Nain um eine Stadt am Fuß des Kleinen Hermon handelt, der gewiß nicht von ungefähr an Hermes anklingt (vgl. w. u. über H. Levy und den Anklang an «Liffey»). Die Funktion des Gottes als Seelengeleiter in der Unterwelt (Hermes Psychopompos) ist im Text erhalten. Tatsächlich sind ja sowohl Orpheus als auch Hermes anwesend, wenn Düsterhenn mit Rieke-Eurydike die Treppe zu seinem Zimmer hinaufsteigt (294). Seine Funktion als Mundschenk der Götter steht dahinter, wenn Düsterhenn in Todesangst sich bereits an des vergöttlichten Joyce «Tafelrunde von 12 a Posslnreißern» aufwarten sieht (313; s. a. 275). Und wie Düsterhenn dichtet und poetisch vor sich hin formuliert, um dem Sänger Orpheus zu gleichen, so geht er dabei doch so meisterdiebisch vor, daß damit gleichzeitig auch die Düsterhenn-Hermes-Gleichung erfüllt wird. In zahlreichen Formulierungen scheinen die «Ressorts» des Gottes angedeutet zu sein. Schutzgott des Verkehrs dürfte Düsterhenn sein, wo er bemerkt: «erstaunlicher Verkehr für die winzigen Nester & dies tote Zonengrenzgebiet» (227), und wo er den Wirt Tulp fragt: «Wasss denn das für ein verfluchter Verkehr hier ? !» (236). «An der Wegegabel ein hüfthoher Mono-Lith» (278) ist offensichtlich eine dem Schutzgott der Wege und Straßen errichtete Herme; zu diesem paßt auch die Reflexion: «aber mein Weg begann sich zu senken. (Wieso mein ? ; der Weg doch wohl; bis zum Wegebesitzer hattichs noch nich gebracht» (229). «Ich war schließlich bloß Schreiber & Rechner gewesn» (275), könnte Herrnes als der Erfinder von Schrift und Zahlen äußern. «Ich zog langsam meine Dollartasche aus sandfarbenem Leder» (270), und: «aber ich werde Euch durch alabarste Zahlung ein Vorbild setzen» (250), mag der göttliche Förderer des Wirtschaftslebens sprechen. Dem Schutzgott der Diebe dagegen wird folgende Formulierung zuzuschreiben sein: «und ich trat, möglichst ver-stohlen, (im guten Sinne), [ ] durch die Einfahrt» (254). Hermes spendet die metallischen Bodenschätze und begünstigt die Schatzgräberei; beides liegt nicht fern, wo Düsterhenn mitteilt: «die Revenüen meiner IBM waren längst sicher in [ ] Liegenden Gründen investiert; beziehungsweise in Goldbarren, genau vermessen-vergraben, (die Koordinaten, unauffällig-verschlüsseit in unsern [AdV: hermetischen?] Büchern, durch den Druck zur Aufbewahrung gegeben)» (258), und wo er anläßlich des Ziegeleischornsteins den Gedanken formuliert: «Volkstümliche Aberglauben, daß dergleichen auf einem massiven Kupferblock stünde (Wert 20 000)» (248). Auch Hermes-Attribute scheinen vorhanden zu sein. Düsterhenns «Dollartasche» (270) ist deutlich Hermes Geldbeutel. Das als Leier fungierende Reimlexikon von Peregrinus Syntax (230) paßt gleich gut auf Orpheus und Hermes. Düsterhenns Baskenmütze (228) oder Barett (257) könnte Hermes Petasos sein. Auf die laut Homer goldenen Sandalen des Gottes scheint die onomatopoetische Wiedergabe der Flucht vor den wütenden Lesbierinnen zu zielen: «Faß, Kirby, faß ! ! ! : ándaándaánda-dáledáledále meine Kunststoffsohlen ertönten wie Kastagnetten» (313), wobei Arno Schmidt das homerische Gold boshafterweise in Kunststoff verwandelt hätte. Eigentlich gehörten unbedingt auch der Hermesstab, mit dem Hermes den Toten die Augen schließt, und der Caduceus, der Botenstab, den er als Götterbote führt, zu seinen Attributen. Sie sind jedoch im Text nicht recht zu finden, es sei denn, daß Düsterhenins Schreibgerät ihre Stelle einnimmt: «Also lauf, mein Kugelfaber, lauf» (239). Hermes wurden zu gleichen Teilen aus Wein und Wasser gemischte Trankopfer dargebracht, und offensichtlich libiert Düsterhenn dem Hermes in ihm, wenn er erfolglos versucht, den Gestank seines Urins im Nachtgeschirr durch Zusatz von Schnaps zu mildern (299). Von Wasser und Wein zu Urin und Weinbrand als ihren Derivaten sind es ja keine so weiten Wege. Es läßt sich nicht ausschließen, daß auch der germanische Wodan von den Römern ihrem Merkur gleichgesetzt in den Hermesaspekt hineinspielt. So wird nicht weniger als dreimal das von Wodan angeführte Wütende Heer genannt: Die Sätze «Über-Ichmeinermirmich die Sturmtrupps wilder Wolken schafften» (255) und «[H. Levy] hatte die Wilde Jagd erst einmal hoffnungslos distanziert» (314) lassen sich ebenso darauf beziehen wie Düsterhenns Befürchtung: «erschien jetzt etwa HACKELNBERG mit Gefolge?» (275). Wodans Einäugigkeit ist vielleicht ebenfalls angedeutet: «Auch hatte ich, mit 1 Auge, ab & zu zuzusehen» (einer TV-Sendung; 263); «Und bettet das große Auge . . . . .» (302). Rieke: Eurydike Der Name Eurydike fällt im Zusammenhang mit Rieke, wo Rieke und Tulps Knecht als «Heu-Rodis & der Geist des Dunges» apostrophiert werden [11] (255). Die expliziteste Kennzeichnung Riekes als Eurydike enthält die Bemerkung: «Immer vorausgesetzt, daß jener Natter, der Giftmischer aus Bautzen, der sich gebrüstet hatte, sie im Parke angeknallt zu haben, sie je geheiratet . . . . . ?» (228 f.). Hier wird also komprimiert die Geschichte wiedergegeben, wie Aristäos (der auch in Böotien hier Bautzen gelebt hatte) Eurydike in der Nähe von Tempe (im Parke) vergewaltigen wollte und diese auf der Flucht vor ihm von einer Giftschlange gebissen wurde. Fiete-Rieke: Aphrodite Verdacht erregt jedoch ihre Benennung «Fiete» (zuerst 228). Es liegt nahe, sich den Namen Fiete ebenso d. h. mittels des ersten Konsonanten und der Endung aus Aphrodite entstanden zu denken wie Rieke aus Eurydike [12]. Daß ihr Mädchenname Methe (228) von der ägyptischen Meet, der Gefährtin Thoths (ägyptische Hermes-Entsprechung), hergeleitet ist, scheint doch wohl fraglich zu sein. Wenn jedoch mit Hilfe des Namens Methe die folgende Beschreibung einer Badetablettenreklame an «Fiete-Rieke» angeknüpft wird, stellt sich unwillkürlich die Assoziation «Schaumgeborene» ein: «Das METHchen links zog sich eben, raffiniert-langsamig, s Frotteehandtuch vom schaumijn Gesicht : wenn ich [ ] auch nur 1 Fichtnnadltablette erwürbe, [ ] würde sie sich ihr Göttinnenwort darauf ! garantiert als frig-fancy bei mir einstellen, na ? !» (249 f.). Riekes «Hintern, doppeltn Gewichz», vor dem Düsterhenn kaum ein «steatopyges Gelüst» aufbringt (294), scheint einer karikierten Aphrodite Kallipygos zu gehören. Auf Aphrodite können die im Text erscheinenden Tauben (229, 232, 293) und die im Zusammenhang mit «Fiete» genannten Rosen (228, 292) deuten: Taube und Rose waren der Aphrodite heilig. Der «Teig aus Mehl, Käse & Sardellen» (259), den Düsterhenn zum Abendbrot vorgesetzt bekommt, paßt gut in den Aphrodite-Zusammenhang: Ein Gericht aus Ziegenkäse und Honig (lat. mel) wurde in ihrem Kultus verwendet, die Sardelle war der meerentstiegenen Göttin heilig; die Suppe ist Düsterhenn zu salzig (262: «dieser ungewohnte Salzstoß hier»), wodurch auch das Salz aus dem Aphrodite-Kultus für den Text gewonnen wäre. (Dagegen weisen die außerdem festgestellten «Einschlüsse von Bohnenmehl» (261) auf die Unterweltgötter, denen die Bohne heilig war.) Die «alten Eichenblätter» auf Riekes Kleid (294) scheinen reziprok die Frühlingsblumen wiederzugeben, mit denen Aphrodites Gewandung geschmückt ist. H. Levy: Hebros Von Relevanz für die Orpheus-Fabei ist ferner die Gestalt H. Levy. Dieser Namensvetter von Offenbachs Librettisten Ludovic Halévy ist an den in der Gegend um Schadewalde aufgehängten Präservativautomaten beteiligt; er bereist die Gegend, um das Geld aus den Automaten herauszuholen und sie mit neuer Ware zu füllen (282 f.). In seinem Wagen rettet sich Düsterhenn vor den wütenden Jägerinnen (314). Diesem Kontext nach hat H. Levy der Fluß Hebros zu sein. Dessen Teilhomonymität mit «Hebräer», als welcher H. Levy deutlich dargestellt ist (281-287), und mit Hebron, einer Levitenstadt, hat möglicherweise die Gestaltung bestimmt. Es seien auch die Vermutungen gewagt, daß die Lautung der deutschen Bedeutung («erheben») des englischen Verbs «to levy» beteiligt ist und daß schließlich im englischen Verb der Liffey anklingt und somit Levy als Fluß charakterisiert. Der Liffey ist ja fast gegenwärtig, wo an anderer Stelle der erste Satz des Anna-Livia-Kapitels aus «Finnegans Wake» mit seinem Beginn zitiert wird: «O tell me all» (272); denn die ausgesparte Fortsetzung «about Anna Livia!» nennt den Liffey. Levys Auto ist ein «Blechhay» mit «übergrellen Krakenaugen» (281), also gewässerbezogen. Er fährt Düsterhenn ins Dorf zurück: «so trieben wir in unserm Blechkahn still den grauen Sandfluß hinunter» (286). Das Geräusch des abfahrenden Wagens, «(:Korrókorrókorró!) : Karátsche Karátsche Ka . . . . .» (287), weist auf den französischen Bootstyp Correau und auf die portugiesische Karacke (außerdem: «mit Karacho» = mit großer Geschwindigkeit). Die Fortsetzung «. . . . . & castiglionecoglionicoglioni mondsam durcheinanderverhallend» (287), greift den Anklang an die Maler Corot und Carracci auf (wohl zugleich absichtlich irreführend und die mit der Entfernung wachsende Undeutlichkeit des Geräuschs bezeichnend). Bei einer genaueren Nachprüfung könnte sich vielleicht ergeben, daß auch H. Levy Medium für noch eine weitere mythologische Figur ist, vielleicht für einen Windgott? Mythischer Hintergrund weiterer Gestalten Auch das übrige Personal der Erzählung hat möglicherweise restlos mindestens seine einfachen Komplemente in der griechischen Mythologie. Ohne weiteres läßt es sich z. B. vom oben erwähnten Charon (230 f.) feststellen. In den skatspielenden Bauern verbergen sich die Totenrichter: «Unweit nordöstlich von mir, studierten drei Archetypen, Dall Damb & Aggli, das Buch der Könige» (258); Dall ist von Triptolemos, Damb von Rhadamanthys, Aggli von Äakos hergenommen. Minos, der vierte Totenrichter, ist wahrscheinlich der hier und an anderen Stellen auftauchende Bauer «Backenroth» (zuerst 248; ferner 271: «Backenrotz»; 272: «Baconrod»); diese Bezeichnung deutet womöglich auf die rötliche Gesichtsfarbe, die den Kretern im Altertum nachgesagt wurde. Der alte Briefmarkensammler, mit dem Düsterhenn sich in der Gaststube unterhält (261-265), ist Kronos. Der «Greis» ist mit einer Taschenuhr ausgestattet (265), die er seinem Namensvetter Chronos verdankt; im Gesprächsprotokoll werden Briefmarken von den Inseln Tristan da Cunha (263) und Maurizius (265) berührt, an denen er als Kronos, Herrscher über die Glücklichen Inseln, zu erkennen ist. Tulps Knecht, der im Hof des Tulpschen Anwesens mit der später als Rieke Identifizierten koitiert (256), scheint Herakles zu sein. Der im Zusammenhang mit ihm berufene «Herzog von Argyle» (254) klingt an die französische Form «Hercule» an. Sein «Netzhemd» (255; Nessoshemd), sein «herkulischer Po» (256), sein «Arsch wien Raiffeisen» (257; nach der Kerkopen-Geschichte) und das «erhöhte Urstromufer des Misthaufens» (257; Augiasstall) lassen sich an die Heraklessagen anknüpfen [13]. «Caliban über Setebos» als Hommage an James Joyce DerText ist James Joyce so sehr verpflichtet, daß er in seiner Gesamtheit und nicht nur in begrenzten Passagen als eine Huldigung an das Vorbild verstanden werden muß. Nach der vielfach auf Verzerrung bis zur Verkehrung und auf Karikatur hinauslaufenden Methode des «Ulysses» wird ein antiker Stoff überformt. Ferner enthält der Text u. a. Beispiele für Joycesche Verfahren der Texterzeugung durch Aufarbeitung ganzer Wortfelder (290 f.: Münzen) und durch Kontamination von zwei, drei oder mehr Vorstellungen in einer Formulierung, wie sie besonders aus «Finnegans Wake» geläufig sind. Eine Reihe von Joyce-Zitaten und -Anspielungen durchzieht den Text, z. T. in Schmidtscher Übersetzung (vgl. TRITON 194-253). Schließlich erhebt Düsterhenn Joyce ausdrücklich zum Heiland [14], wenn er sich unter Aussparung des «Hohen Namens» «als Aufwärter bei dessen Tafelrunde von 12 a Posslnreißern» sieht (313; Verknüpfung von Joyce mit dem Abendmahl: 275; Verknüpfung der Formel «Hoher Name» mit Christus: 283). Zwar fasziniert von «Finnegans Wake» mit seiner Fülle an «kaleidoskopischen Kollidiereskapaden» [15], sieht Arno Schmidt doch in diesem Buch den gravierenden Fehler «zu großer subjektiver Verschlüsselung» und hält «Ulysses» für «das bessere Stück» (TbZ 265). Für ihn ist eine Grundregel im literarischen Fairplay verletzt, wenn der Autor seinen Vorsprung dem Leser gegenüber allzu sehr ausnutzt, denn «verschlüsseln ist um 500%, und fast unanständig, leichter, als das Wieder-Entschlüsseln !» (TRITON 231). So ist zu vermuten, daß «Caliban über Setebos» nicht zuletzt der Absicht dient, demonstrativ die Joyceschen Errungenschaften ohne ihre Fehler vorzuführen. «Caliban über Setebos» zwischen KAFF und ZT Die Erzählung «Caliban über Setebos» erschien im August 1964. Sie muß als ein wichtiges Zwischenglied zwischen dem 1960 erschienenen «KAFF auch MARE CRISIUM» und der Summa «Zettels Traum» angesehen werden, für die Arno Schmidt schon seit Sommer 1962 Material sammelte und deren Niederschrift er im Juli 1965 begann [16]. In KAFF hat Schmidt damals noch unter Anwendung seiner «Berechnungen» (R&P) erstmals in der Breite eine von Joyce inspirierte Schreibtechnik ausprobiert [17]. Bisher ist dies aber anscheinend nur hinsichtlich der mehr oder weniger Formalia bemerkt worden. Doch wäre es bei einer derart offensichtlichen Joyce-Nähe verwunderlich, wenn nicht auch die Motivik betroffen wäre, was durchaus im Rahmen der «Berechnungen» hätte zustande kommen können. Hier ist zunächst an die Nibelungen- und Cid-Travestien (KAFF 95-104 bzw. 308-312 und 326) zu denken, die jedoch nicht über ihren jeweiligen Kontext hinausreichen. Dort demonstriert Arno Schmidt an Kleinmodellen die Möglichkeiten der Adaptation fremder Stoffe (Karl Richters «alte Motiewe» erscheinen fast als Programm). Hierauf ließe sich der Verdacht gründen, Schmidt selbst könnte mit seinem Produkt KAFF ebenso verfahren sein. Tatsächlich fallen in KAFF weitere Stellen auf, an denen alte «Motiewe» durchscheinen, wie z. B. an der folgenden: «Das muß man sich ma richtich vor=schtelln : Wie ich bei Docktor Weh künndichte ! Entlich=maal ! : Was würdich dem Arschloch erzähln ! (Diesem knieweichn Schwaabm ; der sich ein=bildete, er könnte, ungeschtraaft, den Schtier von Uhri als Dauerrolle schpieln ! Ich war natürlich nicht primmietief genuck, meinn Geegnern nu diereckt den Todt zu wünschn ; neenee : eher das Eewije Leebm! Aber diesem alltn Wandervoogl & Wehgehtarier hätte doch Einijes gebührt : so beschränkt war der Eelende, daß er den Menschn, den er schlecht machn wollte, vor sich schtehen haabm habm mußde ! : In Toon billdete er, in seiner Freizeit : feinsinnich & doof !)» (KAFF 329). «Dr. W.» ist hier der biblische Schöpfergott als strafender Gott («Schtier von Uhri»), der den von ihm am 6. Schöpfungstag (hier unserm Freien Sonnabend parallel gesetzt) aus Erde gebildeten Menschen auf dessen Widersetzlichkeit hin mit Sterblichkeit strafte. So «nahtlos», wie diese Passage in den Text eingearbeitet ist, kann sie nicht als Demonstration zur Travestierungstechnik fungieren. Sie scheint vielmehr einem über sie hinausreichenden Kontext anzugehören, der erst noch zu erschließen wäre. Die recht lustlose Tendenz in der KAFF-Rezeption hat Arno Schmidt enttäuscht (vgl. TbZ 276: «die Nicht-Teilnahme der Leserschaft übertraf die kühnsten Erwartungen»). Es läßt sich denken, daß er auch in sozusagen pädagogischer Absicht «Caliban über Setebos» als eine Art Mustertext schrieb, der es mit seiner bewußt herausgearbeiteten Transparenz dem Leser ermöglichen soll, sich die erforderlichen Lesetechniken zu erwerben. Der Verdacht scheint nicht allzu gewagt, daß «Caliban über Setebos» nicht das einzige nach Vorlage mythisch oder nicht gearbeitete Stück in der Sammlung «Kühe in Halbtrauer» ist (dieser Verdacht läßt sich allerdings kaum gegen alle Stücke der Sammlung richten). Auffallend ist, wie deutlich «Caliban über Setebos» beispielsweise mit den von Düsterhenn jongleurhaft gehandhabten «Etyms» und wie die Erzählung «Die Wasserstraße» (KiH 26-69) mit ihrer Figurenkonstellation (Ich-Erzähler/Hel, Felix/Ruth) auf ZT vorausweisen. Die Stücke machen geradezu den Eindruck, als wären sie im Zusammenhang mit der Planungsarbeit für ZT als eine Art Fingerübung oder Entwurfsskizze entstanden oder doch wenigstens als solche herangezogen worden. ZT enthält auf den ersten Blick genügend «verdächtige» Stellen, an denen eine Entschlüsselungsarbeit wird ansetzen und vielleicht fündig werden können. Wenn Franziskas Plisseerock als «waid genoug für Zweie» beschrieben wird (ZT 4 MM), scheint damit gleich zu Beginn des Buches die Möglichkeit von Doppellesungen angedeutet zu sein. Ein Beispiel für eine ohne Anstrengung doppelt zu lesende Passage ist die Szene am Melkerschränkchen auf dem Schauerfeld (ZT 6 ff.). Dort läßt sich die Wiedergabe eines Abendmahls erblicken: die nur von Franziska und Wilma verzehrten Nougatstangen als Hostien (ZT 7 Mo), der nur von Paul getrunkene Ratzeputz als Sakramentswein («Powell trank indes Für Uns Alle», ZT 20 1 o; Paul dadurch als Priester gekennzeichnet), der Bericht vom Dichter, der mit einem Hammer ermordet und als Revenant beobachtet wurde (ZT 11 MM 13 MM), als Evangelienbericht von Ermordung und Wiederauferstehung. Der Leser wird nach solchen Beobachtungen nicht umhinkönnen, die «Caliban»-Leseerfahrungen in die Lektüre von «Zettels Traum» einzubringen. 1] Zuerst ist hinzuweisen auf: Pauly-Wissowa: Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft. Neue Bearb. Bd. 1 ff. Stuttgart 1893 ff. (Pauly wurde für diese Arbeit nur mit einigen Artikeln herangezogen, und zwar besonders zu Orpheus, Eurydike, Hermes und Aphrodite.) Für die vorliegende Arbeit vorwiegend benutzte Informationsquellen: Robert von Ranke-Graves: Griechische Mythologie. Quellen und Deutung. 2 Bde. (Reinbek b Hamburg 1960). = rde 113/114 u. 115/116. Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Aufl. (Neuer Abdruck). Leipzig u. Wien 1905-1909.
Übersicht: RILKES «SONETTE AN ORPHEUS»
RW über Arno Schmidts Sonettenkranz für Lilli
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