Robert Wohlleben Gegen Mitte der Fünfziger erste Kontakte mit Leuten aus der Rahlstedter »Kunstszene« (wie so was damals ja noch nicht genannt wurde). Lief von einem Mitschüler eine Klasse tiefer, Ekkehard Hauptmann, zu dessen viel älterem Bruder Harald. Von dort zum Maler Jens Cords, von beiden zu Robert Biedermann, der 1948 an der Rahlstedter Oberschule Abitur machte, unmittelbar bevor ich dort anfing. Biedermann gab mir so etwa Mitte der Fünfziger den »Leviathan« zu lesen. Den ich mir aber erst 1961 selbst kaufte, per »Erdöl und Kohle« mit Kollegenrabatt kam direkt vom Rowohltschen Lager (das würden Verlage heut wohl kaum noch so halten). Mit Kollegenrabatt kriegte ich auch »Zettels Traum«, diesmal aus eignem Kleinstverlegerrecht (Verlagsnummer 86669). Durch die Rahlstedter »Bohème« damals dann auch in die Teestube im Bauzentrum an der Esplanade gelenkt. Dort lernte ich den ebenfalls GANZ wichtigen Freund Frank Böhm kennen, der irgendwann zweite Hälfte Sechziger in der »Spiegel«schen Bildredaktion anfing, das hieß für mich auch: ich lernte »Spiegel«-Leute kennen, darunter Gunar Ortlepp. Möglicherweise hat der meine Bargfeldreise im Herbst 71 katalysiert. Jedenfalls hat er Biedermann und mich hin und zurück im Auto mitgenommen. Ich zäume jetzt an Ortlepps bezüglichem »Spiegel«-Artikel [1] auf: So hockten denn Schmidts Jünger, ganze 150 Meter vom Haus des Meisters entfernt, in Bangemanns Stübchen und übten sich, gebeugt über Notizhefte und Meßtischblätter, über Adelung (»Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart«) und Partridge (»Dictionary of Slang and Unconventional English«), über einen Original-»Zettel« in Din A3 und mehrere raubgedruckte in Din A4, drei Tage lang in »Zettels Traum«-Deutung. Der Original-»Zettel« in Din A3 war meiner. Die allererste Raubdruck-Meldung übrigens in seinem höchst alternativen Nachrichten- und Kommentarblättchen »Miri-Motz Zoof« von Freund Michael Rittendorf = Miri, der mit der Straftat aber nichts zu tun hatte, halt nur durch oder wenigstens an allerlei Untergründe streifte. Der Student Dieter Stündel, Verfasser eines hektographierten 49-Seiten-»Registers zu Zettels Traum«, wußte die Antwort: Das Buch, so hatte er aufgrund astronomischer Daten (Sonnenuntergang, Mondaufgang. Sternenkonstellation) errechnet, spielt am 11. Juli 1968. Dieter E. Stündels damaligen Registeransatz kriegte auch ich zur Durchsicht und konnte hier und da etwas Präzisierendes beisteuern. Da folgten sie, gleich den Helden der Schmidt-Erzählung »Die Wasserstraße«, dem 20 Kilometer langen Flüßchen namens Schmalwasser und maßen Fließgeschwindigkeiten (30 cm/sec). Sie stolperten über Rübenäcker, platschten durch Sumpf und Moor und brachen durchs Unterholz, bis sie sich im Hochwald gänzlich verlaufen hatten und ein Jagdpächter aus Peine das exotische Rudel aus seinem Revier vertrieb. Auf dem seitenbreiten Bild ganz links ich mit den längsten Gummistiefeln der Gesellschaft (grün und aus finnischer Produktion, Nokia, von meinem Bruder geliehen), mit wem ich da rede, weiß ich nicht mehr; fünfter von links »Spiegel«-Redakteur Gunar Ortlepp, rechts daneben Jörg Drews, teils von ihm verdeckt Haffmans? Trotz einiger mitgeführter Messtischblätter im Wald verirrt. Zwei Jäger im Volkswagen: »Was machen Sie denn hier?! Hier ist jetzt Brunst! Hier wird geschossen!« Jörg Drews: »Wir sind so eine Art Serninar.« Was den beiden in grünem Loden offensichtlich etwas Verwirrendes zu denken gab Grund dafür später erfahren: in Eldingen eine in der Gegend »das Seminar« genannte Einrichtung für Taubstumme. Nach vierstündiger Wanderschaft saßen sie wieder vor »Zettels Traum«, und Drews schlug vor: »Warum nicht eine Vierteljahres-Zeitschrift gründen, mit dem Titel »Bargfelder Bote« etwa, in dem verifizierte Zitate und Anspielungen im Werk Arno Schmidts den Interessierten kundgetan werden?« Da nickten alle mit den Köpfen und kippten darauf noch einen Malteserkreuz. Der »Bote«-Titel von mir, der ich aus Rahlstedt im heutigen Stadtbezirk Wandsbek stamme, Matthias Claudius und sein »Wandsbecker Bothe« nicht weit von Rahlstedt, auch von mir die klapprige Schreibmaschinen-Typographie, die ich damals kurz zuvor per Xerox-Kopierer für was Eignes (»Meiendorfer Müll« [2]) »entwickelt« hatte. Für mich keinen Malteserkreuz (hab seit je »Schwierigkeiten« mit Schnäpsen). Was beim einen oder andern vielleicht auch ein Ratzeputz war. Ich weiß noch, wie am Anreiseabend Bangemann in die Versammlung an seinem Tresen reinfragte, ob vielleicht jemand einen »kleinen Heidelikör« wolle, Ratzeputz nämlich, einige sagten und sprachen zu wirkten tags drauf etwas mitgenommen. Weiß auch noch, wie ich mir am nächsten Morgen an der Theke die erste Pfeife anbrannte und ein Alter aus dem Dorf dazu bemerkte: »Damit der Husten in Gang kommt «. Die Wendung benutz ich immer noch gelegentlich, diese Handlung zu kommentieren. Schmidt hatte sich nicht sprechen lassen. Auf jemandes (wohl Jörg Drews) Anfrage hin kam ein Zettel von Alice, dem Sinne nach: Man möge davon absehn, »por favor«. Kurz vor dem Abendessen kamen zwei nach Sitzungsschluss im Dorf unterwegs Gewesene leicht begeistert zurück: »Wir haben seinen Schatten am Fenster gesehn!« 1] [Gunar Ortlepp:] Ein Zaun macht »king«. Rund 20 Arno-Schmidt-Forscher reisten in das Heidedorf, den Wohnsitz ihres Meisters, um gemeinsam Schmidts Riesenwerk »Zettels Traum« zu deuten. In: Der Spiegel H. 42 (1971), S. 18082. 2] Meiendorfer Meinungs- und Müllverwertungs-Co.: Meiendorfer Müll. Konzepte für seine künstlerische Begleitung, Gersthofen: Maro 1972.
RW über Arno Schmidts »Caliban über Setebos«
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