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Provisorisches Korpus der Sonette im Forum von fulgura.de

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14.html
Abgeschickt von Robert Wohlleben am 14 Dezember, 2000 um 11:36:53

Antwort auf: When you see millions of the mouthless dead / Charles Sorley von Holger Gögelein am 23 November, 2000 um 19:39:15

Ich weiß von keiner Übersetzung … vielleicht in der einen oder andren Anthologie? (Nicht in »Ohne Haß und Fahne«.)

Ich setze das Sonett her. RW

When you see millions of the mouthless dead
Across your dreams in pale battalions go,
Say not soft things as other men have said,
That you’ll remember. For you need not so.
Give them not praise. For, deaf, how should they know
It is not curses heaped on each gashed head?
Nor tears. Their blind eyes see not your tears flow.
Nor honour. It is easy to be dead.
Say only this, “They are dead.” Then add thereto,
“yet many a better one has died before.”
Then, scanning all the overcrowded mass, should you
Perceive one face that you loved heretofore,
It is a spook. None wears the face you knew.
Great death has made all this for evermore.

Charles Hamilton Sorley


16.html
hass auf sonette

Abgeschickt von andreas sieveking am 24 Dezember, 2000 um 13:41:02

warum ich sonette hasse?
weil sie nicht gefallen können!
weil sie form von inhalt trennen,
was ich niemals durchgehn lasse.

meistens sind es viele blasse
spielerein, die sich verrennen,
konstruiert. doch die antennen
tiefen sinns für jede krasse

interpretation besitze
ich nicht, sehe nur unnütze
reimerei in feinmanier

und ein wenig geisteshitze.
was sich dort eröffnet mir
ist die reine ruhmesgier.


30.html
nachdichtung zu »when you see millions of the mouthless dead«

Abgeschickt von @s am 22 Februar, 2001 um 03:40:36

Antwort auf: Re: When you see millions of the mouthless dead / Charles Sorley von Robert Wohlleben am 14 Dezember, 2000 um 11:36:53

Siehst Tote Du, Millionen mögen’s sein,
Die mundlos, blass durch deinen Traum marschieren,
So stimme nicht in Sprüche Andrer ein,
dass Du erinnern wirst. Kein Repetieren.

Und gib kein Lob. Denn diese Tauben spüren
Nicht, ob es nicht ein Fluch ist, im Gebein.
Auch keine Tränen, die sie nicht erführen.
Auch keine Ehre. Leicht ist’s, tot zu sein.

Sag nur: »Sie sind tot.« Dann ergänze hierzu:
»Es ist manch Besserer schon umgekommen.«
Und wenn in diesen Massen jemand dir zu

Bekannt erscheint – Dein Liebster ist genommen! –
So fantasierst Du. Jede Leiche wird zu
Dem Unbekannten, ewiglich verschwommen.

Deutsch von @s
(c) 2001 by Andreas Sieveking


(254.htm im Sonett-Salon)
109.html
Abgeschickt von Bertold Breig am 21 Maerz, 2002 um 22:09:12

Antwort auf: Re: hass auf sonette von Robert Wohlleben am 25 Dezember, 2000 um 14:19:19

Materialen zu einer Apologetik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs

Sonette find ich allererste Sahne,
Sie sind so taff, so steil, so mega-in,
Sich irgendetwas andres reinzuziehn
Ist für den Arsch, ist absolut vertane

Gehirnaktivität. Ich schrei und japse,
Sonette geben voll den geilen Trip
Sie sind so hyper-mega-ober-hip,
Wer das nicht schnallt, gehört echt in die Klapse,

Ins Zuchthaus, nein, aufs Streckbett, nein: Schafott!
Egal, nur weg, und hundert auf den Fetten
Für jeden, der dumm rumzickt bei Sonetten,

Denn im Vergleich ist alles andre Schrott.
Wer das nicht rafft, der ist total banane,
Ich find Sonette allererste Sahne.


20.html
ein dritter versuch zu »going down« (vgl. rubrik »übersetzungen«)

Abgeschickt von @s am 30 Januar, 2001 um 15:54:58

Going Down

‘It is the BBC which keeps us all honest.’
(Michael Grade, head of Channel 4)

The lifts go up and down in Portland Place,
Heavy with programme-makers and the like,
Expressing all that moves the Island Race –
Cricket and cars and clowns who take the mike.

On coming changes you can put your shirt:
Reform? We can’t afford to be too fussy.
Perhaps the Beeb will burgeon under Birt,
Or Auntie might become a shameless Hussey.

Reith is long gone, but certain ghosts remain
And prompt those zealots who have not resigned
To educate, inform and entertain.

If money talks, can Chequeland change his mind?
Onward, unbowed, will march the Corporation:
‘Nation shall Speak of Ratings unto Nation.’

Roger Woddis
The Times Saturday Review, Sept. 19, 1992

Nach unten

Fahrstühle auf und ab am Portland-Platz –
Erfüllt von Programm-Machern und den Auch-Sos
Rufen hier aus des Inselvolks Rabatz
Nehmt Mikrofone: Cricket, Clowns und Autos

So wird’s uns zu Veränderungen ziehen
Erregung durch Reform ist nicht zu leisten
Heuer vielleicht wird unter Birt Beeb blühen
Auch Tantchen könnt’ als Hussey sich erdreisten.

Nie mehr kommt Reith – es bleiben gute Geister:
Sie wirken so, dass standhafte Zeloten
Tatsächlich informieren wie die Meister.

Allein: die Nation spricht in Einschaltquoten.
– Lasst uns ihn kaufen, wenn der Chequeland schwieg! –
Trott’, Anstalt, vorwärts, niemand Dich verbieg’!

Deutsch von @s


21.html
tenzone zum »sonett im porsche«, vgl. startseite

Abgeschickt von @s am 30 Januar, 2001 um 16:05:07

Sonett im Porsche

Nun laß die Hände endlich fest am Steuer
Und grapsch mir nicht mehr ständig unters Kleid!
Jetzt weißt du wieder mal Bescheid.
Nimm dich in acht, daß ich dir keine scheuer!

Schon als ich einstieg, war’s mir nicht geheuer;
Daß ich’s getan hab, tut mir ewig leid!
Du kennst nur: Saufen und Die-Beine-breit;
Damit entzündest du bei mir kein Feuer!

Und dazu ist mein Schlüpfer auch zu teuer;
Mit dem Gefinger dehnst du ihn zu weit.
Jedoch was red ich! Du wirst nie gescheit!

Du weißt doch: Jedes Ding hat seine Zeit.
Und nimmermehr ist immer Ewigkeit.
Paß auf! Die Kurve! Unser schöner neuer – – –

Klaus Gubener

So nett ist Forsches

Ich starte die Tenzone, also freu’ er
sich nun, der Herr, der mir erzeugt viel Neid
mit seinem Auto und der Maid.
So bin ich seiner Reime Wiederkäuer.

Aus Voyeurismus nur besah ich euer
verliebtes Treiben, wenn ihr mir verzeiht …
Ich sah genüsslich euren kleinen Streit.
Du, Mann, verhieltst Dich allerdings recht bäuer-

lich: Ihre Worten klangen drum so säuer-
lich. Ich hätt’ Dich noch mehr vermaledeit.
Weil sie Dich liebt, bist Du davor gefeit.

Und außerdem hielt Dich das Glück hier tight:
Wenn ich so kopflos durch die Gegend gleit’
Dann ärgert’s immer irgendeinen Lawyer.


23.html
Abgeschickt von Klaus Gubener am 31 Januar, 2001 um 11:02:31

Antwort auf: tenzone zum »sonett im porsche«, vgl. startseite von @s am 30 Januar, 2001 um 16:05:07

So net, Ihr Forscher

Ihr macht’s Euch leicht, Bedenklichkeitszerstreuer
Und meint, dass Euch das schon befreit,
Wenn Ihr dem Namen nach wie Rinder seid,
Dem Wahnsinn nah, als Reim- und Versbetreuer!

Von wegen: einfach nur mal so als Voyeur-
Und welchen Ismen noch! Euch fehlt der Schneid –
Und lieber schwört Ihr einen falschen Eid –
Euch laut zu outen auch als Arschverbläuer

(Wenn’s sein muß nur!) im stillen Wohngemäuer –
Nicht auf der Straße – in Verborgenheit!
Das muß so sein im Fall sie zu laut schreit.

Zum Letzten war ich aber nie bereit:
Ich hab noch keine Frau verkugelbleit!
(Das macht mich manchmal beinah zum Bereuer.)


28.html
Abgeschickt von @s am 05 Februar, 2001 um 23:54:57

Antwort auf: Re: tenzone zum »sonett im porsche«, vgl. startseite von Klaus Gubener am 31 Januar, 2001 um 11:02:31

Sohn, et wird morsch jetz’!

Heut frage ich mich wirklich selbst, pourquoi er
andauernd diese Reime speit,
lostobt wie so ein giftger kleiner Sprite,
trotzt auch. Dabei empfindet scheinbar Joy er.

Es scheint, dass einmal voller Äppelwoi er
deliriös dies schrieb, ganz ohne Guide,
in dem erklärt würde die Versarbeit –
Es ist ganz klar: Hier übertreibt ein peu er.

Für später: Vielleicht trennt vom Weizen Spreu er
recht früh demnächst, diesmal gelangs not quite:
Er stieß nur los den wahnsinnigen Slide

streitbarer Verse, und auf seinem Flight
sah er nicht den Pariser Künstler Veit.
Er fragte einst: Was ist Kunst? Ich sag: Oh Yeah.


22.html
Einsilbig

Abgeschickt von @s am 30 Januar, 2001 um 16:12:43

suff

mir
zum
w…umm.
schwirr

hier
dumm
rum.
bier!

sinn:
bin
dicht.

rinn
nicht,
licht!


24.html
Abgeschickt von Klaus Gubener am 31 Januar, 2001 um 16:44:55

Antwort auf: einsilbig von @s am 30 Januar, 2001 um 16:12:43

In sich kein Vieh fällt

Stich …
Hin
bin
ich.

Mich
spinn
sinn-
lich

die
Welt
fein

ein!
Held?
Nie!


31.html
Abgeschickt von Hans Müller am 22 Februar, 2001 um 18:07:02

hunger-sonett

das warme wasser bunter badewannen
als mittelpunkt von uns’rer schönen welt,
wo matt wir liegen; milch und honig quellt
aus greifbar-handlichen, genormten kannen;

und überzuckerte genüsse spannen
ein parfümiertes, rosarotes zelt –
zu schöne klänge plätschern, wie bestellt,
durch taube ohren, weiter, und von dannen.

so zäh fliesst unser angenehmes leben –
wir treiben mit, auf prallgefüllten bäuchen,
und lullen uns in wohligem behagen;

vielleicht wird eine müde seele sich regen,
erkennend: es gibt nichts mehr zu erreichen –
und sagen: »ich will wieder hunger haben!«


32.html
Abgeschickt von Hans Müller am 22 Februar, 2001 um 18:48:52

sonettierender hiphop-mc

yo, hier komm ich, der typ, der lyrisch alles kann
und bring euch hier und jetzt die neueste palette
beweis mein können und verfasse nun sonette,
und kein flachwichser kommt an mich genug heran

um mich eventuell zu dissen, ha! denn dann
dann ich bring reime krass und in endloser kette
die sind kein bißchen dünn; sind alles dicke, fette
und mitleid hab ich keins als dichtender tyrann

aha aha aha – ich rock durch die terzette
und rapp’ nun wider ruhm und aller etikette
und sehe keinen mehr – sind alle auffem run

sie flüchten klar vor mir, ich rauch ’ne zigarette
sie fürchten mein niveau und meine silhouette
weshalb ich endlich jetzt das texten stoppen kann


33.html
Abgeschickt von Reinhold F. Stumpf am 23 Februar, 2001 um 14:42:45

Sonett vom Kanarienvogel

Des Kanarienvogels trällernder Gesang
Erfreut mein Ohr zu morgendlicher Stunde
So wie er schreit aus allertiefstem Grunde
Möcht’ ich lauschen gern den ganzen Tage lang

Doch weiß ich genau um den traurigen Klang
Der auch entfleucht seinem schnabligen Munde
Denn was er singt gibt mir bittere Kunde
Wie unwiderstehlich schon stark ist sein Drang

So singt sich der Arme das Herz aus der Brust
Kein einziges Weiblein folgt seinem Werben
Unbefriedigt auf ewig bleibt seine Lust

Ich hör nicht nur zu, ich teil’ sein Verderben
Und gehe zugrunde am sinnlichen Frust
Wie er werd’ ich einst weiberlos sterben


35.html
Abgeschickt von Robert Wohlleben am 24 Februar, 2001 um 03:02:59

Antwort auf: Sonett vom Kanarienvogel von Reinhold F. Stumpf am 23 Februar, 2001 um 14:42:45

Ich krame vor, was am 29.8.1992 in The Times, Saturday Review, erschien:

FLEUR ADCOCK

PARROT

Our neighbours kept a parrot in a cage;
they hung it in their yard all summer long.
Its repertoire transfigured us with rage:
it didn’t imitate the blackbird’s song,
but squawked its name in an aggressive tone,
wolf-whistled, crooned a lecherous ‘Hello’,
and sent us rushing to the telephone
with its ‘Bleep-bleep’. The bird would have to go.
We plotted murder. Parsley, we had heard,
was death to parrots. Could we slip a spray
of fatal foliage to the hateful bird?
Then, just in time, the owners moved away.
But psittacidal wrath may yet explode:
now there’s a new one just across the road.

Wenig später in der taz dies Seitenstück:
Gurke des Tages
Ein Ehepaar aus der britischen Universitätsstadt Oxford muß 900 Pfund Strafe zahlen, weil es den Papagei des Nachbarn erwürgt hat. Nachdem der Unternehmer Mark Leach und seine Frau Dolores drei Jahre lang von dem Tier gequält worden waren, rächten sie sich schließlich: Sie traten den Zaun zum Nachbargarten ein und drehten dem lärmenden Vogel den Hals um. Zu ihrer Verteidigung spielten sie dem Gericht ein Tonband mit Aufnahmen des Geschreis vor, das täglich beim Morgengrauen einsetzte und erst spät abends aufhörte. Das Tier brachte es immerhin auf 90 Dezibel. Obendrein hatte der Besitzer, Paddy Williams, seinem Papagei beigebracht, pausenlos den Vornamen des Unternehmers zu rufen. Dennoch hatte der Richter kein Einsehen: Neben der Geldstrafe und den Verfahrenskosten verurteilte er die Leachs dazu, ein Jahr lang den Frieden zu wahren. Ob das bedeutet, daß sie danach dem zweiten Williams-Papagei an den Kragen gehen dürfen, ließ das Gericht offen. RaSo
die tageszeitung, 16.10.1992


61.html
Abgeschickt von U. Haubenreißer am 07 Juni, 2001 um 01:52:46

Antwort auf: undichter dichter von Hans Müller am 14 Mai, 2001 um 16:59:24

Nach guter Weile, ohne Eile,
schwang Uwe die Tenzonen-Feile:

Die Kritikaster

Es war einmal … vor vielen, vielen Tagen,
Als noch der Barden hohes Lied erklungen –
Die Jungen pfiffen, wie die Alten sungen
Und hielten sonst das Maul. Doch solch Betragen

Erwarte nicht, wenn heute du die Lungen
Zu hehrem Sange füllst. Denn willst du wagen,
Ein Stück aus ganzem Holze vorzutragen,
Ist schnell ein loser Deckel abgesprungen

Und aus der Unglücksbüchse der Pandoren
Entfleucht das Heer der Möchtegern-Juroren:
Sie zwirbeln ihren Mist wie Skarabäen,

Durchwühlen Hof und Garten unverfroren
Und ballern frech aus allen Schreibe-Rohren
Mit Stinkekugeln, dein Gedicht zu schmähen.

P.S.: Lieber Raphael, schicke mir doch beim nächsten Mal das Reimlexikon bitte gleich zurück – dann kann ich auch schneller antworten! ;-)
Aber im Ernst: War eine harte Nuß, noch einmal auf die selben Reime zu dichten. Die schönsten Worte habe ich ja schon beim »Dichter« vernudelt …

Herzliche Grüße!

Uwe Haubenreißer


62.html
Abgeschickt von U. Haubenreißer am 07 Juni, 2001 um 02:01:31

Antwort auf: undichter dichter von Hans Müller am 14 Mai, 2001 um 16:59:24

Der Witz ist doch: da verbiegt man sich bei einem Gedicht um Reim und Vers und glaubt, es wird nichts mehr – und plötzlich hat man noch soviel Material in der Tüte, daß man glatt drei daraus machen könnte … :-)

Solitär

Wer kühn zum Lichte sich emporgeschwungen,
Dem drohen auch die schlimmsten Niederlagen –
Hat je in flaches Kraut ein Blitz geschlagen?
Doch mancher stolze Baum ward schon bezwungen,

Der es gewagt, dem Mittelmaße zu entragen.
Und fällte ihn kein Sturm, wird er verschlungen:
Durch Borkenritzen ist Geschmeiß gedrungen
Und will an Wurzel, Stamm und Ästen nagen.

Und doch ist jener noch nicht ganz verloren,
Dem stille Kraft und Dauer sich verschworen –
Gehört er zu den Harten, zu den Zähen,

Mag das Gewürm an seinem Marke bohren:
Es werden viele Sommer ihn befloren,
Verbleibt nur Zeit, die Wunden zu vernähen.

Herzliche Grüße!

Uwe Reimausreizer


55.html
Abgeschickt von Uwe Haubenreißer am 25 April, 2001 um 19:23:22

Der Dichter

Wen Hohes je in seinen Bann geschlagen,
Der faselt, schwätzet nicht in wirren Zungen,
Denn Klarheit hat und Maß er ausbedungen,
Um Großes groß und Schönes schön zu sagen.

Zum roten Moste, Keltern süß entsprungen,
Schafft ihm der herbe Wermut erst Behagen:
Er leert der Kelche Neige sonder Klagen
Und schlürft noch, was den Trestern abgerungen.

Was gölte ihm, der reinstem Sang erkoren,
Das Staubgezücht stupider Koryphäen?
Er gibt dem trägen Flügelgaul die Sporen

Zum forschen Ritt durch Jamben und Trochäen
Und schöpft aus den balsamischen Amphoren
Der Verse Ambra, bis ihn Schnitter mähen.


58.html
undichter dichter

Abgeschickt von Hans Müller am 14 Mai, 2001 um 16:59:24

Antwort auf: Dichter von Uwe Haubenreißer am 25 April, 2001 um 19:23:22

mal ganz tenzonös:

undichter

wer sich für intellektuell hält, sagen
wir, einer von den »kunst ist ALLES«-jungen,
nun, der erlebt zig götterdämmerungen,
bei buddeleien in sprach-sarkophagen;

begeht (poetisch) vergewaltigungen,
beim »nach-bereits-erlegter-lyrik-jagen«,
säuft sich dann ein geschwür in seinen magen –
und findet geil, was größtenteils misslungen.

dies sind die pseudo-avantgarde-autoren,
die, statt nach neuem jagdterrain zu spähen,
in frühromantischen gefilden schmoren,

mit schaffung von – äh! – nonarimen blähen,
obwohl sie als poetik-plagiatoren,
epigonal auf toten äckern sähen.


63.html
Abgeschickt von Hans Müller am 07 Juni, 2001 um 13:33:01

Antwort auf: Kritikaster! von U. Haubenreißer am 07 Juni, 2001 um 01:52:46

der kritiker undichter dichter
(oder: warum’s kritik nötiger denn je hat)

was hirnst du rum mit superficial-vagen
kritik-betreffenden beschuldigungen?
juroren, das sind die, die notgedrungen
– da sodomisten pegasi gern plagen –

das arme vieh beschützen – denn durchdrungen
ist lyrik (von genf bis nach kopenhagen)
von reim-verspielten, pseudo-künstler-blagen! –
da braucht’s kritikbedingte züchtigungen!

denn du! – mit steputatischen sponsoren,
willst du in foren tenzonös rumoren,
und kritikern zu gern das maul zunähen:

schwingst reden, wie versierteste rhetoren,
jedoch: fundieren die kritik lektoren,
dann kannst du nur noch hilflos »äh-äh-ähen« …


67.html
dem augenscheinlich sonettös verzagenden

Abgeschickt von Hans Müller am 09 Juni, 2001 um 00:33:26

Antwort auf: Re: der kritiker undichter dichter von U. Haubenreißer am 07 Juni, 2001 um 20:38:30

da bist Du sonettös wohl am verzagen –
zumal formal die jenen doppelungen,
bedeutungstechnisch schwere änderungen
bewirken – somit hält’s sich wohl in waagen,

und ist erlaubt; jedoch: die ausführungen
(nun: Deinerseits!), entbehrn dem überragen,
da augenscheinlich nun Dein reimwort-kragen,
geplatzt ist … wo sind nur die halterungen …?

ach was! der steputat ist kahlgeschoren,
und Du schwitzt scheinbar schon aus allen poren,
verstiegst Dich in zu hohen pyrenäen?

verklebst nun fett mit prosa meine ohren,
(da dein sonett wohl noch nicht ausgegoren …) –
und MEIN sind die tenzonigen trophäen!!!


60.html
Abgeschickt von Hans Müller am 16 Mai, 2001 um 12:46:22

sonettierter schiß auf die metrik

missacht’ ’nen anapästigeren titel,
der fokus sei auf das quintett zu lenken,
wo ein hiatus-reiches heben, senken,
vervollkommt ein grellbuntes versgeknittel,

mit drei bis acht gefüßten rhythmus-schütteln,
»modern« genannter lyrik zum gedenken –
trochäus, daktylus kannst du dir schenken;
zu lang ist das entsprechende kapitel.

und diese jammer-jammer-jambenzähler,
– mit ihren sprach- und rhythmus-puzzleteilchen –
sind alle bloß romantische pennäler:

sonett, kanzone – liegt zurück, ein weilchen,
die chance zur popularität wird schmäler,
hat man den hang zu metrisierten zeilchen.


(265.htm im Sonett-Salon)
130.html
Abgeschickt von Bettina Rosky am 16 Juni, 2002 um 19:34:26

Geflüstert

Vergiss nur nicht, wie dieser Abend ist:
Wie wir uns küssen zwischen Stein und Moos,
den Duft von Harz und Haut und Licht und Schoß,
und wie der Schatten kühl. Die Galgenfrist

läuft ab. Die erste Wolke wird gehisst.
Du sagst: Gleich geht ein schwerer Regen los.
Und über uns die Buchen! – Riesengroß,
wie du, geheimes Liebchen, in mir bist.

Du in mir bist ich und ich bin du.
Gesell noch einmal deine Hand dazu.
Der nahe Abschied schmerzt in meiner Brust.

Treib den Gedanken fort mit deiner Lust,
versprich mir unser nächstes Rendezvous.
Küss mich, bevor du kommst und gehen musst.


(264.htm im Sonett-Salon)
141.html
Abgeschickt von ZaunköniG am 19 Juni, 2002 um 17:02:22

Nebelnester (1)

Treu ist die Trauer und ohne Verlangen,
als wollte sie mich in ein Nebelnest betten.
Wer sonst kann mir heute die Sorgenstirn glätten?
Nur meine eigene Hand streicht die Wangen.

Erinnerung brennt mir noch auf meiner Lippe,
doch sah’st du mich nie in der Not, wenn ich weinte.
Es wäscht sich schon fort, was uns gestern noch einte.
Ich fühl wie im Schlaf die verlorene Rippe.

Ein Teil von mir ist mit dir von mir gegangen.
Ich seh, wie wir beide zu Masken erstarren,
kein Anlaß noch Grund, dieses Spiel anzufangen.

Mein Wunsch muß auch weiter der Fleischwerdung harren,
doch treu ist die Trauer und ohne Verlangen.
Nur sie kennt mich gut, hält mich niemals zum Narren.


(263.htm im Sonett-Salon)
142.html
Abgeschickt von Paul Pfeffer am 24 Juni, 2002 um 07:56:03

Im August

Du willst dich einer Wiese blindlings anvertrauen,
versinken zwischen Gräsern, süßen Blütendüften.
Du hoffst, das werde endlich deine Seele lüften:
die warme Erde, das Stück Himmel und die lauen

Winde, welche dich umschmeicheln. Deine Lust
erwacht wie eine Göttin, wie ein altes Wesen.
Sie zeigt sich dir, und du musst ihre Zeichen lesen
an diesen glühend heißen Tagen im August.

Wir wollen uns im hohen Gras ein Lager machen
und diesen Tag mit Freude wie ein Mahl genießen.
Der Glanz auf deiner Haut, die andren guten Sachen

sind ein Geschenk. Und auch wenn wir es später büßen,
lass uns verwegen sein und wie Verrückte lachen:
Des Sommers ganze Herrlichkeit liegt uns zu Füßen.


(261.htm im Sonett-Salon)
154.html
Meta-Sonett

Abgeschickt von Wolfgang Spiegel am 09 Juli, 2002 um 23:02:29

Lang lieg ich rastlos auf dem Bett
und wälze mich, weil ich nicht schlafe,
und wälz mich noch, und zähle Schafe.
Da – blitzlich – weckt mich: ein Sonett.

Die Feder her! Das Tintenfaß!
Denn Verse drängeln sich ans Licht.
Am hellen Tag passiert dies nicht,
weil ich sie nicht passieren laß.

Tagsüber macht die Zeit das Rennen.
Nur Nachts entgeistern sich die Reime,
denn Geister lernt man nächtens kennen.

Auch wenn ich Schlummer heut versäume,
hey Nacht, schlimm wärs Dich zu verpennen!
Nun küß mich, Mutter aller Träume.


(262.htm im Sonett-Salon)
157.html
Abgeschickt von Bernd Schäfer am 25 Juli, 2002 um 16:36:50

Die Hyänen

Gespenstisch, wenn die langen Schatten sterben,
erfüllt ihr Lachen weithin die Savannen,
sie ziehn in Rudeln durch die öden Pfannen,
die Sonnensaat des Todes zu beerben.

Gebisse nur geschaffen zum Zermalmen,
an denen Geifer glitzernd nieder hängt,
die alte Gier die sie zum Aase drängt
läßt sie nicht ruhn. Bis zwischen hohen Halmen

Verwesung aufsteigt, fast wie Weihrauch brennt.
Dann stürzen sie mit lüstern gelbem Blicke
hin zum Kadaver, wo schon Geier fressen.

Oh, wie sie zerren um die besten Stücke,
die Nacht berauscht von ihren Bissen dröhnt,
wie Kathedralen von den Totenmessen.


(266.htm im Sonett-Salon)
159.html
Der Fluch der Sirene

Abgeschickt von ZaunköniG am 27 Juli, 2002 um 18:29:37

Bemüh’ dich nicht für dich alleine zu singen,
du ahnst nicht zu wem du dein Liebeslied trägst,
welchem Herz du Rhythmus , den Lebenstakt schlägst;
doch der selbe Wind wird dir einst Nachrichten bringen.

Und während du noch die Bedeutungen wägst
zagt die Stimme, erstickt jäh dein selbstlautes Klingen,
doch kannst seine Wirkung nie wieder bezwingen,
da du jeder Welle ihr Klangmuster prägst

bis sie irgendwo auf jemand Fühlenden stößt.
Wen der Ton trifft, der hebt keine Stimme dagegen;
zerflossen sein Wille, dem du eingeflößt

den Gesang und in Trance schwimmt er dir leicht entgegen.
Du betest, daß sich keine Silbe mehr löst,
aber stumm wirst du dennoch die Lippen bewegen.


166.html
Reine Glaubenssache

Abgeschickt von Bernd Schäfer am 12 August, 2002 um 11:07:45

Noah’s letzter Versuch

Den Alten hatten sie ja nur verlacht
Sie alle, doch er schwieg und baute höher
Fraß finster Tann um Tann und ihre Späher
begriffens nicht bis rauh in einer Nacht

Geräusch durch die noch unverpechten Stämme
Wie Streit hinüber drang zu ihnen hin
Als feilsche er mit irgendwem da drin
Und seine Worte wuchsen auf wie Dämme.

Um Meter gings um Menschen und Etagen
es ging um Alles und er wollte wenig mehr
ließ lang nicht nach und gab sich nicht geschlagen

doch aussichtslos, der andere gewann
und Stille kam, in der sein Atmen schwer
wie Blei in ihre starren Glieder rann.


169.html
Abgeschickt von ZaunköniG am 17 August, 2002 um 16:56:39

Einem orthodoxen Sonettisten

Der Fünfheber Jambus ist dir erste Sahne,
doch fürcht ich, dir mangelt’s am rechten Behufe.
Das Dichterwerk wird nicht zum echten Berufe,
schreibst du dir ein einzelnes Maß auf die Fahne.
Du stehst mit nur einem Maß auf schmalem Kufe.
Dies sei dir ein Beispiel, daß dir einmal schwane,
was möglich ist, dir neue Freiheiten bahne:
Der Daktylus ist doch die Doppelrahmstufe!
Du trägst deinen Jambus (und willst mir noch spotten),
doch wie einen alten, verschlissenen Frack
und flickschusterst nur an den alten Klamotten.
Vielleicht kommst auch du einmal auf den Geschmack
und lernst einen anderen Vers, einen flotten;
Ein anderer Takt bringt dich wieder auf Zack.


170.html
Abgeschickt von Bettina Rosky am 18 August, 2002 um 16:07:34

Frau bei Rot

Du schaust zu mir, und ich denk nur ans Küssen.
Siehst du das nicht? – Mein Puls beginnt zu fliegen.
Du Schöne, warum willst du links abbiegen?
Du musst es doch von meinen Blicken wissen!

Kann man ertrinken in Gedankenflüssen?
Vom Zwinkern einen Augenschaden kriegen?
Ich käm so gerne neben dir zu liegen.
Da, jetzt wird Grün, und du wirst fahren müssen!

Ein andres Mal, wenn es nochmal geschähe,
würd ich gewiss viel mehr Courage haben.
Dann sende ich ein deutlicheres Zeichen.

Nein, wenn sie kommt, lass ich die Chance verstreichen.
Ich habe plötzlich Angst vor deiner Nähe,
und du magst sowieso viel lieber Knaben.


182.html
Sorry William

Abgeschickt von Bernd Schäfer am 06 September, 2002 um 00:47:13

Macbeth

O Schrei der Eule, wunderlicher Reigen
O Silbermund der um die Heide ging
O Than mit blutbesäumtem Siegelring
Umstellt von Schatten die aus Gräbern steigen.

Dir war’s geflüstert keine Frage, nur
Kodiert das Schicksal – dann und wann – den Preis
Und offenbar mit Vorsatz denn: was weiß
Ein Held von Waldbeschnitt und Weibstortour.

So lacht er noch am Ende der Gefahr
Und harrt des Wütrichs den kein Schoß gebar
Von allen Speichelleckern längst verlassen.

Natürlich kommt’s wie’s kommen muß, sein Los
Ist bitter und sein Blick brennt schreckensgroß
Von Lanzenwäldern in die Jubelgassen.


189.html
Abgeschickt von ZaunköniG am 13 September, 2002 um 12:47:04

Adam, wo bist du?
Zu einer Skulptur von Hilko Schmerus

O Adam, im offenen Mund steckt die Klage,
gerichtet ins Nirgends, nach außen und innen.
Kein Ziel; nur Vergangenheit liegt in den Sinnen.
Du stellst dich und beugst dich der uralten Frage
nach Sühne der Schulden – und wie man sie trage.
Sie leugnen, das hieße sich selbst zu entrinnen,
doch wie kann man nach einer Schuld noch beginnen?
Und fügst dich in deine vermeintliche Lage.
Die Sünde ward dir zur alleinigen Achsen;
ein Wort, das dich täglich und nächtlich bestürmt,
deine Seele zur Tilgung der Schuld zu beleihen.
Bist in deine Last allzu fest eingewachsen,
auf die sich zur Schuld deine Ohnmacht getürmt.
O Adam – nun nimm endlich an mein Verzeihen!


206.html
Abgeschickt von ZaunköniG am 08 Oktober, 2002 um 18:00:33

Geborgenheiten

Wie man sich manchmal gern von eines Feuers roten
Flammenschein das kalte Herz erwärmen läßt
und träumend sich versenkt ins prasselnde Geäst,
so sah ich auch in deine Augen, als sie lohten.

Und wie man sich an kalte Regenscheiben preßt,
um einen neuen Sommertag früh auszuloten,
hab ich mein Lächeln gerne wieder angeboten,
und ein Umarmen, wenn die Trauer dich durchnäßt.

Was tue ich, seh ich dein Auge sich betauen?
Ich will mein Schicksal nicht nur so geschehen lassen.
Du könntest, würdest du mir in die Augen schauen

auch Halt in meinen Händen sehn, den allzu blassen.
Und magst du meiner schwachen Hand auch nicht weit trauen;
Nur keine Scheu – Du darfst mch gerne ganz umfassen.


121.html
Abgeschickt von Tobias Erlseit am 29 Oktober, 2002 um 20:37:33

Das gewisse Herz

Es pocht und schlägt,
wie eine Uhr mit Zeigern.
Was will es verweigern? –
Tief in dir sich vergräbt.

Das fühlen wird hören,
die Rippen vibrieren;
nach außen begieren . –
Wen will es stören?

Die Gedanken zentrieren:
Nichts zu kreieren!
Stille bleibt aus,

Ich weis genau:
Mächtig und klein,
bleib ich allein.


213.html
Abgeschickt von ZaunköniG am 30 Oktober, 2002 um 19:58:43

Vor einigen Wochen habe ich mit Nachdichtungen begonnen und nun, da der erste Schwung fertig ist, dachte ich, klopf ich doch mal auf den
Busch, was die Experten dazu sagen.

Not in Vain
von Hartley Coleridge
1796 – 1849 in England

Let me not deem that I was made in vain,
Or that my being was an accident
Which Fate, in working its sublime intent,
Not wished to be, to hinder would not deign.

Each drop uncounted in a storm of rain
Hath its own mission, and is duly sent
To its own leaf or blade, not idly spent
’Mid myriad dimples on the shipless main.

The very shadow of an insect’s wing,
For which the violet cared not while it stayed
Yet felt the lighter for its vanishing,
Proved that the sun was shining by its shade.
Then can a drop of the eternal spring,
Shadow of living lights, in vain be made?

Nachdichtung von ZaunköniG
Nicht vergebens

Laß mich nicht glauben, daß ich Zufall sei,
daß meine Schöpfung nichtig und vergebens.
Das Schicksal, Ziel gewissenhaften Webens
kann nicht umsonst sein, noch ist’s einerlei.

Kein Regentropfen fällt umsonst herbei,
er hat den Zweck im Spenden neuen Lebens
im Blattwerk schließt er seinen Kreis des Gebens
und hält sein Fallen doch für leicht und frei.

Der Schatten des Insektenflügels kreist
farbschillernd und beweist erhabnes Sein,
so wie der Schatten auch das Licht beweist.

Und ist mein Teil der Ewigkeit auch klein;
Kann Schatten, der sich aus dem Lichte speist,
denn jemals unnütz und vergebens sein?


214.html
Antwort auf Robert Gernhardt

Abgeschickt von Frank Walter am 31 Oktober, 2002 um 19:46:35

Für Robert Gernhardt

Man nennt ihn Robert, hat ihn sogar gern,
Weshalb er sich einst Gernhardt taufte, doch
Was er zu Wege bringt im Vers ist fern
Von Qualität, er pfeift auf letztem Loch.

Ja nicht einmal die Zeilen im Sonett
Kann er so ordnen, wie es sich gehört.
Für mich bohrt er im allerdünsten Brett,
Wenn er sich an Sonettendichtern stört.

Den flachen Sinn lobt er und ist noch stolz,
Dass er Gedichte nicht begreift, die leben.
Sein Verseschmieden klopft wie Knüppelholz
Er ist »gern-hart«, ihm fehlt das sanfte Schweben.

Du bist nicht klug und fühlst nicht alter Narr,
Man spürt, du bist beinahe totenstarr.


216.html
Abgeschickt von Frank Walter am 07 November, 2002 um 11:04:33

Wallhalla

Warum hat man denn Liese Meitner nicht
In diese Ruhmesstätte eingebettet,
Wo manch ein Mann und großkopferter Wicht
Zum Angedenken wurde schon gerettet?

Weiß man, trotz Hahn und Strassmann, nicht, dass sie
Es war, der wir verdanken dürfen, dass
Man Kerne von Atomen spaltet, die
Gesammelt dienen explosivstem Fass?

Sind Feuerwerke wertlos heutzutage?
Hiroschima und Nagasaki ist
Wohl nicht viel wert?, so endet meine Frage,
Die ich hier stelle mit durchdachter List.

Urahnen ruhen seelig schon im Frieden,
Der mit Urankrieg ist auch uns beschieden.


217.html
Eine Interpretation der Shakespeare-Sonette 135/136

Abgeschickt von Frank Walter am 07 November, 2002 um 12:35:47

The truth about Will I am Shakespeare

Ich will dich, doch du willst mich nur, wenn ich
Dir deinen Willen, deine Freiheit lasse.
Was du dann willst, das ist doch eigentlich,
Dass ich dich nicht mit Machtimpulsen hasse.

Ich soll dich also lieben, doch das wäre
Mein Wille ja, der dir im Wege stünde.
So kommt mein Wille deinem in die Quere
Und will ich nicht, dann hast du andre Gründe.

Denn will ich nicht, dann lieb ich dich ja nicht
Und lieb ich nicht, dann krieg ich dich nicht frei.
So führ ich Krieg um dich, die mir verspricht
Zu lieben, wenn ich schwach und friedlich sei.

Die Liebe pocht so drängend in der Hose,
Der Reißverschluss macht sie zur Zwangsneurose.


230.html
Abgeschickt von Paul Pfeffer am 27 November, 2002 um 16:05:21

Bretagne

Die dich erleben, nehmen große Bilder mit
von Blumen, Palmen, Felsenriffen, grauen Steinen:
Ein schöner Garten Eden bist du für die einen
und für die andern eine Festung aus Granit.

Die ungezählten Schiffe und die hellen Segel
erobern schon seit langem deine rauhe Küste.
Seit Jahrmillionen meerumspült sind deine Brüste
und Wolken ziehen mit dem Wind wie weiße Vögel.

Die lieben dich, die deinen Horizont beschreiten
und denen wilde Lieder auf den Lippen blühen
im Sturm, wenn laut die Brandung brüllt und die Gezeiten

mit Gischt und Urgewalt die Strände überziehen.
Dann küßt du jene, welche sich ins Freie wagen
und das smaragdne Meer in ihren Augen tragen.


231.html
Abgeschickt von Frank Walter am 30 November, 2002 um 18:56:29

Leichtherzigkeit

Es ist so leicht dem Frohsinn nachzugehen!
Doch ist’s auch leicht, ihn schließlich dort zu finden,
Wo man ihn sah mit Fratzenspiele stehen,
Als ob sein Zweck sei, dich damit zu schinden?

Mit der Grimasse, die dir Glück vorlügt,
Um dich an andre Menschen anzuketten,
Um dich, wenn du von diesem Spiel betrügt,
Nun selber täuschst, um deinen Ruf zu retten.

Leichtherzig ist wer dieses Spiel erkennt,
Doch hasst man ihn für dieses tiefe Fühlen.
Wie dann der Lügenkasper dich noch trennt
Von allen, die in gleiche Richtung zielen!

In Massen müssen wir solch Leid verdrängen
Und leiden doch in diesen Narrenzwängen.


232.html
Abgeschickt von Frank Walter am 30 November, 2002 um 19:11:48

Das erschütternde Selbstbekenntnis eines Kantindianers

Als Kantindianer habe ich gefunden
Die Weisheit, dass der Zwangsneurotiker
Aus Königsberg solch Freiheit hat erfunden –
Immanuel, mein Denkerotiker:

Imperativ und kategorisch zwingt
Er mich zum homosexuellen Sklaven.
Mein Vater mit Verboten in mich dringt,
Beherrscht noch immer mich, den Sohn, den braven.

Den Eigensinn, die Neigungen gebrochen,
Ich beug mich nicht gern dem, was in mir steckt.
Viel lieber in den Elternarsch gekrochen
Mit Buckelstolz, so wie ein Schleimer schleckt.

Verachte mich nicht einmal selbst dafür.
Solch Freiheit schenkt’s Gehorsamkeitsgeschwür.


Die Freiheit des Gehorsamkeitsgeschwürs
Ist frei zu sein von jedem Widerspruch.
Ja nicht einmal den Ansatz des Gespürs
Erzeugt mein Geist für diesen Willensbruch.

Autoritäres Denken ist für mich
So angenehm, weil es so einfach ist.
Ein Wille macht mich stark und einheitlich,
Selbst wenn er nur von oben an mir frisst.

Den eignen Willen drücke ich den schwachen,
Gebrechlichen und ausgegrenzten Kleinen
Mit Lust hinein und kann genüsslich lachen,
Wenn die sich ebenfalls nun selbst verneinen.

Solch wahre Freiheit, kategorisch fühle,
Zwing andren auf die selbe Seelenmühle!


238.html
Abgeschickt von Bernd am 11 Dezember, 2002 um 08:31:34

Zenons wegen

Ferdinand geht durch den Wald soeben,
und er lauscht dem Rauschen eines Blattes,
und er sieht auf einmal etwas glattes
langes spitzes voellig ruhig schweben.

Ferdinand erkennt, da ruht ein Pfeil,
der ihn jedenfalls durchbohren wuerde
ohne eine unsichtbare Huerde,
die es hielte fest am Ort, das Teil.

Denn der Pfeil befindet sich an einer
ganz genau bestimmten Stelle immer,
und bewegt sich nie und niemals nimmer
von ihr weiter und an sonst auch keiner.

Ferdinand geht ploetzlich auf ein Licht:
Zenons wegen trifft der Pfeil ihn nicht.


246.html
Abgeschickt von Ella am 31 Dezember, 2002 um 22:44:54

tod im winter

der frühling schwingt sein blaues band zu kurz,
entsagt dem duft, der in den bäumen hängt.
reflex von satten sonnenfarben drängt
den sommer fort in himmeltiefem sturz.

die würze bunter blätter fegt ein sturm
davon und wirft den herbst aufs graue land.
gewaltig reißt des winters hohle hand
mit eises kraft an meinem lebensturm.

kraftlos flackert in der asche feuer,
augen frieren fest am rand der sphären,
frost zerbricht den müden lebenswillen.

ich verkauf’ mein leben viel zu teuer,
will dem tod nicht einen zoll gewähren,
ehe deine arme ängste stillen.


248.html
Mit dir (und R.M. Rilke)

Abgeschickt von Ella am 03 Januar, 2003 um 01:37:07

Mit dir (und R.M.Rilke)

Bis an alle Sterne will ich fassen,
könnte Ströme der Gezeiten hemmen.
Felsen und Gebirge würd’ ich stemmen,
nur mit dir kann ich mich leben lassen.

Über alle vollen Monde springen,
unter Sonnen Träumebäume pflanzen,
einen Reigen mit den Stürmen tanzen,
nur mit dir kann ich wie Harfen klingen.

Nur mit dir kann ich den Himmel sehen:
Götter und die Engel glatt besiegen,
selbst den Tod will ich galant verschmerzen.

Nur mit dir kann ich in Frieden gehen:
Wird mein Körper unter Gräsern liegen,
klopfst du noch in meinem wilden Herzen.


249.html
Der Fluch der Sirene II

Abgeschickt von ZaunköniG am 04 Januar, 2003 um 01:22:17

Erinnerung, Träume: Sie riechen wie Muscheln und Schwämme;
Zu steil und zu schwerfällig rollen sie auf aus den Tiefen
und Wellen auf Wellen, die sich aufeinander beriefen
Erheben sich sterblos und brechen am Ufer die Kämme.

Sie folgen dem Sang der Sirene. Wie lang sie auch schliefen;
Es gilt die Beschwörung, hypnotisch lockt sie ihre Stimme.
Es ist nicht die Absicht, daß ich mit den Fluten verschwimme;
Nicht abzuseh’n wie viele Stimmen sie umgekehrt riefen.

Ich find’ was ich brauche: Man braucht nicht zu viel um zu warten.
Die Bucht meine Bettstatt, Die Klippe ein harter Alkoven.
Die Flucht ist ein Fluch; was ich such’ ist Fiktion für die Fahrten.

Ihr Lied wird das meine, ich sing jede Nacht meine Strophen
von Ahnung und Abschied und ruf ihr noch nach: Bitte Wende!
Die Verse verhallen, leis echo’n die Felsen blos
Ende.


250.html
fulgura frango

Abgeschickt von Ulrike am 07 Januar, 2003 um 19:28:15

im langen Schatten eines Knorzpoeten
bin ich nicht mal ein Pilz an seinem Fuß
als Minuszeichen ritz ich, nicht als Plus
mich in die Rinde solcher Großkopfeten

und schleuder keine Blitze, die sie brechen
müssten mit dem Witz in ihren Kronen
in ihrem Eichenlaub werd’ ich nicht wohnen
aus meiner Kiebitzkrone keine brechen

dort wär’s nicht artgerecht zu tirilieren
ich wär ein Kuckuck, baut ich dort ein Nest
was bleibt, als weiter scheu zu dilettieren
so dass das vogeli nicht federn lässt?

oh, bei Euterpers Flöte, ich steh nicht auf dich
als Lerche macht man sich nur lächerlich.


257.html
Hier fängt es an …

Abgeschickt von Manfred Drewitz am 12 Januar, 2003 um 01:46:05

Gern würde ich auch von meinen zum Besten geben …

Hier fängt es an, rechts unten wird es enden!
Ein vierzehn Zeilen währendes Bankett,
so überschaubar kurz ist ein Sonett.
Serviert in knapp vier Gängen, ist verschwenden

der pure Luxus, gilt es, in behenden
und zartgefeilten Worten kein Korsett
um Anmut und Gehalt zu ziehn. Kokett
könnt man’s, wär’s Waffe, als Florett verwenden.

Sorgfältig ausgesuchte Silbenhäppchen,
aus denen eine Prise Wahnwitz blitzt,
bewahren es davor, als feiles Schnäppchen

am letzten Lyrikgrabbeltisch zu landen.
Den Dichter aber, der beim Köcheln schwitzt,
betrübt es, wenn Gourmands prosaisch stranden.


260.html
gedankenspiele?

Abgeschickt von Manfred Drewitz am 14 Januar, 2003 um 01:15:32

ist ab die kurse sind gefallen
der dax stagniert die baisse lockt die
verbannten ratten an und bockt sie
verbal zu rotten auf sie lallen

die alten braunen schlachtgesänge
erbrechen oberwasser und der
krepierte gröfaz geistert munter
geschminkt durch vorstandsgänge

akademien bilden neue
geführte führer aus die treue
fault wiederum im mark und zack

poliert man nicht gedankenspielend
klammheimlich auf den umsturz zielend
kanakenfressen geil der lack


262.html
Vier grausige Sonette

Abgeschickt von Rolf-Peter Wille am 19 Januar, 2003 um 18:25:58

Ein paradontitischer Gentleman

So lieblich schmeckt sein Odem; oh so frisch
Und locker hängt das Zahnfleisch ihm im Gaumen
Wie ein Kompott aus weich zerkochten Pflaumen –
Ein leichter Nachgeschmack von Blut und Fisch.

Die Backenzähnchen sitzen sämtlich lose,
Und seine Zunge sauget heimlich leis’ –
Ganz wie bei einem alten Mümmelgreis –
Belutscht sich nuckelnd die Paradontose.

Doch ist sein Gaumen auch ein blut’ger Schwamm,
So hindert es ihn nicht an dem Genuß
Des Angenehmen; und er darf nicht schwächeln.

Auch schmatzt er auf die Hand von der Madame
Noch recht galant gar manch verschmutzten Kuß.
Um seine Lippen spielt ein weiches Lächeln.

Die Glatze

Sie ringt verschwiegen, still, auf lichten Höhen.
Nicht mit dem Schwert, nein – mit dem edlen Glanze
Ihrer Erscheinung geht sie nun auf’s Ganze
Und will die schütt’ren Haare ihm verwehen.

Schon schimmert seine Kopfhaut rosa, nackt.
Schon ist sie durch. Jetzt bleckt sie ihre Zähne.
Pro forma zeigt sich noch manch dünne Strähne –
Darunter glänzt es fettig und gelackt.

Jedoch das soll ihn weiter nicht bewegen,
Denn im Konzerte oder auch im Zoo
Da ist sein steifer Hut ein wahrer Segen.

Nur aus dem Spiegel in dem stillen Klo
Da strahlt es ihm gar wunderlich entgegen –
Ein eleganter, zarter Babypo.

Fusspilz

Hier liegt er, fiebernd, fast bereits im Koma,
Und eine leise Wolke fauler Gase
Umwabert giftig launisch seine Nase
Mit einem süsslich käsigen Aroma.

Da plötzlich reckt sich seine Hand zum Fuss,
Durchzittert seine Zehen jähes Zucken.
Sich Kratzen schmeckt dem zähen Jucken
Wie eine pralle Frucht dem Tantalus.

Und dann mit scharfen Krallen wie von Katzen
Zerschabt er sich die Schuppen unter Johlen.
Er stolpert fort und jault noch wie im Wahn.

Und auch sein Maul, das schneidet dumme Fratzen.
Was uns verbleibt von den verschwitzten Sohlen,
Das ist zerrieb’ner Fungus – Parmesan.

Der Untote

Wo Egel gierig ekle Säfte saugen –
Sieh, welch ein süchtig klebriges Gewürm –
Verglüht im Tümpel giftiges Gestirn.
Es glimmt ein grauser Mond in Unkenaugen.

Und nachts am Sumpf im faulen Fieberschein,
In feuchten Grüften modernd klamm gefangen,
Von schimmelndem Geflechte sanft behangen,
Verweset leise käsiges Gebein.

Es muß um jenen Sumpf geduckt ein Wesen schleichen:
In dunklem Traume, der sich selbst verdaut,
Kann es sich dennoch niemals selbst entweichen.

Welch Unhold, dem es vor sich selber graut!
Und in dem Tümpel, in dem gräulich bleichen,
Da hab’ mein Spiegelbild ich nie erschaut.


264.html
Abgeschickt von Manfred Drewitz am 20 Januar, 2003 um 00:27:45


Missratener Versuch
einer Vertiefung der Materialien zu einer
Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs
(Robert Gernhardt augenzwinkernd zugeeignet)

Sie mögen Sonette? Sind Kenner? Goûtieren
den Klang und die Anmut, die Spannkraft des reinen
Gereimten, Gehalt, Dialektik, die Leinen
des langen Gedankens, der A offerieren,

dann, sechs Zeilen später, ein O annulieren,
ja, nichten kann? An meine Brust! All den kleinen
Verächtern die Pest ins Gebein! Ach, Sie weinen?
Sie wollen dies Machwerk partoût malträtieren?

Dann müssen Sie erstmal vor Ungeduld braten!
Sie haben gefälligst den Rest zu durchhetzen,
bevor Sie empört Ihre Mitstreiter suchen.

Beruhigen Sie sich. Ach, Sie wollen mir fluchen?
Ich spüre es doch, und Sie können sich setzen,
mir ist da ein wenig die Metrik missraten.


265.html
Abgeschickt von Manfred Drewitz am 20 Januar, 2003 um 00:30:24

Melancholia

Wohin mag mich die Schwermut wohl noch führen?
Welch helle Zukunft dunkelt sie mir ein?
Kann ich mir selbst Vergangenes verzeihn,
bevor der Krebs mich frisst? Denn im Erspüren

all dessen, was zu tun ist, bin ich Meister.
Indes zum Handeln hat es nie gereicht.
Als ob ein Großes ängstlich von mir weicht,
fühl ich mich stets verlassener, verwaister.

Und doch, schau ich mich um, da gab es Stunden,
die waren leicht, ich hielt mich für gefunden,
ach, nur der Mut zum Glück war schwer. Zu spät,

mein Freund, zu spät, die Routen sind vermessen,
die vielen kleinen Fluchten längst vergessen,
wie frisch gemähte Gräser rasch verweht.


266.html
Abgeschickt von Manfred Drewitz am 20 Januar, 2003 um 00:34:56

à l’Auberge »Aux Quat’ Saisons«

Die Jahreszeiten gleichen klugen Spinnen
und wissen, wann sie ihre feinen Netze
ins Traumgeäst der Seelen spannen. Hetze
ist ihnen fremd. Sie wissen, sie gewinnen

im Frühling immer. All den Leichtverliebten
singt Maienluft im Blut und macht sie taumeln.
Sie werden flugs in Sommernetzen baumeln.
Wer übrig bleibt, zählt zu den Ungesiebten.

Die müssen nun den grauen Herbst erleiden.
Ein Kessel Buntes hilft die Schmerzen meiden,
die in der Dämmerung um unvertäute,

von allem losgelöste Herzen werben.
Der Winter kommt. Sie sind allein. Sie sterben.
Die Jahreszeiten finden ihre Beute.


267.html
Sonett – IX – von Louise Labé

Abgeschickt von Manfred Drewitz am 20 Januar, 2003 um 15:42:35

– IX –

Kaum habe ich zu schlummern angefangen,
mich kaum ins weich gewünschte Bett gelegt,
erhofft, was meinen armen Geist bewegt,
nichts, als in deine Nähe zu gelangen.

Seit ich begreif, was meine Brust umspannen,
umseufzen kann und mich so sehr durchwebt,
belebt das Schluchzen, das ins Atmen strebt,
Gebilde, welche früher oft zerrannen.

Oh, süßer Schlaf, oh, glücklich meine Nächte!
Begehrte Sinnenruhe voller Stille,
behüte alle Abende mein Träumen.

Wenn nun, was meiner Liebe Ruhe brächte,
dir nicht genehm ist, soll dein stolzer Wille
sie so berührn, als würd sie nichts versäumen.


285.html
Mickiewicz-Nachdichtung

Abgeschickt von ZaunköniG am 09 Februar, 2003 um 11:01:40

II – Cisza morska

Na wysokości Tarkankut

Ju¿ wst±¿kê pawilonu wiatr zaledwie muśnie,
Cichymi gra piersiami rozjaśniona woda;
Jak marz±ca o szczêściu narzeczona m³oda
Zbudzi siê, aby westchn±æ, i wnet znowu uśnie.

¯agle, na kszta³t chor±gwi gdy wojnê skoñczono,
Drzemi± na masztach nagich; okrêt lekkim ruchem
Ko³ysa siê, jak gdyby przykuty ³añcuchem;
Majtek wytchn±³, podró¿ne rozśmia³o siê grono.

O morze! pośród twoich weso³ych ¿yj±tek
Jest polip, co śpi na dnie, gdy siê niebo chmurzy,
A na ciszê d³ugimi wywija ramiony.

O myśli! w twojej g³êbi jest hydra pami±tek,
Co śpi wpośród z³ych losów i namiêtnej burzy;
A gdy serce spokojne, zatapia w nim szpony.


II. Ruhige See

Von der Anhöhe bei Tarkankut

Die Fahne hängt vorm Werder, reglos, ohne Kraft;
Ein lichter Wellenschlag wie’n leichter Atemzug,
der sanfter Bräute Liebesträume mit sich trug,
der in der Brust kurz aufseufzt und erneut erschlafft.
Die Segel, kampferfahren hängen schwer am Schaft,
gerafft. Beinahe unbemerkt wiegt sich der Bug,
der rhythmisch an die schwere Ankerkette schlug,
und die Matrosen atmen auf; Es ist geschafft!
Die See: Dicht unter ihrer blanken Spiegelfläche
hausen Ungeheuer, grause Riesenkraken,
die kein Gewittersturm aus ihren Träumen reißt!
Die Hydra der Gedanken zeigt dir deine Schwäche.
Und glättet heut die See ihr reines, weites Laken;
Du weißt, das dieses Tier um jede Wunde weiß.


288.html
Es sind die Nächte

Abgeschickt von Manfred Drewitz am 10 Februar, 2003 um 23:48:43

Es sind die Nächte, die mich schauern lassen,
die Stunden nachdenklicher Einsamkeit.
Steht selbst die Stadt fast still, verrinnt die Zeit
behutsamer, als könnte sie nicht fassen,

daß sonst, im Licht!, auf Straßen, Plätzen, Gassen,
die Zeiten rauher sind. Bei Tage speit,
denn Leid ist Geld, ein ungeheurer Strom den Streit
der ganzen Welt in unstillbare Kassen.

Droht wirklich Krieg? Er scheint bewusst befohlen.
Kalkülgesteuert, macht er kalt zur Beute,
was seinen heißen Planern in die Optik passt.

Und ich des nachts am Fenster. Unverhohlen
taxiert der Tod, als ob er wiederkäute,
wieviel Verkohlte wohl sein weiter Mantel fasst.


292.html
Abgeschickt von Frank Walter am 15 Februar, 2003 um 23:10:34

Antwort auf: Es sind die Nächte von Manfred Drewitz am 10 Februar, 2003 um 23:48:43

Hallo Herr Drewitz,

Sie hätten Bluessänger werden sollen! Den mit »sonst«, »Strom«, »droht«, »Optik«, »Tod«, »Verkohlte« und »wohl« quer durch das Gedicht gekreuzte Klageruf »oh« empfinde ich als sehr fein. Dies betrifft aber nur die klangliche Form (alles andere setze ich bei einem guten Sonett ohnehin voraus), denn der Inhalt (und das ist immer noch das Wichtigste) widerspricht ein wenig meinem Empfinden. Angesichts der (unbegreiflichen) Wirklichkeit sind nämlich die eigenen Gedanken über die (äußere) Wirklichkeit und die damit verbundenen Ängste nur Pippifax. Ich selber kann die (äußere) Welt, ohne dabei zynisch zu denken, nur hinnehmen. Eben dies hat mir an ihrer Melancholia so gut gefallen, denn in diesem Sonett sind keine moralinsauren Querverbindungen zu einer missratenen Gesellschaft vorhanden. Sie sprechen von sich selber und somit steht ihr eigenes Gefühl im Vordergrund und ist nacherlebbar, man spürt sofort, was Sie meinen. Die Gedanken und Ängste in der Nacht, die Sie in der ersten Strophe von »Es sind die Nächte« ansprechen, kenne ich sehr genau. Ich empfinde sie selber aber nicht mehr als Bedrohung, sondern als den wertvollsten Schatz, den ich besitze. Hinter diesen Ängsten steckt die Wahrheit, die ich verstehen will. In Ihrer »Melancholia« haben sie davon mehr enthüllt als in den restlichen Strophen des anderen Sonetts.

Sind die »Macher« dieser Seiten nicht uninteressant?

Gruß, Frank


302.html
Der verkannte Poet

Abgeschickt von ZaunköniG am 26 Februar, 2003 um 17:19:51

Versteinert steht er vor dem Buchregal;
»Soll das ein Buch sein? Nur aus Schall und Rauch?
Von Dichtung kennt der nicht den leisen Hauch!«
Die Galle schäumt ihm über, »schlecht und schal«

und faustdick ballt sich Wut in seinem Bauch.
Besudelt scheint die Kunst, der reine Gral.
Was not tut ist Kritik: Ein Tribunal!
»Was der für’n Mist verbockt, das kann ich auch!«

Das stimmt soweit, nur leider auch nicht besser;
Er giftet gleich drauf los als Humorist,
zerreist den Feind als Spätavantgardist.

In seiner Stimme bricht sich scharf das Messer.
Satire nennt er, was Verwünschung ist,
doch bleibt im Recht: Er schreibt genau so’n Mist.


304.html
Abgeschickt von Frank Walter am 02 Maerz, 2003 um 20:13:10

Goethe

Was man im Ausland über Goethe denkt,
Die Klugen, die in Ungewissheit schweigen?
Ich möchte gerne wissen, wer ihn kränkt
Ganz insgeheim, na ohne es zu zeigen!

Warum nimmt man ihn nicht beim Wort, dem starken,
Bezichtigt ihn nicht, was er wirklich ist?
Warum versucht man nicht das Wörterquaken
Zu sehn und wo bei ihm versteckt die List?

Weshalb ist alles, was er sagt noch heilig?
Wieso ragt er als Monument empor?
Warum flieht jeder, selbst der Prof, ganz eilig
Vor Stellungnahme weg, die man beschwor?

Ich glaub, es ist sein Wissen von dem Gleichnis,
Das stärker an uns frisst, als das Ereignis.


310.html
Selbstgespräch

Abgeschickt von Bernd Schäfer am 17 Maerz, 2003 um 01:18:38

Du Sonettist gib acht, dir drohn Gefahren!
Kann sein, die Form verkommt dir zur Schablone!
Und unbekümmert tönst du: »Mir Melone
Bin doch bisher famos damit gefahren!«

Doch was, sag, du vergriffest dich im Tone?
»Dann heißt’s Geduld und Contenance zu wahren
Erkennt der Leser erst den Sinn, den Wahren
Erschallt sein Lob, und Ruhm ward mir zum Lohne!«

So hör, nun kommt’s zum letzten Argumente:
Die Form fasst nur gefilterte Gefühle
Neigt zum Reflexe, starrem Monumente

Und die Verschmelzung von des Geistes Kühle
Mit Leidenschaft gelingt nur dem Talente!?
»Erbitten wir, dass es vom Himmel fiele!«



311.html
Antwort auf Bernd Schäfers »Selbstgespräch«

Abgeschickt von Frank Walter am 17 Maerz, 2003 um 14:44:56

Natur und Kunst

Natur und Kunst, sie fliehen sich halt doch.
Da kann der Goethe sagen, was er will.
Wenn ich mich in die Innenwelt verkroch,
Dann blieb sehr oft das Rationale still.

Und auch die Form, in die ich gießen wollte,
Ins streng Begrenzte, regelhaft Bemessne,
Verscheuchte, was im Tiefsten in mir grollte,
Ergriff und schöpfte nicht das längst Vergessne.

Erst als ich sah, dass die Erinnerung
Stets nur im Gleichnis einzufangen ist,
Begriff ich, dass es Form und Sicherung,
Der Rahmen ist, der Gleichnishaftes misst.

Metaphern sind es, die Natur erwecken,
Die ungeformt noch im Moralsumpf stecken.


316.html
Rilkes verschollenes Sonett an Orpheus wiederentdeckt!

Abgeschickt von Frank Walter am 21 Maerz, 2003 um 02:51:29

München Rainer Maria Rilke

Schaut nur in den Winkeln
Das Bierrausche pinkeln,
Wo prasselnd das Wasser
Den Boden macht nasser.

Der Mann dort, wie seicht er
Und fühlt sich gleich leichter.
Nur diese Erfahrung
Ist ihm Offenbarung.

Zu Anfang noch Schämen
Entspannt er im Strömen.
Den Reißverschluss schließt er,
Die nächste Maß gießt er

Durch innere Welten
In Wiesenbierzelten.


318.html
Frühling

Abgeschickt von Ulrike am 27 Maerz, 2003 um 21:16:23

Ein Letztes noch, der Jahreszeit geschuldet,
die grünt so grün, treibt Winterling heraus,
der dunkle Nächte tiefgefrorn erduldet,
macht Modrigem so sonnengelb Kehraus.

Der Blues der fahlen Krume wird belichtet,
zum Vorschein kommt der Scilla blaues Band
und backgroundmäßig girliegroup verdichtet
nickt »Schubidu« an Gärtners Wegesrand

die Weiße Garde, tanzt in Formation
Turnier und bildet cluster inhärent,
des Lenzens Sturm und Drang so eingescannt
lässt Säfte steigen, doch das weißt du schon.

Seit langem bin ich dir total verfallen
in dies und jenem, aber nicht in allem.


330.html
Abgeschickt von Gabriella Wollenhaupt am 27 April, 2003 um 13:43:14

Dich muss ich jagen!

Ich reite gerne stundenlang
So selbstvergessen an mein Ziel.
Ich bin so wild und merk nicht viel
Von Engelszungen und Gesang.

Doch meine Schreie klingen frei
Sind ohne Scham und Angstgefühl
Wenn ich in deinen Augen wühl
Geht manches Mal ein Blick entzwei.

Einen wie dich, den knips ich nicht
Von jedem früchtelahmen Strauch!
Dich muss ich jagen! Und zerbricht

Die Rüstung dann beim Liebesbrauch
Leck ich dir Küsse aufs Gesicht,
Und blas dir Lindrung auf den Bauch!


331.html
Eros-Sonettenkranz

Abgeschickt von Gabriella Wollenhaupt am 27 April, 2003 um 13:48:42

Bettine von Arnim – Eros

Im Bett der Rose lag er eingeschlossen,
Im Wechselschimmer ihrer zarten Seiten,
Die taugebrochnen Strahlen schmeichelnd gleiten
Hinein zu ihm, von Geisterhauch umflossen.

Mich dünkt, in Schlummer waren hingegossen
Die reinen Glieder, durch des Dufts Verbreiten
Und durch der Biene Summen, die zuzeiten
Vorüberstreift an zitternden Geschossen.

Doch da beginnt mit einemmal zu schwellen
Der Blume Kelch! Ins Freie nun gehoben,
Erkenn ich ihn im Tagesglanz, dem hellen.

Es ist mein Auge vor ihm zugesunken,
Der mich so seltsam mit dem Blick umwoben,
In seinem Lichte lieg ich traume-trunken.


Eros (1)
Im Bett der Rose lag er eingeschlossen,
Fast nicht zu sehen unter soviel Lidern,
Im Widerspruch nicht zu zergliedern.
Der Schutz der Nacht ist fort geflossen.

Wie kommt ein Gott in meine Kissen?
Hat ihn die Lust etwa dorthin gebracht?
Und ich hab’ einfach da so mitgemacht?
Ich frag ihn jetzt, ich muss es wissen.

Bellezzo, sag ich, leih mir mal dein Ohr:
Kann denn ein Gott wie du mir Lust bereiten?
Hab ich geöffnet dir mein Himmelstor?

Ich will ja kein Gerücht verbreiten,
Sagt Eros, lacht, und zeigt die Brust hervor
Im Wechselschimmer ihrer zarten Seiten.


Eros (2)
Im Wechselschimmer ihrer zarten Seiten
Tritt Aphrodite an das Bett der Rosen:
Verdammter Lüstling, wo sind deine Hosen?
Lässt du dich nur von Wollust leiten?

Bellezzo lächelt seine Mutter eitel an,
Die Kohlenaugen schleudern Funkenglut:
Ich kann halt lieben nur – und das mit Mut
Im Götterreich ist lange Weile wieder dran.

Die Göttin mustert mich. Will mich verstecken.
Lässt ihren Blick streng über meinen Körper reiten.
Versuche hektisch, mich mit Rosen zu bedecken.

Gott Helios spannt an – will mich dazu verleiten
Eros zu küssen – damit in seine exquisiten Ecken
Die taugebroch’nen Strahlen schmeichelnd gleiten.


Eros (3)
Die taugebroch’nen Strahlen schmeichelnd gleiten
In jede feine Falte seiner bronzefarb’nen Haut.
Auf der hat sich jetzt süße Hitze angestaut
Die Göttin ärgert sich und wird sich vorbereiten,

Den schönen Sohn mir aus dem Bett zu scheuchen.
Nur weil sie mir kein geiles Spielzeug gönnen will,
Mir Erdenfrau! Ich werde wütend und bin nicht mehr still
Lass manches Schimpfwort meinem Mund entfleuchen.

Der Sonnengott lässt lachend seine Pfeile prallen.
Jetzt peinigt mich die Göttin auch noch mit Geschossen!
Das Sahneteil im Lotterbett beginnt debil zu lallen.

Du bist ganz ruhig!, sag ich ihm ziemlich unverdrossen.
Tret hin zum Rosenbett und lass mich einfach fallen
Hinein zu ihm, von Geisterhauch umflossen.

Eros (4)
Hinein zu ihm, von Geisterhauch umflossen
Lieg ich jetzt steif an seiner Gottesbrust.
Er ist zwar schön, doch hab ich keine Lust
Auf ihn. Hab oft genug so frisches Fleisch genossen,

Das noch im Laden konnte meine Gunst sich rauben.
Doch immer schwerer wurde in der Einkaufstüte
Dass später nicht einmal der Wunsch mehr in mir glühte
Ihm lustvoll die Verpackungen vom Leib zu klauben.

Ich heb das Haupt und blicke auf die eitle Aphrodite
Und frage mich, was in der Nacht, die ja verflossen
Wirklich geschah. Er wär kein Mann, wenn er’s verriete.

Ich weiß nur noch, dass ich naiv und unverdrossen
Ihm Obdach gab, weil seine Gelder für die Miete,
Mich dünkt, in Schlummer waren hingegossen.


Eros (5)
Mich dünkt, in Schlummer waren hingegossen
Die müden Glieder, seine und auch meine.
Wir schliefen nur, und Liebe gab es keine
Da uns’re Seelen waren weggeflossen.

Doch neben einem echten Gott zu liegen
Besonders, wenn er schweigend bleibt
Und sich am Morgen nett die Augen reibt
Ist einfach schön und schwer zu kriegen.

»Hör zu, du schwarzgelockter Liebesgott,
Ich werd’ dich jetzt hinausgeleiten
In diese Erdenwelt voll Hohn und Spott,

Dort, wo ein Sturm dich kann begleiten.
Du liegst noch flach? Dann heb jetzt flott
Die reinen Glieder, durch des Dufts Verbreiten.«


Eros (6)
Die reinen Glieder, durch des Dufts Verbreiten,
Sie liegen matt in meinen weichen Kissen.
Die Rosenblätter knicken hin in klarem Wissen,
Dass ihnen Eros wird den Tod bereiten.

Ich will den Gott jetzt aus der Hütte kriegen,
Trotz seiner präsentablen Männlichkeit.
Ich rechne nicht mehr mit viel Widerstreit.
Doch er bleibt leider schwer im Bette liegen.

Ich muss jetzt doch mit seiner Mutter reden,
Sie muss den trägen Sohn drauf vorbereiten:
Denn mit ’nem Liebesgott kann ich nicht leben.

Hab keine Lust, nur Süße zu verbreiten!
Die Göttin stutzt, will ihre Stimme grell erheben:
»Und durch der Biene Summen, die zuzeiten..?«


Eros (7)
»Und durch der Biene Summen, die zuzeiten …?«
Doch Aphrodite fehlen immer noch die Worte,
Bei denen auch manch Dichter sich am Orte
vergeblich mühte. Es sei denn, er ließ’ sich verleiten

Die fehlende Idee durch Pfusch perfekt zu machen,
Was nicht besonders göttlich scheint.
Die strengen Musen nämlich sind vereint
Um über Ebenmaß und Form zu wachen.

Die Biene tändelt trunken durch den Flieder.
Sie ist – warum? – zum Stich entschlossen
Und schändet Liebesgottes schöne Glieder.

Der Gottesmutter Miene ist total verdrossen:
Sie killt den dreisten Flieger, bevor er wieder
Vorüberstreift an zitternden Geschossen.


Eros (8)
Vorüberstreift an zitternden Geschossen
Mit Eleganz und harschem Peitschenknall:
Es ist Gott Ares auf der Fahrt durchs Weltenall
Er ist der Vater und er hat beschlossen

Den Widerspruch in seinem Sohn zu kitten,
Das Honigblut mit strengem Mut zu mischen,
Und die Kritiken vom Olymp so zu verwischen,
Dass Götter nicht mehr um den Eros stritten,

Der immer wieder heiter die Gesetze bricht.
Eros steht stramm, will Ares nicht verprellen,
Der greift nach meiner Hand, und ich merk nicht,

Dass Kriegsgotts Miene beginnt aufzuhellen,
Und seine Lippen kosen zärtlich mein Gesicht
Doch da beginnt mit einemmal zu schwellen.


Eros (9)
Doch da beginnt mit einemmal zu schwellen
schöne Musik aus fernen, lyrischen Gefilden
Die Kriegerrüstung bricht entzwei – es bilden
Sich nun Wolkenschäfchen über klaren Quellen.

Ich seh in Ares’ stahlverzinkte, blaue Augen,
Die herrisch, grausam und verdorben denken
Und fange an, mich tief in ihnen zu versenken
Und wie ein Wurm in seine Seele mich zu saugen.

Er lässt es zu. Und Eros fängt laut an zu lachen
Und schmäht den Vater. Ich fang an zu loben
Des Kriegsgotts Fähigkeit sich sanft zu machen.

Mein Körper ist mit seinem jetzt verwoben
Der Himmel tut sich auf – ich hör erwachen
Der Blume Kelch! Ins Freie nun gehoben.


Eros (10)
Der Blume Kelch! Ins Freie nun gehoben
Mein Inneres bricht auf durch warmen Regen
Entfaltet sich und kann sich nun bewegen
Und wird schon in die Ewigkeit verschoben,

Im Takt der überschweren Wolkengüsse.
Der kleine Eros schaut den Vater an
Begreift, dass dieser doch mehr kann
Als nur der Welten übervoller Flüsse

Durch Ruderschlag den Takt zu rauben.
Er labt sich an den wilden schönen Stellen
Wie eine Lerche beim Sichhöherschrauben.

Ich lasse meine Zunge heftig tiefer schnellen
Und heb den Blick und kann es noch nicht glauben:
Erkenn ich ihn im Tagesglanz, dem hellen!


Eros (11)
Erkenn ich ihn im Tagesglanz, dem hellen,
Den safrangelben Berg der Berge in der Sonne
Als ob sich Gold mit Heiterkeit versponne,
Und sich die Wollust in den schönen Quellen

Scharf widerspiegle, um mein Auge zu erquicken.
Jetzt steht der Eros bei der Mutter – nichts am Leibe
Und blickt empört, was ich mit seinem Vater treibe
Es stört mich nicht, denn ich will Ares doch nur ERFREUEN.

Er nimmt die Peitsche, ich benutz die Sporen.
Das Ziel vom Berg hat uns jetzt zugewunken!
Wir sind zu schnell und haben Takt verloren,

Der Wind in meinem Haar schlägt Funken
Er greift die Zügel, stoppt uns unverfroren:
Es ist mein Auge vor ihm zugesunken.


Eros (12)
Es ist mein Auge vor ihm zugesunken.
Und die Gedanken sind wie Spinneweben
So klebrig-zart und voller Zappelleben,
Das einstmals munter saß in den Spelunken,

In denen Menschenkinder ihre Zeit verschwenden.
Die einen saufen, andere streiten, spielen Karten
Noch andere wollen Liebe, doch sie alle warten
Sich jenem seltnen Augenblicke zuzuwenden,

An dem ein starker Gott sie in die Höhe hebt.
Auch ich fühl mich ins Blaue jetzt geschoben
Von Ares, der mit mir in unbegrenzte Reiche schwebt.

Ich lass es zu. Will Spielball sein, der hochgehoben
Wird und dennoch weiß, dass jener weiterstrebt
Der mich so seltsam mit dem Blick umwoben.


Eros (13)
Der mich so seltsam mit dem Blick umwoben
Und seine Schwermut mich zu trinken zwang.
So bittres Zeug! Doch wild und stark. Es drang
In meinen Mund und ich bin zielvoll losgestoben

Nicht zum Olymp. Ich fand die lyrischen Gefilde,
Die mehr Erfüllung bringen als die satten, übervollen
Götterwiesen, auf denen dumme Menschen tollen.
Ich küsse Ares zart und setz ihn dann ins Bilde,

Dass ich muss fort. Will nicht mehr länger bleiben
Bei diesen dummen Götterspielen. Und tief versunken
Entdecke ich dein Zeichen hinter blinden Scheiben.

Die Zeit ist reif! Noch schnell den Göttern zugewunken.
Ich nehm die Rosen und beginn das Glas zu reiben:
In seinem Lichte lieg ich traume-trunken.


Eros (14)
In seinem Lichte lieg ich traume-trunken.
Er ist kein Gott voll Schönheit und Esprit
Die Welt, in der er lebt, ist keine Phantasie
Mit grellen Wesen, Geistern und auch Unken

Und diesen weißen Pferden mit dem Solohorn.
Ja, sterblich zwar, doch warm und weich
Nicht göttlich sein, sondern im Leben reich,
Nur für die Liebe, nicht die Macht geborn.

Ich ziehe seinen Kopf an meinen Busen:
Die Augen sind in tiefer Ruh geschlossen
Ich küsse seine Lider und beschwör die Musen

Dass sie ihn wecken, meinen Bettgenossen.
Denn ich will endlich mit ihm schmusen:
Im Bett der Rose lag er eingeschlossen.


Meistersonett: Bettine von Arnim
Eros
Im Bett der Rose lag er eingeschlossen,
Im Wechselschimmer ihrer zarten Seiten,
Die taugebrochnen Strahlen schmeichelnd gleiten
Hinein zu ihm, von Geisterhauch umflossen.

Mich dünkt, in Schlummer waren hingegossen
Die reinen Glieder, durch des Dufts Verbreiten
Und durch der Biene Summen, die zuzeiten
Vorüberstreift an zitternden Geschossen.

Doch da beginnt mit einemmal zu schwellen
Der Blume Kelch! Ins Freie nun gehoben,
Erkenn ich ihn im Tagesglanz, dem hellen.

Es ist mein Auge vor ihm zugesunken,
Der mich so seltsam mit dem Blick umwoben,
In seinem Lichte lieg ich traume-trunken.


332.html
Abgeschickt von Gabriella Wollenhaupt am 27 April, 2003 um 13:50:54

picknick im bett

die wilden spiele haben uns geschafft
jetzt sind die glieder müd geliebt
du schaust mich an und möchtest saft
von trauben, möglichst durchgesiebt.

du sagst, wie kirschen seien meine lippen:
ganz frisch und immer wieder neu im rot
und in der nähe meiner zarten rippen
gäb’s äpfel, wie sie gott im paradies verbot.

du sagst, dass ich den wilden zauber hätte
von nelkenbäumen, die in südseeparadiesen
gleich neben orchideen um die sonne buhlen.

mein süßer eros! liegst so mattgeliebt im rosenbette!
ich lass den roten wein in deinen nabel fließen
und trink ihn aus der schönsten aller kuhlen.


337.html
Abgeschickt von Gabriella Wollenhaupt am 30 April, 2003 um 09:33:39

18. Sonett von Shakespeare

Ich gleiche keinem Sommertag
Bin nicht so mild wie Honigsaum
Und meine Blüten knospen kaum
Weil warmen Wind ich nicht ertrag.

Mein Sommer ist ein Ränkespiel
Und meine Schönheit trifft ins Hirn
Mein Mal des Stolzes auf der Stirn
Ist jedem dumpfen Mann zuviel.

Die harten Seelen klopf ich weich
Mit lustvolldüstren Spinnenweben
Ich bin nicht zart und dennoch reich

An zärtlich-tiefen Liebesleben.
Ich atme mit dem Winde gleich:
Und werde mich in ihm erheben!


339.html
Sonett Nr. 10

Abgeschickt von M. Benedikt am 07 Mai, 2003 um 00:12:19

Ein flücht’ger Blick, da ist’s um mich geschehen.
So sonderbar ist all’s in eins gefügt,
nichts richtig, falsch, nichts redet Wahr’s, nichts lügt.
Der Augenblick des Blicks dürft’ nie vergehen.

Und all’s, was einst geklungen, ist verstummt,
und das, was nie gehört, ist mir erklungen,
und alles, was mir klingt nun, ist gelungen;
der reinen Freude Melodie sie summt.

Und alles, was an Falschen mich umgeben,
und alles, was an Nicht’gem ich bereut’,
und alles scheinbar Wicht’ge, das erfreut’,

Ist nichts, was mich mit Herzenslust betreut,
denn falsches Wicht’ges, Nicht’ges, nur gebeut
mir allenfalls ganz ohne es zu leben.


M. Benedikt


341.html
Liaison pas dangereuse

Abgeschickt von frauausglas am 13 Mai, 2003 um 16:43:19

(angeregt von Theodor Fontanes Sonett: Einem Freunde ins Stammbuch)

Als noch in mir naiver Glaube lebte
Du wolltest mich so wie ich dich gewollt
Und glaubte, deine Seele sei voll Gold
Die Liaison pas dangereuse anstrebte

Als ich noch dachte, Worte müssten
Mehr sein als aufgesetzte Attitüde,
Als großes Bla – da wurd’st du müde:
mein Schiff zerbrach an deinen Küsten.

War ausgeknockt und konnte es nicht fassen
Zerwühlte mir das Hirn an deinem Strand.
Warum hast du mich fortgelassen?

Jetzt renn ich nicht mehr gegen eine Wand.
Die Liaison war schön, sie wird verblassen.
Ich spür ihn in mir keimen – den Verstand.


344.html
Musenhaft

Abgeschickt von Ulrike am 19 Mai, 2003 um 18:58:12

Paargeträumter kecker
Glaube an die Kraft
solch’ Kusses Zwangsvollstrecker
zwingt selbst sich in die Haft.

In mäusegrauen Zellen
vergittert sich der siebte,
so flüchtig die Geliebte
im Land der virtuellen

Olympe und Parnasse.
Im schwachen Licht der blasse
Poet, er scheitert kläglich,
doch’s Leben wär’ alltäglich,

würd je er von ihr lassen,
er würd sich selber hassen.


346.html
Abgeschickt von Rolf-Peter Wille am 22 Mai, 2003 um 08:42:29

Maskenzwang

Und in der U-Bahn herrscht der Maskenzwang.
Ei, welch ein steifer Fasching ohne Schwatzen!
Sie stehen stumm. Es stiert aus bleichen Fratzen
manch stumpfes Augenpaar, erstarrt und bang.

Nur dumpfe Zungen murmeln von Verlusten,
von Fieberbränden; und in den defekten,
zerplatzten Lungen kratzen die Insekten.
Es sticht, erstickt am trüben Schleim, das Husten.

Und in der Klinik wandeln weiße Kittel
wie müde Schemen, Wesen wohl vom Mars.
Da speit es, Rasseln dann, ein hartes Röcheln.

Und lautlos schleicht, mit einem bösen Lächeln
der Sieger durch die öden Gänge: SARS.
Fern hört man Schreie, draußen, vor dem Spittel.

Rolf-Peter Wille (Taipei)


348.html
Sonnet 18 (x-rated )

Abgeschickt von Ulrike am 27 Mai, 2003 um 18:52:02

Shall I compare you to a troubadour,
an errant minstrel, merry vagabond,
who changes tunes with changing scenes on tour;
high-flying, you will jet your seeds beyond

horizons to besiege the ladies’ caverns,
undutifully, you don’t mince your words,
your goal to strike their strings at courts and taverns
to make them feast with you and loosen girds.

Comparisons cannot fulfil desire,
can just recall, reverberate your lines,
can only pacify the knights when they’re in dire
straits and hence deplore such strict confines.

But thy confines I do combat with glee
by means of content which gives life to thee.


366.html
So nett

Abgeschickt von dirk kranefuss am 12 August, 2003 um 09:26:10

Das ist ja so nett!

Schlimm, das ist wahr und wirklich, ist das Sonett,
es muß sich dehnen auf elf lange Silben.
Für Reime ist es so sperrig wie ein Brett,
da bilden sich im Kleinhirn rote Milben

Viel lieber würd ich mit neun Silben reimen,
da könnte ich knackiger formulieren.
Was ich auch reimte, würd ich meinen.
So muß ich mich mit elf Unsilben zieren.

Kurze und gute Sätze werden so gedehnt,
und alles scheint dann teigig zu verlaufen.
Die Art Gedicht hab ich nicht herbeigesehnt.

Doch wie gern und lustvoll sich der alte Goethe
auf diese italienische Form stürzte,
auch er hatte damit so seine Nöte.

Dirk Kranefuss


367.html
Palmares

Abgeschickt von Ulrike am 18 August, 2003 um 21:22:53

I won’t deny your merits, after all
I simply state that your endeavours made
you what you are, one day one pays the toll
for singularity, admits I’m late

and lags behind one’s possibilities
and starts to compromise, on stage on ice
one throws the dice at those facilities
that promise EGO and its OWN a prize.

You didn’t falter. Profitable lures
in front of nostrils and an open mouth
did spread their odour and uncouth,
you snapped them up, they’re yours, they’re yous!

But IF you have a closer look at books,
you’re definitely off the hooks.


380.html
geferkeltes sonettchen

Abgeschickt von Grillsenpick am 19 September, 2003 um 23:56:06

Komm aus dem Dorf, hinaus ins Grün!
Bevor wir ganz verjähren,
soll einmal noch dein Leib erglühn
und meine Lust ernähren.

Wo Thymian und Quendel blühn,
beginnen die Affären
und enden erst, wenn wir versprühn
auf moosigen Altären.

Von deinen Schenkeln träuft Parfüm,
ich wittere den Bären
und stoß die Lanze ungestüm

Ins süße Rot. – Entleeren.
Du bebst. Streichst über das Kostüm.
Und bittest, heimzukehren.


390.html
Ein anständiges Sonett (Ulla Hahn)

Abgeschickt von Ulrike am 29 September, 2003 um 18:46:28

Ich häng an ihrem Kirschmund wie gebannt
als Piercing ihrer Künste sozusagen
Ich löchers Lippenrot charmant; charmant
was zu erwähnen, Sie sich da versagen

wie unter Ihrer Hand Sie ventilieren
dass sie in Ihnen wieselt, die Erotik
verdeckt das Wilde, Weiche gar nicht zotig
kommt nicht daher auf allen Vieren

Es stellt sich auf die Hinterbeine, reizt
nicht mit four-letter-words die müden Augen
mit Bleck & Decker Worten lieblos beizt

so manch Kollege oder Möchtegern
der nicht für Lippenoffenheit wird taugen
und außerdem steh ich wie sie auf herrn


421.html
Abgeschickt von Jeremias Freidank am 24 Oktober, 2003 um 21:20:47

BERUFSGENOSSEN

Als Dichter, der von sich durchdrungen ist,
Von eigener Bedeutung übermannt,
Den Büchner-Preis verlangend, doch verkannt,
Ist er der Mann, der oft gezwungen ist
Vom Bogen, den die Menschheit überspannt,
Ein Lied zu singen, das gelungen ist.
Auch wenn er eine nur der Zungen ist,
Und mancher Sänger schon vom Hof verbannt.

Ein anderer an seiner Säule lehnt.
Egal: ihm fehlt die Leiter und die Kraft.
Obschon er seufzt und sich nach oben sehnt.
Ein junges Haupt, beschwert von Utopien,
Von Geist, Geschmack & Urteil – Leidenschaft.
Allein wie weiterleben ohne Spleen?


840.html
Abgeschickt von Jeremias Freidank am 15 April, 2004 um 22:20:52

ABGESANG

Herrn mit Hüten ist zum Weinen.
Kalter Wind fährt in die Fahnen.
Auch lässt er die Blätter mahnen.
Hunde flattern an den Leinen.

Melancholiker erscheinen,
Lautlos ziehend ihre Bahnen.
Viele zieht es zu den Ahnen,
Mit Saturn und sich im Reinen.

Der November macht sich ehrlich.
Dicke Mäntel dominieren.
Damen werden ungefährlich.

Heiratsschwindler profitieren.
Tee mit Rum wird unentbehrlich.
Und ein Dichter geht spazieren.


435.html
Abgeschickt von Frank Walter am 05 November, 2003 um 13:23:44

Platos Geheimnis: Das Tabu

In dunklen Tiefen graben, Höhlen lichten,
Zurückzukehren zu den längst Entsagten,
Gefangene im Fackelleuchten sichten,
Die dort im Eis des Kettenstahls Verzagten.

Ihr Fleisch und Blut, nur letzte Wärme fassen.
Aus Mitleid ihnen nichts von Oben sagen
Den Blinden, die von uns zurückgelassen,
In deren Augen nicht zu blicken wagen.

Die Abgeschiednen, aus dem Sein Gestrichnen,
Man lässt sie friedlich lieber ungeborgen.
Die aus der Sinnenwelt des Tags Entwichnen,
Im Unlicht kann man sie von sich entsorgen.

Mit Tränenwut stand ich vor dem Verzicht,
Dass nicht sein darf, woran das Wort gebricht!


436.html
Abgeschickt von Frank Walter am 05 November, 2003 um 14:04:33

Mienenspiel

Es gibt ein Flüstern, das von uns nicht mehr
(Ist dies ein blinder Fleck sogar von Dichtern?)
Bemerkt zu werden scheint, doch höre, wer
Genauer blickt, der nimmt in den Gesichtern

Das Flüstern ohne Worte wahr: Die Mienen!
Es spielt mit uns, nicht wir, man merkt es kaum,
Es sticht, es reizt, verbindet uns auf Schienen,
Die unterirdisch sind im Seelenraum.

In dunklen Schächten geht ein Tierehuschen!
Der Luchs, die Eule, Löwe, Fuchs, der Hund,
Vielleicht ein Pferde-, Vögel-, Wölfekuschen,
Und ihre Sprache redet ohne Mund.

Instinkt, Intuition, Gefühl, es reichen,
Die Worte nicht mehr aus, wenn Tiere schleichen.


832.html
Abgeschickt von Frank Walter am 23 Maerz, 2004 um 14:51:27

Nachdichtung Sonett IX von Louise Labé

Sogleich, wenn ich im weichen Bett mich wende,
Der Antwort, der ersehnten, nachzuspinnen,
Zieht fort mein trauriges Gemüt von hinnen,
Versammelt sich in dir, unkeusch mich sende.

Seitdem ich Innres, Zartestes verschwende,
Find ich das Glück, so sehr erhofft beim Sinnen,
Um welches ich so sehr musst schreiend minnen,
Dass mir die Seufzer teilten innre Wände.

Oh süßer Dämmer, glücklich machst du, Nacht,
So freundlich deine Antwort, voll Entspannen,
Treibst mir mein Blut die ganze Nacht voran.

Auch wenn’s mir armen Seele nie gebracht,
Mich in der echten Liebe zu verrennen,
Dann hat der Lügentraum es doch getan.


834.html
Abgeschickt von Frank Walter am 24 Maerz, 2004 um 19:25:48

Das Gleichnis

Die Kraft der Dichtung liegt versteckt im Gleichnis.
Und Gleichnis stammt von »leicht« und leicht von Licht.
Gelichtet wird mit Geistesblitz Ereignis,
Das uns von außen in die Seele bricht.

Zwei Welten sind in uns und werfen Schatten.
Die eine von der andern stets verdunkelt.
Doch Gleichnisfeuer ist ein Wortbestatten,
In dem uns Bilderwelt entgegenfunkelt.

Der Logos ist der Brennstoff für das Feuer.
Nur wenn man nachlegt, bleibt die Welt belichtet.
Das Gleichnislicht bricht in dir das Gemäuer,
Das zwischen beiden Welten aufgeschichtet.

Und eine Welt entsteht, die andrer gleicht.
Das Licht, nicht nur im Gleichnis, stammt von leicht.


835.html
Abgeschickt von Frank Walter am 24 Maerz, 2004 um 19:27:36

Das Selbst

Das Selbstvertrauen schwindet durch den Glauben,
Denn nur wer liebt, hat echtes Selbstvertrauen.
Die Kräfte, die uns unsre Stärke rauben,
Sind die, zu denen wir noch aufwärts schauen.

So kommt ein Glaube an die höchsten Werte
Der Selbstvernichtung gleich von innren Sinnen,
Doch wer sich einst mit tiefstem Wert beschwerte,
Der findet stärkste Kraft von selbst nun innen.

Misstrau Autoritäten, äußren Göttern,
Dann findest du dein Selbst, es ist noch Kind.
Es liebt und lacht, doch ängstigt sich’s vor Spöttern.
Beschütz es dort, wo äußre Feinde sind!

Nur wenn die Feinde, die das Selbst vernichten,
Geschlagen sind, kannst du dich selbst verdichten.


836.html
Abgeschickt von Frank Walter am 25 Maerz, 2004 um 09:08:51

Lessing und de La Fontaine

Man lese Fabeln Lessings und vergleiche
Sie mit den Werken von de La Fontaine.
Der Preuße urteilt wie Präceptorleiche,
Ich selber habe schön’re nie gesehn.

Es sticht im Herz, wenn man gezwungen ist
Von Lehrern, die es selber nicht begreifen,
den Preußenmüll zu fressen, der den Mist
Der Zwangsmoral eintrichtert. Ja sie schleifen!

Wer das Bewusstsein auf das Tote lenkt
Und nicht an Wurzeln anfängt wie das Leben,
Darf nicht erwarten, dass er Kindern schenkt
Die Lust nach neuen Werten hochzustreben.

Kein deutscher Lehrer wird noch einmal zwingen
Mich unter Zwangsmoral der Preußenklingen.


837.html
Abgeschickt von Frank Walter am 25 Maerz, 2004 um 09:12:18

Mein Lieblingsfreund Immanuel

Ideenlehren haben eins gemein:
Sie wurzeln in dem Wunsch, an Gott zu glauben.
So fiel einst meinem Lieblingsfreunde ein,
Dem Skeptizismus Humes den Schneid zu rauben.

Und auch was Berkley, Locke und alle Weisen,
Die der Erfahrung ihren Diener machten,
Belegten, war durch Kants Gedankenreisen
In seinem Geist, so schien’s zum Niederschlachten.

Dass die Erfahrung die Bedingung sei
Der Möglichkeit von den Erkenntnissen,
Verquirlte er in einem Buch zu Brei,
Zum Gegenteil, zu Gottbekenntnissen.

Auch stahl er Galilei den Grundgedanken,
Dass Raum und Zeit setzt uns Erkenntnisschranken.


Doch prüft man nach, was er geschrieben hat,
Vergleicht man es mit Humeschem klarem Denken,
Dann fällt nur auf, er macht die Sinne platt,
Will Körperliches aus den Köpfen lenken.

Erzieht das Menschenkind, das heißt, zerbricht es
In einen reinen Geist und niedren Sinn.
Wo er den Teufel sah, sprach er: "Vernicht es!
Und setzte reinen Geist als Fetisch hin.

Die Rolle rückwärts purzelte der Preuße
Zurück in dumpfen Mittelalterglauben,
Verkündete zu Königsberg die Scheiße,
Die nur naive Menschen heut noch glauben.

DOCH LASST EUCH EURE SINNE NICHT ABLENKEN
VON DER ERFAHRUNG, DIE STETS IST VORM DENKEN!


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Abgeschickt von Ede am 21 Januar, 2004 um 19:57:18

Antwort auf: Antikes, nich nur für Schüla nacherzählt. (Ham wa nich alle n’ Bildungsufftraach …) von Ede Schnapsbrenner am 16 Januar, 2004 um 22:43:13

LA FAMIGLIA (Variation aufn altet Thema)

Weil Tante E. nich gern jesehen is,
beim Schwof, wo alle Götterjören zappeln,
denkt sie aus Gnatz: »Jetzt sollen die sich kappeln!« –
und schmeißt `nen Appel zwischen Miss und Miss.

Drei Miss’n zanken schließlich drum – als Quiz,
sagt Opa Z., soll Milchbart P. entrappeln.
Die Tante kichert und stakst zu den Pappeln.
Und scharf wie Nachbars Lumpi wählt Narziss.

Cousinchen A., die auserwählte, jubelt.
Und wenn sie deren Rolle auch nicht doubelt,
hilft sie ihm, H., die süße, abzuschleppen.

H.s Alter, M., ist sauer, samt der Sippe.
Ein ätzend fieser Knatsch tobt um die Hippe.
Sie kloppen sich am Ortsschild rum wie Deppen.


Nebenbei bemerkt: Die Verwandtschaftsverhältnisse (Tante, Cousinchen) sind natürlich nicht der antiken Vorgabe entsprechend, sondern eher dem Titel geschuldet. Hier geht es immerhin um »Knatsch« in einer Großfamilie.

»Ede Schnapsbrenner«


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Abgeschickt von ZaunköniG am 31 Januar, 2004 um 19:24:59

Und nach dem großen Gequengel, mal wieder etwas Literatur im Sprechsaal.

Ich biete heute Auszüge aus dem Sonettenkranz »Perseus und Medusa«:

V.

Steinig harte Blicke, kalte Wangen;
Am Ergebnis ist die Tat zu wiegen.
Da hat sich wer zu größerem verstiegen,
die eigne Tugend zu hoch aufgehangen.

Voll Zuversicht, und mutig vorgegangen
kam er vor dem Postament zu liegen.
Was zwischen ihnen vorfiel, bleibt verschwiegen.
Und wie sie unsern Künstlern nie gelangen

erstehn im Katastrophen-Panorama
Bilder. Noch ein Schritt, – Ein Stein erzählt Geschichten:
In jeder Fuge scheint sie anzufangen, –

Jede Kante will die Tat vernichten:
So fügt sich sicher Strang für Strang zum Drama.
Man hat sich aneinander schwer vergangen.

VI.

Man hat sich aneinander schwer vergangen; –
Man gibt einander Recht: ein Gleichgesinnter
wiegt mehr als ein Argument und hinter
guter Absicht, Konsens und dem langen

Marsch hockt Angst beizeiten abgefangen
sein zu können. – Früh genug faßt Winter
dir ins Blut, das stockt, und Kieselsinter
wächst, wo Lösung war. Dort angefangen

wo ein Ziel geglaubt war, wächst nur Totes.
Fühlung wird ersehnt, – und Reaktionen,
doch am andern Ende deines Lotes

beißt dir wer den Faden ab. Stationen: –
Du erinnerst, all dir angedrohtes;
Viele nährten ihre Illusionen.

IX.

Viele glaubten, daß sie sie bezwangen,
als Held gefeiert schon und aufgewiegelt,
daß man der Bestie Tür und Tor verriegelt;
Tötet sie! Daß sie sie niederrangen,

war beschlossen. Ewig sei versiegelt
Ihr Blick, der schon so viele eingefangen.
Ihr Haupt, um das sich wilde Locken schlangen
abgeschlagen, Doch – : ihr Auge spiegelt.

Da hat sich jedem Herz und Hand versteift
und sie erstarrten, als ihr Blick sie streift;
Sie sah’n den Haß, der ihr entgegenschlägt.

Kein Wort mehr, irgendwas und -wen zu rächen;
Nur wenn’s ein Windhauch ihm entgegenträgt,
hört er vielleicht ein kaltes Steinherz brechen.


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Abgeschickt von Ede Schnapsbrenner am 07 Maerz, 2004 um 15:06:50

UNCOOL 2004

Der Wagner käme mit mehr Bässen geil,
Giogiones Venus mit ’nem Ring im Nabel.
Mit Army-Boots wär’ David echt passabel
und Amor mit ’ner Pumpgun, ohne Pfeil.

Egal ob arm, Poet, dir fehlt der Style.
Böcklin, die Insel braucht TV mit Kabel!
Und Mona Lisas Lippen sind blamabel –
mit Lippenstift wär’ die ein geiles Teil.

Sie liefe in den Clips auf MTV,
wo überhaupt die coolsten Tussis tanzen.
Ich fürchte aber, die kapiert das nie.

Mit Go-go-Style und Gel in ihren Haaren –
die hätte doch voll krasse Resonanzen.
Der echte Hammer, völlig abgefahren …



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Abgeschickt von Ede Schnapsbrenner am 11 April, 2004 um 09:20:31

PREISVERLEIHUNG

Ein Künstler, unverbogen, mit Gespür
für Zeitgeist – und schaut seine schönen Locken!
Sein Werk: so tief und neu und unerschrocken,
es ist gewiss kein Preis zu groß dafür.

Applaus bricht los, der Pflichtteil und die Kür,
der Laureat bleibt nun nicht länger hocken,
die Stirne glänzt, sein Rachen gobisch trocken,
er tappt zum Rednerpult und sieht zur Tür.

„Juroren! Diese Ehre lässt mich schwindeln!“
Vor Rührung steigt die Stimme ins Falsett.
Das Lob ist ihm was einst Dornröschen Spindeln.

Der Künstler balzt und dankt getreu dem Kodex
und unter Beifall schwankt er ins Parkett.
Dort senkt sich elegant sein Ehrenpodex.


831.html
Abgeschickt von Savour Dymâr am 17 Maerz, 2004 um 00:13:31

ich wage mich jetzt einfach mal … weiß nicht ob und wie es ankommt … :)

Dies ist die Welt der Superstars, die Welt,
die das Gewöhnliche nicht mehr verwindet.
Heut singen alle. Jeder ist ein Held.
Und wer noch nicht dazugehört, empfindet

sich längst, wie zum Messias, auserkoren
(denn schließlich sind sie alle »hochbegabt«!)
und für Alltägliches wird doch nur der geboren,
der nicht genug will und im Schatten trabt,

der nicht wie eine Marionette schwankt,
im rücksichtslosen Spiel der Marktgiganten,
dem mancher von den jungen Musikanten,
den Aufstieg wie den Untergang verdankt.

Und wenn schon … mir ist’s dennoch einerlei:
ihr Superstars geht mir am A… vorbei!


841.html
Abgeschickt von Daniel Goral am 17 April, 2004 um 00:06:32

MISANTHROPISCHES VERGNÜGEN

Ein köstliches Pläsier –
im Opernhaus zu lärmen,
in Mauern des Empire,
mit Wind aus den Gedärmen.

Wenn Herrn die Nasen rümpfen
das Schnupftuch vorzuklauben,
erschütternd zu den Strümpfen
voll Kraft hineinzuschnauben.

Und damit ins Klavier.
Der Alt scheint sich zu härmen,
kein Herz will sich erwärmen,

man sieht voll Gram zu mir
und niemand fällt ins Schwärmen.
Ein köstliches Pläsier!


847.html
Abgeschickt von Robert Wohlleben am 11 Mai, 2004 um 11:39:32

Nach der Ausgabe »Sonetti del Burchiello del Bellincioni e d’altri poeti fiorentini alla burchiellesca« (Londra [i.e. Lucca], Pisa 1757)
(siehe www.bibliotecaitaliana.it)

I

Il Despoto di Quinto, e ’l gran Soldano,
E trentasette schiere di Pollastri,
Fanno coniar molti fiorin novastri,
Come dice il Salmista nel Prisciano.

E dicesi nel Borgo a San Friano,
Che gli è venuto al porto de’ Pilastri
Una Galea carica d’impiastri,
Per guarir del catarro Mont’Albano.

Mille Franciosi assai bene incaciati,
Andando a Vallembrosa per cappelli,
Furon tenuti tutti smemorati.

Foian gli vide, e disse: velli, velli;
Ei non son dessi, il Bagno gli ha scambiati,
O e’ gli ha barattati in Alberelli.

Allora i Fegatelli,
Gridaron tutti quanti cera, cera,
E l’Anguille s’armaron di panziera.

CLXI
IL BURCHIELLO CARCERATO

Signori, in questa ferrea graticola
Lo stentar tanto a torto mi rincresce:
L’ardente vertù manca, e ’l popol cresce,
Onde si fan le parti di formicola:

Bacco già lava i piedi ad ogni Agricola,
E ’l condotto ci muffa: e sol si mesce
La vena, che nutrica il nostro pesce,
Che beendone gli esce per l’auricola.

Io fui in cento lire condennato,
Per voler insegnar cantar la Zolfa
Per madre a un minor fratel di Cristo.

Poi di dugento bando mi fu dato
Per una landra da Frati Criolfa,
Per odio, e ’nvidia d’un geloso tristo;

Che disse avermi visto,
Con la scala di notte a lei furare
Due cuffie poste al buio a rasciugare.

CCCXXXV

La Mula bianca, che tu m’hai mandata,
Mi par che l’andar suo senta di gotte;
Va sempre saltellon come le botte,
È cieca, magra, vecchia, e mal trattata;

Per sua disgrazia, un qua l’ha cavalcata,
Ed hagli tutte le natiche rotte;
Halla accusata a gli Ufizial di notte,
Ed avvela trovata tamburata.

Io non posso con essa andare a spasso,
Che i corbi me la beccan per la via;
La pelle è fatta come un alto, e basso.

Tutti quanto gli spron di Lombardia
Non la potrebbon far muovere un passo,
Tant’è infigarda, viziata, e restia:

Ho questa fantasia
Che camminando, avendo al cul la briglia,
Andrebbe indietro il dì sessanta miglia;

Pel prezzo te la piglia,
E mandaci a ricontro due cavagli,
Ch’almen la pelle ci serva a far vagli.

 

 

Rechte an den Sonetten bei der Urheberschaft