Meditationen am Müllhügel RAHLSTEDT (jhm). Eine kleine Gruppe meist jüngerer Rahlstedter Bürger hat sich eigene Gedanken um die geplanten und in den letzten Ausgaben von Deine Brücke eifrig diskutierten Mülldeponien gemacht, mit denen die einstigen Müllgruben bzw. -berge sozusagen auf eine gehobenere Kulturebene gebracht werden sollen. Sie haben sich für ihr Vorhaben sogar eine klangvolle Firmierung zugelegt: MEIENDORFER MEINUNGS- UND MÜLLVERWERTUNGS-COMPAGNIE! Die meisten Gründer dieser Firma sind uns als durchaus seriöse Mitbürger bekannt einige von ihnen haben wir auch schon unserer Leserschaft in der Serie unserer Einwohnerportraits vorgestellt. Das sei vorangeschickt. Es sind nämlich:
1. der Zeichner Frank Böhm (34), der federführende Sekretär des Unternehmens, an den sich alle Interessenten für diese Angelegenheit wenden können (Hamburg 73, Abrahamstraße Nr. 31 - Tel.: 678 21 65). Was will denn nun dieser Fünf-Männer-Rat eigentlich? Lassen wir ihn zunächst einmal selber mit einem Auszug aus einem Presse-Rundschreiben vom 2. April ds. Js. zu Worte kommen. Darin heißt es u.a.: Die vom Hamburger Naturschutzamt federführend betreute kommunale Planung läuft auf Naturnachahmung hinaus (Abdeckung mit Erde; Bepflanzung). Die Gruppe hat sich bereits mit dem Naturschutzamt in Verbindung gesetzt und will versuchen, das Projekt in Richtung einer zeitadäquaten Lösung zu beeinflussen. So wird vorgeschlagen, die Müllhügel als großdimensionierte Meditationsjekte anzulegen (ungestörte Flächen einfacher stereometrischer Formen, homogene Beschüttung). Ein weiterer Voschlag sieht einen auf der Hügelsohle zu errichtenden Beton-Rundturm vor, der sich im Verlauf der Aufschüttung in einen Schacht verwandelt. Ein interessanter Aspekt mit reizvollen Implikationen ist nach Ansicht der Gruppe die zwanglose Einbeziehung der Bevölkerung in einen künstlerischen Produktionsprozeß. Das klingt fast wie ein Orakelspruch der Pythia: Man kann sich alles oder auch gar nichts dabei vorstellen. Was in etwa gemeint ist, geht jedoch etwas deutlicher aus einem Brief hervor, den der Verfasser unlängst von Robert Wohlleben erhielt. Darin heißt es: Die Gruppe tendiert zu einer Art phantastischen Realismus in der Landschaftsarchitektur. Die Hauptfraktion strebt das große Meditationsobjekt an, mit weiten, ungestörten Flächen. Ein mit Steinschotter bedeckter Halbzylinder mit zugespitzten Ecken, um den sich eine nur wenig erhabene Aufwölbung herumzuwendeln scheint. Wir haben (aber) auch noch die satirische und die gebildete Fraktion. Erstere schlägt z.B. die Ausführung gestrichen Korn vor: auf einer sargdeckelförmigen Erhebung die Aufbauten Kimme und Korn (zielt natürlich auf die Bundeswehrnähe). Der Vorschlag eines Gebildeten ist der Kenotaph für Newton: 1. und 2. Sekunde (auf langgesstrecktem Hügel ein etwa halbkugeliger Aufbau, dessen Entfernung von den beiden Endpunkten zueinander im Verhältnis der beim freien Fall in der 1. und in der 2. Sekunde durchfallenen Strecken, 4,916 : 14,748, stehen. Wohlleben bemerkt allerdings ganz offenherzig dazu: Ich persönlich halte diese Vorschläge für Kalauer, an denen auch die megalomanische Gebärde nichts ändert, und schließe mich der mehr meditativen Fraktion an. Wir möchten uns allerdings kaum einer der drei Fraktionen anschließen, da uns das alles allzu sehr nach Verpoppung der Landschaft in amerikanischem Stil zu schmecken scheint. Zwar sind wir durchaus nicht für eine völlig unzeitgemäße Manipulation der Natur etwa im Stile der Rokoko-Parks (bekannte Beispiele: Schloß Herrenhausen bei Hannover oder Sanssouci). Aber der Verfasser sah in einem kleinen westfälischen Ort einen Naturpark auf den Abraumhalden der stillgelegten Zeche (der ungefähr die Dimensionen der geplanten Müllandschaft haben dürfte), in dem nicht nur Erwachsene lustwandeln, sondern vor allem auch die Kinder sich nach Herzenslust austoben können. Von Miniatur-Alpen (wie es in einer anderen Verlautbarung der Compagnie heißt), kann dabei überhaupt nicht die Rede sein! Und schließlich beanstandet ja wohl auch keiner die künstlichen Gebirge bei Hagenbeck, die einmal fast ein Weltwunder waren, nicht wahr? Deine Brücke (Rahlstedt) 30. April 1971 |