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RWs Sonette für Klaus M. Rarisch

Traum-Haft

Das Licht von nirgends. Wände nicht von Stoff,
die Hände greifen leer in zahllos viele
Gelasse voll Gestühl verschollner Stile,
an Fenstern enden alle Welten schroff.

Wo einst Sekret aus Drüsen niedertroff,
entstehen Fleck um Fleck die Schattenspiele
von Tuschen, hinschraffiert mit blindem Kiele,
daß kein Beschauer auf Verstehen hoff.

Wer alles ist durch dies hindurchgegangen –
durch Welten, doch in einer stets gefangen?
Die Spuren all der Gänge sind verworrn,

wie sie sich trafen, trennten, sich verschlangen,
um endlich, endlich auswärts zu gelangen
– wo doch das Ende wieder hieß: von vorn!

Für Richard Klaus & Klaus M. Rarisch

Neues Leben II

Die Räume leer und Träume ausgeträumt –
kam Trost in Schmerz und Scheitern uns abhanden?
Was jetzt sich träumen will, scheint zu versanden
im Großen Erg, der Traumgesichte säumt.

Was Lieb und Lust verhießen, rauscht und schäumt
als Ahnung nach, der wir uns längst entbanden,
seit Schatten schwarz und schweigend uns umstanden,
anstatt daß golden Hoffnungsgrün sich bäumt.

Was drängt uns fort zum Himmel, als verhehlten
sich tief in unsern Herzen die Gesandten
der Gottheit, die in Opferbrand verraucht?

Es scheint, daß all die Gluten längst verschwelten
und allen Traum zu Terracotten brannten
– bis leichter Atem sie ins Leben haucht.

Für Klaus M. Rarisch
Volketswil, 31.Dezember 1999 / 1. Januar 2000


Gestirne

Es ist nicht gut, daß … was?! Ach was, du weißt.
Die fromm gewünschte Weisheit winkt mit Bildern
von Wildnissen, darinnen Wesen wildern …
in Schwarz gehext, von Sternen überkreist.

Du wirst gebissen, bis du wiederbeißt.
Du kannst den Brand der heißen Wut dir schildern
als weiße Glut. Das hilft, den Schmerz zu mildern,
der sonst Gebein und Haut dir niederreißt.

Der Sternenstrudel heckt verworrne Zeichen,
sie zerren sich zu halben Omina,
daß du sie zwingst und ihre Wirrnis störst.

Wo roter Riese, weißer Zwerg verbleichen,
verzweigt sich Domino in Domina,
wie du sie zeihst und allemal beschwörst.

Für Klaus M. Rarisch
Volketswil, 12. Mai 2000


Abgeflogen

Ein hoher Flug verbindet, was sich trennt,
die Augen sperrt in hellerlichter Blendung.
Die Trajektorie entspricht der Sendung,
mit Fug verflochten in das Firmament.

Hat sich erkannt, was sich als flüchtig kennt,
verfallen Mein und Dein verwirkter Pfändung,
denn jeder Punkt der Bahn verfehlt die Wendung
nach dort, wo alles Ich sich Alles nennt.

Und horch! Die Nänien der Sphären schwinden
im langen Infraschall der Morgenröten:
Da hallt … verhallt ein ostinates Rot

und läßt die frisch erstarrte Welt erblinden
im Sog von Licht, als wollte sich ertöten
ein frisches Leid lang vorm gewissen Tod.

Für Klaus M. Rarisch
Volketswil/Ottensen 1. – 3. Juli 2000


An mich

Es braucht, bis eins erkennt: Das nennt sich Welt,
was da gebraut ist, recht und schlecht vergoren,
was stets die Augen auswäscht und die Ohren
verrauscht, bis aller Raum von Restlicht gellt.

Was wuchs und wächst aus unurbarem Feld,
zerfurcht von Schmerz und Lust, hat sich zerfroren,
ist neu getaut, sproß auf, gab sich verloren
ums liebe Leben und auf sich gestellt.

Was je im Lauf von leicht zählbaren Jahren
den Weg verlegt und gar verhaut, hat sich
verfangen im Geflecht von Haut und Haaren.

Ein Log entsteht, das wie ein Kupferstich
die Schwärze hält, das Helle auszusparen.
Ein Clair-obscur wächst an und nennt sich Ich.

Für Klaus M. Rarisch
Ottensen, 5./6. Januar 1999


Komödie

Ins Idyll versunken,
auch im Allasch-Dschumm,
krieg ich zugewunken:
Wer lacht, dem drehts sich um.

Schwankend Hingestellte,
sehn wir, wies sich dreht.
Schimpf und Schand und Schelte
gehn stets ins Nachtgebet.

Der Schwindel in der Birne
verquirlt uns die Gehirne,
bezwingt det Schmerzjefiehl.

Kein leis- und blasser Schimmer
durchdringt den schlimmen Glimmer:
dem Menschenfrust kein Ziel!

Für Klaus M. Rarisch
(in »Wer ist das Rotkäppchen?«, 3. Akt
)

»Das Massengrab«, Berlin-Charlottenburg 1961–63   

Das Meublement ist das, was sich als Kram fand
in Dachverschlag und bei entfernten Tanten.
Die auf gebauchten Flaschen niederbrannten,
den Kerzen hält Verschattung gar nicht lahm stand.

Was sich als Donnerhall von Grimm zu Gram spannt,
dem Dornbusch abgelauscht von Nekromanten,
entging den längst entlaufnen Unverwandten,
im Nichts gestrandet zwischen Scham und Schamwand.

Zurechtskandiert für Gräberfeld und Dome,
zerstob die Suada, grell und kunterbunt,
daß jetzt noch Irrlicht im Gesichtsfeld brennt.

Der Menschenmut trieb Ranken und Rhizome
in unentdeckten Raum und Untergrund,
daß dort entstand, was sich als Ich erkennt.

Für Klaus M. Rarisch
Mergoscia (TI) – Volketswil (ZH) – Altona, 21. VIII. – 4. IX. 2003


Staub

Der Stein der Weisen ist zu Staub entsteint.
War Schotter erst, dann Kies und jetzt nur Grus.
So löst sich pythischer Gesang zum Blues,
in dessen Neumen Bitternis verweint,

verbrennt ein längst vergeßnes Log und scheint
verblakend zu vergeistern: Nur noch Ruß
verglypht sich an der Höhlenwand zum Nous.
So hat sich, scheints, das Ewige verneint.

Was sich als Wüstenzug von Lug zu Trug spannt,
verwahrt Erinnerung an den Zerfall:
was alles vom Verwehen übrig blieb.

Lapilli, Kieselerde, Schluff und Flugsand
verraten unterm Tritt versteinten Hall,
ein Steingespenst verbleibt im Fingersieb.

Für Klaus M. Rarisch
Ottensen, 4. Januar 2004


Entscheidungen (An mich)   

Macht hoch die Tür! Wars nicht allmählich Zeit,
die rein- und rauswolln ab- und auszuzählen?
Sie nach Bedarf zu rädern und zu pfählen,
bis daß kein Hansel mehr zum Himmel schreit?

Bloß keine Bange jetzt: Die Tor macht weit!
Hier gehts nicht drum, das liebe Herz zu quälen.
Hier heißts, gelassen die Courage stählen,
ob auch ein Abgrund Gift und Galle speit.

Auf Grund des Dolus in Verzicht und Pflicht
zur Last gelegt: der Sünden Siebenzahl
in all dem Wirrsal zwischen Sein und Schein.

Verspricht die Rolle für das Selbstgericht
die Aussicht auf gerechtes Tribunal? –
Ich weiß schon: Einer muß der Bluthund sein.

Für Klaus M. Rarisch zum 17. Januar 2006

Entropie

Kunstvoll soll die Jaspismauer stahn:
Limes gegens Nichts und seine Scharen.
Außenwerke halten sich seit Jahren
Unbezwingbar gegen wüsten Wahn.

Stand gewinnen soll der Bau nach Plan,
Maß für Maß den Lücken, die noch waren,
Punkt für Punkt den Durchbruch zu ersparen.
Restlos wehrhaft … damit wärs getan.

Alle Macht den rätselmüden Sphingen!
Rotverschiebung setzte längst schon ein.
Irgendwann gerät ein Schluß … verschlingen

Singularitäten Sein und Schein.
Cherubim stehn zaghaft auf und singen
Heilungssegen über Mark und Bein.

Für Klaus M. Rarisch
Ottensen, 22. Juni 2005


Hieb- und stichfest   

Ein schieres Stich- und Hiebfest
bescheren uns die Dichter.
Das wächst sich aus zum Triebtest …
als ginge es nicht schlichter!

Was uns zur Not ein Dieb läßt,
verleidet uns Gelichter.
Was niemand je durchs Sieb preßt,
geht auch durch niemands Trichter.

Da komm mal drauf! Und dann
vertick uns mal, wer kann,
wie Tinte auf den Strich näßt.

Als Adam grübelnd spann,
besann er sich … doch wann
wars jemals HIEB- UND STICHFEST?

Nachträglich zu Lothar Klünners und Klaus M. Rarischs
Tenzone »Hieb- und stichfest. Streitsonette«


Wurstiade

Genickschlag, Stromstoß oder Bolzenschuß
sind dazu da, das Vieh dem Tod zu weihen.
Dem Schlächter oder Schächter blüht Verzeihen
aus diesem Rest von letztem Bruderkuß.

Dann trennt sich Wurstgut von Filet und Nuß.
Mit Kuttelkraut und andren Spezereien
muß Separatorfleisch zur Kunst gedeihen …
und nicht per Botulismus zum Verdruß.

Faschiertes geht im Darmgeschling perdüh:
von Rind, Kaldaunen, Rössern, Sehnen, Schweinen …
Getränk zur Wahl sind Pilsner und Pisse dru.

Hat wer auch grausam und vermint gedacht,
war er doch menschlich gut in seinem Meinen
und hat sich um die Wurst verdient gemacht.

In der Coda zu Matthias Koeppels und KMRs Tenzone »Um die Wurst«

Brot für die Welt

Wie schmeckt die Wurst? Nach mehr und ohne Brot,
wie wir’s an vierter Stelle erst erbitten.
Ob dick gesäbelt oder dünn geschnitten …
wir wissen ja: Da gibt es kein Gebot.

So kommt, was Zweifel war, gewiß ins Lot,
ergibt Permiß im Sinne guter Sitten.
Die Wurst bleibt hier, ganz unbestritten …
wir wissen ja: Wer bittet, ist nicht tot.

Was es auch sei, ist nicht umsonst gespendet:
Gleich brennt auf Hand und Fuß und Wange Kuß
um Kuß, als schmales Erbe hinverschwendet.

Der Lobgesang gerät zum Klanggenuß.
Wenn er verfrüht verstummt, zur Unzeit endet,
dann reicht zum Ablaß uns ein Angelus.

Für Ernst-Jürgen Dreyer
Ottensen, 7. III. 2007
nachträglich zu MKs und KMRs Tenzone »Um die Wurst«

Volketswil. Traum in der Nacht von Montag auf Dienstag, 27./28. II. 2006 (nach Rückkehr von Arosa):
Brief von Klaus in einem mehr kleinen Polsterbriefumschlag, so gut verklebt, daß der Umschlag beim Öffnen zerreißt. Im Brief empfiehlt Klaus dringend, daß ich in einem neuen Sonett die Wendung »Seelensteuer abzulassen« in »keine Seele abzulassen« ändere [weiterer Kontext nicht in Erinnerung, womöglich gar nicht mitgeträumt]. Ich mag mich nicht auf den Vorschlag einlassen, da mir eine solche Totalverfügung über Seele als zu autokratisch erscheint und es mir in dem Sonett nicht um eine so beschaffene Instanz geht: kein Interesse daran. Im Traum die Überlegung, wie ich dennoch Klaus’ Empfehlung aufnehmen kann – dann im Sinne einer Verdeutlichung des von mir Gemeinten, und ohne der bei ihm verspürten Tendenz stattzugeben.
Einen Monat später resümiert:

Traumsonett

Verklammert und verklebt: von Klaus ein Brief.
Das Thema: ein Sonett perfekt zu fassen.
Frei sei’s von allem Blassen oder Krassen,
nichts im Gefüge rage krumm und schief.

Befund: Daß Wortsinn aus dem Ruder lief,
wo ich hab: »Seelensteuer abzulassen«.
Da würde »keine Seele« besser passen,
entspräche voll und zwingend dem Motiv.

Ich kann doch über Seele nicht verfügen …
wer bin ich denn, wo käm ich damit hin?
Doch andrerseits ist wirklich was zu rügen

an der Sentenz … wie also kriegt sie Sinn?
Gibts Varianten, die dem Rat genügen?
Wie geb ich recht und bleib doch, wer ich bin?

Für Klaus M. Rarisch
Ottensen, 29. III. 2006


Entzauberung

Klingsors Zauber steuern den Tambour,
Linksgewindig wirbeln Arm und Beine,
Augen rechtsgedreht zum Götzenschreine,
Unverwandt, gebannt und panzerstur.

Selig wiederholt er die Figur,
Meint sich frei, doch folgt der Spur der Steine
Punktgenau ins mikrokosmisch feine
Reich der Spektren tückischer Natur.

Aber wie soll Gegenzauber gehen?
Rührt euch! hallt Befehl aus alter Zeit.
Ikaros ließ sich vom Wind verwehen,

Schwang sich auf, die Sonne zum Geleit.
Chaos ordnet sich zu Panazeen,
Himmel offen und die Räume weit.

21. Mai 2005 für Klaus M. Rarisch

Die Welt ist schlecht
in einem andern Ton   

Konstante fünf vor zwölfe weist die Klock:
Die Schlechtigkeit der Welt ist hochverläßlich
und unentrinnbar, wie längst unvergeßlich
besiegelt mit Sonetten des Barock.

Prinzip ist klar: Es gärtnert jeder Bock,
schützt beste Absicht vor, beträgt sich gräßlich,
weiß nichts von Schuld, bis sich am Ende häßlich
die Fratze zeigt: ein immer neuer Schock.

Beliebter Irrtum: Eine Satanshaxe
sei Merkmal all der bösen Schandgesellen
und ihrer rastlos regen Schlangenbrut.

Nee, nee! sind Menschen, die die Seelenachse
justieren, dann auf Dauerfeuer stellen:
aus altem Erbe ewig Tunichtgut.

Ottensen, 29. III. 2007
für Klaus M. Rarisch


Mahnung zur Güte   

Was hat uns aufgebracht und so erbost,
daß sich die Augenlider enger stellen?
Daß an der Stirn die Zornesadern schwellen,
in den Pupillen dumpfe Glut verglost?

Enthemmt durch die Neuronennetze tost,
was alles fortreißt, was doch könnt’ mit schnellen
Reflexen Würde retten vorm Zerspellen.
Doch nein: nicht bei sich und nicht recht bei Trost.

Wozu bloß potenziert sich all der Schrecken,
als wären Galle, Gift und Zähneblecken
was wert und für den Weltenzustand not?

Der Geifer und der Schaum vorm Maul erwecken
nur Abscheu, statt Signale aufzustecken,
vermeldend: alles gut und ganz im Lot.

Ottensen, 7. XI. 2007
(ungesagt gemeint für Klaus M. Rarisch & Ernst-Jürgen Dreyer)


Die Jagd nach dem Glück

Der Wechsel bleibt: Die Nacht fällt ein – es tagt.
Notturni klingen auf, dann Tagelieder,
den Eulen fährts, dann Lerchen ins Gefieder –
dies alles sei zerdacht und hergesagt.

Die wilde Meute, die das Glück bejagt,
durchsprengt die Wortsaat, reitet Aufwuchs nieder.
Da findet sich kein »Für«, nur wildes »Wider«.
Dies auszuschrein sei unbeirrt gewagt!

Im Schwarz und Weiß der Welt gings Zug um Zug
mit Zahl und Letter fort durchs Feldergitter:
Das Anfangswort gehörte ausgereimt.

Getreu am Feldrain wandte sich der Pflug,
daß ausgesät ward, was am Ende bitter
entsprießt, zu bösen Blumen ausgekeimt.

Für Klaus M. Rarisch (* 17. Januar 1936, † 20. Juli 2016)
Fällanden (ZH), 2. August 2016

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Kurztenzonen mit Klausens und meiner Beteiligung:

http://www.fulgura.de/sonett-m.htm
(die »verschlafenen« ersten drei auf dieser »Seite«)

http://www.fulgura.de/sonettii.htm
(viermal immer gleiche Reime mit allergrößtenteils immer neuen Reimwörtern)

http://www.fulgura.de/spinnen.htm

http://www.fulgura.de/kmr/kmr-eile.htm

http://www.fulgura.de/sonett/leben1.htm