Lieber Robert, seit Du mir auf einen zugegebenermaßen ratlosen Versuch, mich Deinen Gedichten anzunähern, einmal geantwortet hast, es sei Dir «sowas von egal», was die Leute zu Deinen Gedichten meinen, habe ich mir die Mühe einer zuweilen aussichtslosen Vertiefung erspart es ist wenig motivierend, so abgefertigt zu werden. Nun fehlen Dir doch Stimmen zu Deiner Lyrik, und ich will noch einmal versuchen, erstens die Schwierigkeit abzustecken, die diese harten Nüsse dem Zahnwerk bereiten, und zweitens doch zu den Nüssen etwas zu sagen, die ich meine geknackt zu haben. Daß sich viele Deiner Gedichte dem Verständnis verweigern, liegt denke ich an einem Nomen-und-Verben-Vokabular, bei dem notfalls kein Duden, kein Wahrig und kein Fremdwörterbuch hilft. Manches mag aus dem Computerdeutsch stammen («...ich KRIEGS gelinkt», «linkt sich das Programm»), anderes vom maritimen Norddeutsch («Törn», «Stack»), und erkennbar ist eine Faszination am «Denglish»: «Laß Ella scatten. / Im Jive verkettet sich jetzt Paar um Paar» . Mit «ab zu Navers Soot» komme ich aus der Erinnerung an Verse Klaus Groths noch klar; aber Wörtern und Wendungen wie «Pli», «Rückpro» , «Flünken» , «Detritus» , «schiere / Vergärung strandet als Mouton-Cadet» , «Azeton und Kampfer stechen / zielgenau am Septum hin» etc. stehe ich hilflos gegenüber, und wo Wörter, die ich mir nicht erklären kann, sich zu ebendeshalb unverständlichen Zeilen sammeln wie wo Schichtung schon sich fügt zum Tesserakt, ja zu ganzen Quartetten wie Und sei wahrschaut: Im Triebe ging das Schiff, da fühle ich mich als Leser ausgesperrt : offenbar handelt es sich, wie einer Deiner Sonett-Titel lautet, um ein «Für weit weniger als Dritte verständliches Lied». Mit Achselzucken und Abwendung ist es aber dennoch nicht getan: Ich ahne, daß ich was verpasse, denn neben Gedichten, die mir ein einziges Rätsel sind («Grenze») stehen Landschaftsbilder von großer Einprägsamkeit Von Westen her streckt Wind die Wolkenhand und bedeutendem Vokal- und Assonanzenzauber: Der Himmel schwimmt schon still zu blinden Hier geben Bild und Klang Anreiz, auch die enigmatischen Wörter zu deuten: «Zirrenspiel» ist das Spiel der Zirrus-Wolken, und die «Spieren» der Folgezeilen sind botanisch bestimmbare Sumpfgewächse: Wir werden Wimpel an die Spieren binden, Manche dieser Landschaftsgedichte sind, einmal gelesen, ganz unvergeßlich, zum Beispiel «Vogelflug» (offenbar in zwei Fassungen, denn Z. 2 lautet einmal «der Flügelschlag geruhsamt flußentlang», und einmal fehlt leider das verb-zaubernde «t»). Das zweite Quartett ist eine stille Hommage à Nietzsche und seine Verse «Die Krähen schrein», das erste Terzett eine Hommage à Hofmannsthal und die Terzinen «Ballade des äußeren Lebens»; sogar Benn klingt an: «vom Wind Geformtes und nach unten schwer»:
Trotz so vieler Herkunftsverweise ist das Gedicht nicht epigonal; es ist ein souverän geformtes Sonett und steht damit eo ipso in einer ganz anderen Tradition als der zitierten. Ein anderes Gedicht dieser Zeit zitiert Rilke (und zwar gleich im Titel «über Gedichte von Rilke» ) und sticht doch mit seinen reichen Reimen und dem großartigen Bild der fernen Watt-Wanderung gerade den Sonettisten Rilke sofort aus: Der Himmel überm Watt: Legendenlicht ... Es ist nicht einfach ein sympathetisches Bekenntnis zu einer lyrischen Tradition, die sich in solchen Verweisungen ausdrückt; es ist eine alle Stilentwicklung überdauernde Verwandtschaft namentlich mit dem frühen Hofmannsthal (Loris) und seinen staunenden Fragen, wie sie die «Ballade des äußeren Lebens» stellt: Wozu sind diese aufgebaut? und gleichen Was frommt das alles uns und diese Spiele, Viele Deiner Gedichte reihen ähnlich antwortlos Frage an Frage: «Vie morte», «Photo», «Mit Bleistift», «Gezeiten», «Grenze», «Diwan», «Wohin»; oft sind es dieselben Fragen nach der Seltsamkeit der eigenen Existenz und der von uns zurückbleibenden Dingwelt, der Hohlformen verschollenen Lebens. «Wer alles ist durch dies hindurchgegangen (...)?» Hier das Gedicht, das mich in dieser Hinsicht am meisten ergreift, und das ich zugleich wegen der Selbstverständlichkeit bewundere, mit der sich die verschiedensten Wortformen aufeinander reimen. «Herz» auf «Schmerz», «Brust» auf «Lust» reimen ist gar nichts, aber «Stoff» (Nomen) auf «schroff» (Adjektiv), «niedertroff» (Imperfekt) und «hoff» (Konjunktiv I) oder «hindurchgegangen» (Partizip Perfekt) auf «sich verschlangen» (Imperfekt) und «zu gelangen» (Infinitiv) oder gar das unbegreiflich schöne Reimpaar «verworrn» (Zustandspassiv) auf «von vorn» (Adverb): das sind fast Wunder. Überhaupt sind Deine Sonette (einschließlich der mir unverständlichen) von einer makellosen Identität von Syntax, Reim und Strophe, so, als legten sich die Sätze trotz ihrer labyrinthischen Gedankengänge von selbst, ohne mindesten Zwang, ohne die Notwendigkeit irgendwelcher «poetischer Lizenz», in die Sonettform. Auch dafür ist «Traum-Haft» ein Beispiel, das seinesgleichen sucht:
Es ist mir klar, daß Du bei diesem Nach- und Neuklang Hofmannsthals nicht bleiben konntest; und ich gebe zu, daß ein Vokabular wie das von «Großaufnahme» mit so vielen «lyrikunfähigen» und gerade deshalb im Sinne der Lyrik unverbrauchten Wörtern die Sonettform ungeheuerlich verdichtet (wobei mir jedoch die Wendung «Kristall erst schien» genau wie die Variante «flau noch schien» nicht ganz auf der Höhe Deiner Kunst scheint). Der Titel «Großaufnahme» hilft hier, wenn auch nicht alles deuten (Z. 7/8?), doch das Ganze verstehen und die auch hier eingelagerten Landschaftsbilder (Z. 9-11) metaphorisch einordnen:
Das Sonett als Form ist einem Schiff zu vergleichen der Petrarcaschen «nave mia colma doblio» ; dieses hat freilich nicht als purer Kork auf den Wellen zu tanzen: schließlich hat es einen breiten Bug, der schon ordentlich im Wasser liegen muß, und ein sich verjüngendes Heck. Aber man kann das (Wort-)Material, aus dem es besteht, auch bis zu einem Punkt verdichten, an dem es wenn vielleicht nicht untergeht, doch allzutief ins Wasser hängt und gar nicht mehr von der Stelle kommt. Bei Zeilen wie «Und drüber raus, wo Schritt mit Tritt sich schnitt» scheint mir diese «Unflottheit» erreicht auch ohne Worthermetik. Sicher ein notwendiges Stadium, aber ich hoffe nicht das Endstadium. Zurück will ich Dich nicht pfeifen, obwohl mir als Deinem Leser die Zukunft Deiner Ausdrucksmöglichkeiten ja im Dunkeln liegt und mir eben manche Deiner alten Sonette so viel geben. Zum Beispiel das Sonett «Gaswerk», dem der erzählerische Rahmen und das düstere Bild schon garantieren, daß es aus anderem besteht als Wörtern. Natürlich bewirken auch das gerade wieder die Wörter, aus denen es besteht; aber es sind doch Wörter, die etwas beschwören und nicht, so viel sie auch wohl für Dich in sich bergen, für «Dritte» pures Wortmaterial bleiben. Sei also nicht bös, wenn ich ans Ende nicht ein neueres, sondern ein altes Sonett von Dir setze: ein düsteres Selbstporträt. Es macht mir Freude, das Gedicht Zeile für Zeile abzutippen:
Nachsatz vom 19. Oktober 2000 Beim Wiederlesen Deiner Sonette damals fiel mir eines mit Schüttelreimen auf, das eine absolute Preziose unter den Schüttelreimgedichten ist und eigentlich gar nicht zu diesen gehört; es ist absolut frei von den semantischen Verlegenheiten solcher Produktionen und eher ein Grenzfall des reichen Reims. *) Wohlleben kämpft ums Gaswerk (1962) Rechte bei fulgura frango |
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