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Robert Wohlleben:

Sonett – funktioniert die Form?

 

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10. Übertragungen



Wo ich von früher Lesebegegnung mit Sonetten sprach, gings auch um Shakespeare mit seinem Sonett Nr. 34 und meinen damaligen Annäherungsversuch. Verloren gegangen (vielleicht zum Glück) und erst sehr viel später erneut unternommen. Kein Ehrgeiz, mich nun an allen Shakespeare-Sonetten abzuarbeiten. Nur um einige wenige kam ich nicht herum. Nr. 119 ist mir das bedeutendste:

 

What potions have I drunk of Syren tears,
Distill’d from lymbecks foul as hell within,
Applying fears to hopes, and hopes to fears,
Still losing when I saw my self to win!
What wretched errors hath my heart committed,
Whilst it hath thought it self so blessed never!
How have mine eyes out of their spheres been fitted,
In the distraction of this madding fever!
O benefit of ill! now I find true,
That better is by evil still made better;
And ruin’d love, when it is built anew,
Grows fairer than at first, more strong, far greater.
   So I return rebuk’d to my content.
   And gain by ill thrice more than I have spent.

Zuvor überlesen oder nur mit interesselosem Wohlgefallen wahrgenommen, sprang es mich irgendwann vehement an. Das hatte Gründe und zeigt mir, daß sich Wahrnehmung von Befindlichkeit zu Befindlichkeit ändert, Wieder- und Wiederlesen folglich guten Sinn hat. Geradezu anfallsartig versuchte ich, mir ein Äquivalent zu erfinden:

 

Falsch und wunderbar

Ich kippte Brände aus Sirenenzähren,
gebrannt in Blasen, drin die Hölle schwelt,
ließ Hoffnung Angst und Angst die Hoffnung nähren
… ich wollt schon siegen – wurde ausgezählt!

Mein Herz, das hatte wohl von kaum was Checkung,
und dabei ist es doch so abgeschwirrt!
Wie sind die Augen – raus aus ihrer Deckung –
mir da ins Wahnsinnsflimmern weggeirrt!

Da hilft das Falsche! Endlich wird mir klar:
Was besser war, wird vom Kaputten besser;
egal wie wund kaputt die Liebe war –
ich flick sie hin, viel stärker, größer, kesser.

So klein mit Hut, schleich ich zurück zum Glück …
ich KRIEG’s gelinkt. Und dreifach dick zurück.

Und was an Umgangssprachlichkeiten hineingeraten ist und so gar nicht zu Shakespeare zu passen scheint, verdankt sich dem Bedürfnis, mir auf ganz eigene Weise und in meinem Ton das alte Sonett verständlich zu machen. Kein Bemühen ums Originalgetreue. Dennoch meine ich, die Bedeutungen der elisabethanischen Vorlage einigermaßen bewahrt zu haben.

Die wenigen Sonett-Übertragungen sind also durch Sympathie verursacht und nicht durch handwerklichen Vorsatz. Ähnlich dürfte es Klaus M. Rarisch gehen, der mindestens das Shakespeare-Sonett Nummer 66 übertrug (das mich für mein Teil überhaupt nicht interessiert hätte) und das eine oder andere aus dem gar nicht so leicht zugänglichen Romanesco des Giuseppe Gioacchino Belli. Ebenso Ernst-Jürgen Dreyer. Herbert Laschet-Toussaint trieb es – adäquaterweise! – so weit, ein Belli-Sonett in Kölsch zu übertragen. Bei mir halt nur Englisches: etwas Shakespeare und ein paar zeitgenössische «Saturday Sonnets» aus der Times Saturday Review. Unter letzteren auch das mit sauberem Parlando gelungene (?) BBC-Sonett von Roger Woddis. Die spezifisch britische medienpolitische Motivik ist mir eigentlich nicht so besonders nahe. Das Akrostichon «The Corporation» verspricht aber handwerklichen Spaß. Eine Herausforderung also:

 

Going Down

‘It is the BBC which keeps us all honest.’
(Michael Grade, head of Channel 4)

The lifts go up and down in Portland Place,
Heavy with programme-makers and the like,
Expressing all that moves the Island Race –
Cricket and cars and clowns who take the mike.
On coming changes you can put your shirt:
Reform? We can’t afford to be too fussy.
Perhaps the Beeb will burgeon under Birt,
Or Auntie might become a shameless Hussey.
Reith is long gone, but certain ghosts remain
And prompt those zealots who have not resigned
To educate, inform and entertain.
If money talks, can Chequeland change his mind?
   Onward, unbowed, will march the Corporation:
   ‘Nation shall Speak of Ratings unto Nation.’

Roger Woddis (The Times Saturday Review, Sept. 19, 1992)

Ein erster Anlauf ohne Akrostichon ging voraus, sah schon mal von den Generaldirektoren John Reith und John Birt ab, brachte Tennis statt Cricket. Der Schauplatz verlagerte sich vom Sendehaus am Londoner Portland Place nach München zum Sitz des Bayerischen Rundfunks … irgendeine unsrer zwei- oder dreisilbig abgekürzten Anstalten mußte halt herhalten, weil wir keine allein seligmachende haben. «Rundfunksender» hätte zwar vierzehn Buchstaben für Zeilenanfänge hergegeben, erschien mir aber doch als nichtssagend im Vergleich mit «The Corporation», hinter der eine ganze Philosophie steht. Ähnlich «Rundfunkanstalt», das zudem mit seinen fünfzehn Buchstaben eine überhängige Zeile und damit ein Schweif-Sonett ergeben hätte. Ich verfiel dann schließlich auf unseren medienphilosophischen Begriff «Ausgewogenheit», und damit klappte es:

 

Voll ins Auge

An jedem Fahrstuhlschacht am Rundfunkplatz
Umschwirrn sich Redakteure und Consorten.
Sie schicken Volkes Sorgen in die MAZ:
Grand Slam, die Ziehung, schlecht gezielte Torten.

Echt klar, daß alles hier zum Wandel drängt:
Wieso Reform? Davor sind Intendanzen.
Oh, in den Intendantensessel zwängt
Gezielt ein Arsch sich – tun die Puppen tanzen?

Ein Eggebrecht hat Ruh, doch mancher Spuk –
Noch da! – verrührt nur stur den alten Kleister:
Halb Sport, halb News, halb U-, kaum Kult.-Bezug.
Ein Geld!!! Vielleicht ruft das die rechten Geister?

In ruhig-festem Tritt marschiert die Anstalt:
Tut bloß nicht schelten … Ziel ist, daß man anschalt’!
 

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